Mercedes E-Klasse:Ein Stern ist aufgegangen

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Die Stuttgarter planen jährlich bis zu 300 000 Exemplare der neuen Mittelklasse zu bauen

(SZ vom 27.05.1995) Der Glücksfall aller Finanzvorstände ist zumeist auch das große Unglück aller Technikvorstände - eine erfolgreiche Baureihe. Während sich die einen über das Geld in der Kasse freuen, haben die anderen die undankbare Aufgabe, ein Erfolgsmodell durch ein noch besseres Fahrzeug zu ersetzen, das - einer eierlegenden Wollmilchsau gleichend - schöner und besser, sparsamer und schneller, umweltfreundlicher und billiger als der hochgerühmte Vorgänger zu werden hat.

Mit der alten E-Klasse hatte Mercedes- Benz die erfolgreichste Baureihe aller Zeiten geschaffen - kein Wunder, daß eine durch etliche Vorabberichte sensibilisierte Öffentlichkeit der neuen E-Klasse interessiert entgegensah. Und hier gab es im Vorfeld - ausgelöst durch erste Bilder der neuen Frontpartie - zweifellos leichte Irritationen; zu fremd wirkten auf manche die neuen Doppelscheinwerfer. Jedoch: Auf der Straße sieht das neue 'Gesicht' auf Anhieb gut aus, dem Team um den Chef- Designer Bruno Sacco ist es zweifellos geglückt, die klassische Mercedes-Front neu zu interpretieren - und die Diskussion um diese Linie erhöht letztlich nur die Aufmerksamkeit.

Eines ist klar: Die neue Baureihe wird - unabhängig von der Frage der Scheinwerfer - ein Erfolg werden. Schon nach den ersten Kilometern in der neuen W 210- Baureihe scheint sich herauszukristallisieren, daß die Techniker einen würdigen Nachfolger auf die Räder gestellt haben: Überzeugend in Handling und Straßenlage, mit deutlich gewachsenem Innenraum (bei praktisch identisch gebliebenen Außenmaßen) und mit einer Fülle an technischen Innovationen, die hauptsächlich der aktiven und passiven Sicherheit sowie der Umweltfreundlichkeit zugute kommen, stellt der Neue zweifellos eines der besten Automobile unserer Tage dar.

Da die Beschreibung aller Novitäten in den Werksunterlagen nahezu den Umfang einer SZ-Ausgabe beansprucht, wollen wir uns hier auf ein paar Details beschränken - beispielsweise die Sicherheit: Nach dem Motto Weiche Schale, harter Kern wurde hier eine hochstabile Fahrgastzelle geschaffen, um die herum Verformungszonen angelegt sind, die bei einem Crash ein Optimum an Bewegungsenergie aufnehmen. Neu ist hier ein rahmenförmiger Integralträger, der mit den Längsträgern verschraubt ist und die Doppelquerlenker- Vorderachse, die Zahnstangenlenkung und den Motor aufnimmt - er ist weitgehend unverformbar, wurde aber so gestaltet, daß sich die beiden hinteren Befestigungspunkte bei einem schweren Frontalaufprall gezielt 'ausklinken' und der Integralträger mitsamt der Aggregate unter die Fahrgastzelle abtaucht. Zusammen mit dem Gurtstrammer, den Airbags und den (für einen Aufpreis von 747,50 Mark lieferbar) Seiten-Airbags in den Türen, dürfte der W 210 wohl ein rollendes Beispiel des derzeit technisch Machbaren darstellen.

Oder das Thema Umweltschutz: Alle Limousinen - Diesel und Benziner - erfüllen die von 1996 an gültigen Schadstofflimits der EU, die um bis zu 48 Prozent unter den heute gültigen Grenzwerten liegen. Ermöglicht wird dies durch den Einsatz neuer Werkstoffe bei der Herstellung der Auspuffkrümmer und der Katalysatoren, die sich nach dem Kaltstart rascher erwärmen und so die Kohlenwasserstoffemissionen reduzieren. Besonderen Wert legte man auch auf einen weiteren Rückgang der Geräuschemissionen - so erreichen auch hier alle Modelle Werte, die bis zu drei Dezibel unter den von Herbst an gültigen neuen EU-Grenzwerten liegen.

Mit längeren Wartungsintervallen

Und auch bei den Verbrauchswerten hat die E-Klasse abgespeckt: Die DIN-Drittelmixwerte liegen um bis zu zehn Prozent unter denen der vergleichbaren Vorgängermodelle - und mit der Verlängerung der Wartungsintervalle (auf eine Gesamtfahrleistung von 110 000 Kilometern sind statt bisher elf nur noch sieben Service- und Wartungsdienste vorgeschrieben) wird auch hier weniger Öl gewechselt und weniger Geld ausgegeben.

Womit wir beim Geld wären - wenn auch die Preise im direkten Vergleich etwas über denen der Vorgänger liegen, so sind sie doch ausstattungsbereinigt um bis zu 6,7 Prozent gesunken. Weshalb auch Jürgen Hubbert, der für das Pkw-Geschäft zuständige Vorstand, auch davon sprach, daß man 'mehr Auto für weniger Geld' anbieten würde. Eine Aussage, die natürlich relativ zu nehmen ist - denn noch immer ist für einen Mercedes-Benz viel Geld auf den Tisch des Hauses zu legen. Daß andererseits jedoch der geringe Wertverlust und die zweifellos gebotene Qualität für diesen hohen Einstandspreis einen adäquaten Gegenwert bietet, macht verständlich, warum Mercedes-Benz im Pkw- Geschäft im vergangenen Jahr nicht weniger als drei Milliarden Mark Gewinn einfahren konnte.

Nach den ersten Kilometern in der neuen E-Klasse scheint klar, daß man mit diesem sorgfältig konstruierten Gefährt die nächsten Milliarden verdienen wird - bis zu 300 000 Exemplare (inklusive T- Modell und Cabrio) plant man in Stuttgart in den kommenden Jahren zu produzieren. Und man wird sie wohl auch verkaufen können.

Die Daten der neuen E-Klasse:

E 200 - Reihenvierzylinder; Hubraum: 1998 cm3; Leistung: 100 kW (136 PS); Höchstgeschwindigkeit: 205 km/h; Null auf 100 km/h: 11,3 sec; DIN-Verbrauch: 8,2 l bleifrei Super auf 100 km; Preis: 54 970 Mark.

E 230 - Reihenvierzylinder; Hubraum: 2295 cm3; Leistung: 110 kW (150 PS); Höchstgeschwindigkeit: 215 km/h; Null auf 100 km/h: 10,5 sec; DIN-Verbrauch: 8,3 l bleifrei Super auf 100 km; Preis: 58 995 Mark.

E 320 - Reihensechszylinder; Hubraum: 3199 cm3; Leistung: 162 kW (220 PS); Höchstgeschwindigkeit: 235 km/h; Null auf 100 km/h: 7,8 sec; DIN-Verbrauch: 9,9 l bleifrei Super auf 100 km; Preis: 77 280 Mark.

E 220 Diesel - Reihenvierzylinder; Hubraum: 2155 cm3; Leistung: 70 kW (95 PS); Höchstgeschwindigkeit: 180 km/h; Null auf 100 km/h: 17,0 sec; DIN-Verbrauch: 6,6 l Diesel auf 100 km; Preis: 51 980 Mark.

E 300 Diesel - Reihensechszylinder; Hubraum: 2996 cm3; Leistung: 100 kW (136 PS); Höchstgeschwindigkeit: 205 km/h; Null auf 100 km/h: 13,0 sec; DIN-Verbrauch: 7,5 l Diesel auf 100 km; Preis: 60 777,50 Mark.

Von Januar 1996 an sollen dann drei weitere Modelle folgen:

E 280 - Reihensechszylinder; Hubraum: 2799 cm3; Leistung: 142 kW (193 PS); Höchstgeschwindigkeit: 230 km/h; Null auf 100 km/h: 8,7 sec; DIN-Verbrauch: 10,4 l bleifrei Super auf 100 km; Preis: 66 470 Mark.

E 420 - Achtzylinder in V-Form; Hubraum: 4196 cm3; Leistung: 205 kW (279 PS); Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h; Null auf 100 km/h: 7,0 sec; DIN- Verbrauch: 10,7 l bleifrei Super auf 100 km; Preis: 99 417,50 Mark.

E 290 TD - Reihenfünfzylinder mit Turbolader; Hubraum: 2874 cm3; Leistung: 95 kW (129 PS); Höchstgeschwindigkeit: 200 km/h; Null auf 100 km/h: 11,5 sec; DIN-Verbrauch: 6,2 l Diesel auf 100 km; Preis: 58 650 Mark.

Für das Frühjahr 1996 dürfen die Fans des E 500 ebenfalls mit einer Neuauflage rechnen, der unter der Bezeichnung E 50 direkt vom hauseigenen Tuner AMG zur Auslieferung kommt.

Von Jürgen Lewandowski

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