Mercedes-Benz Vito:Der Stern des Balkanlandes

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Kleintransporter sollen blühende Zukunft haben

(SZ vom 11.05.1996) Aggressive Modellpolitik und Präsenz in allen wichtigen Segmenten steht auf den Fahnen von Mercedes-Benz. Nächster Schritt ist der Einzug in die Arena der Vans und Kleintransporter zwischen 2,0 und 2,6 Tonnen Gesamtgewicht. Noch vor der Premiere der Großraumlimousine Viano im Herbst dieses Jahres hält die karosseriegleiche Transporter- und Kombiausführung Vito schon einmal Generalprobe und Tuchfühlung mit den neuen Käuferkreisen.

Bei der Namensgebung stand weniger die suggestive Wirkung des Begriffs Vitalität im Vordergrund, sie ist eher als Referenz an den Produktionsort im baskischen Vitoria zu sehen. Höchsten Qualitätsstandards entsprach die bereits dort produzierte Transportergeneration MB 100 und zudem bescherte der Standort die Exportvorteile eines Weichwährungslandes. Doch der Vito sollte nicht nur die Lücke zwischen Pkw und Transporter schließen, er sollte vom ersten Tag an verschiedenste Einsätze abdecken können. In die Entwicklungsphase einbezogene Aufbau- und Wohnmobilhersteller entwarfen zeitgleich ihre Fahrzeugeinrichtungen und erweiterten das Lieferspektrum vom Verkaufswert weg mit rund 100 verschiedenen Ausbauvarianten für Gewerbe und Freizeit. Praxisnutzen ist eine Meßlatte, Alltagstauglichkeit die andere. Mit 4,66 Meter Außenlänge und 1,87 Meter Höhe bereitet die Einfahrt in Tief- und Normalgaragen keinerlei Probleme und doch bleiben für den gewerblichen Nutzer 4,8 Kubikmeter Transportvolumen zur freien Disposition.

Nach Privatnutzern schielen

Eine rundgeschwungene Armaturenfront im Limousinendesign, Einzelradaufhängung rundum und serienmäßige Ausstattungsinhalte wie Fahrerairbag, Pollenfilter, ABS und ABD (Automatisches Bremsdifferential) machen klar: Hier wird mit mindestens anderthalb Augen nach Privatnutzern geschielt. Bei den Marketingstrategen aus Stuttgart heißt der künftige Wunschkunde denn auch 'Gemischtnutzer'. Der, der sein Auto werktags gewerblich oder freiberuflich nutzt und für das Wochenende oder im Urlaub einen variablen Kombi wünscht, befindet sich somit in deren Fadenkreuz. Nur die äußere Hülle erinnert beim Vito deshalb an einen Kastenwagen. Fahrwerk und 'Driveline' entsprechen Pkw-Niveau.

Drei Motorvarianten stehen im Angebot: Der auf Pkw-Ahnen zurückgehende, unelastische 2,3-l-Saugdiesel mit 58 kW (79 PS) bei 3800/min, das hubraumgleiche Aggregat mit Turboauflader und Ladeluftkühlung mit 72 kW (98 PS) bei 3800/min und ein 2,0-l-Benziner, der 95 kW (129 PS) bei 5300/min leistet. Die erste Begegnung offenbart die Stärken und Schwächen der verschiedenen Auslegungen: Wer bevorzugt leer durch die Gegend fährt, oder beladen nicht weit über die Stadtgrenzen hinauskommt, mag mit dem 79-PS-Diesel zufrieden sein; wer ernsthaft arbeiten muß, sollte aber zum Turbodiesel greifen.

Dieses Triebwerk verfügt über ein 30 Prozent höheres Drehmoment als der Benziner, 52 Prozent mehr als der Saugdiesel und über hervorragende Elastizitätskennwerte. Vielleicht noch ein Quentchen besser wird es der Viano gegen Ende des Jahres können, der von einem Sechszylinder aus dem Hause Volkswagen beflügelt wird. Den kompakt gebauten VR6- Motor kaufen die Schwaben nicht aus sprichwörtlichem Geiz, sondern aus purer Notwendigkeit hinzu. Kein anderer Sechszylinder würde sich quer in die Karosserie einbauen lassen.

Bei 4,66 Meter Fahrzeuglänge stehen immerhin 2,3 Meter lichte Ladelänge hinter der Trennwand zur Verfügung. Transporter-Rivale VW hat mit dem Transporter T4 dabei Probleme. Um den eigenen VR6-Triebsatz unterbringen zu können, mußte VW im Februar eine um 14 Zentimeter verlängerte Caravelle-Schnauze vorstellen. Die Wolfsburger fertigen jetzt zwei verschiedene Karosserievarianten für den gewerblich genutzten Transporter und die Großraumlimousine Caravelle. Derartige Kostenabenteuer erlauben sich die Schwaben bei Vito und Viano nicht. Mit nur einem lieferbaren Radstand und nur einer Dachform glaubt Mercedes 80 Prozent des Marktes im Bereich der 2,0- bis 2,6tonner erreichen zu können.

Höchstleistungen und Verbrauchsrekorde fördern kurze Begegnungen selten zu Tage. Der 'Stern des Baskenlandes' offerierte andere Stärken. Die Warmluftdüsen für die Seitenfenster lassen sich unabhängig von der Innenraumheizung regeln. Das bedeutet für den Fahrer: Unbeschlagene Seitenscheiben, auch wenn die Hauptheizung zum Aufwärmen kalter Füße nach unten gerichtet wird. Zwei tiefe Ablagefächer im Armaturenbrett der Beifahrerseite dürften begeistern, da beide DIN-A4-Format aufweisen. Wer 36 240 Mark zuzüglich Mehrwertsteuer zahlen kann, kommt als Eigner für die 79-PS- Dieselvariante in Frage. Finanzieller Spielraum vorausgesetzt, darf in einer langen Sonderausstattungsliste geschwelgt werden.

Von Ronald Partsch

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