Mercedes-Benz SLR McLaren:Zwei Seelen wohnen ach in diesem Chassis

Lesezeit: 3 min

Der schnellste Mercedes aller Zeiten sieht beeindruckend aus, überzeugt aber technisch nicht in allen Belangen.

Von Georg Kacher

Mercedes und die Silberpfeile - das ist ein Fortsetzungsroman, der in diesen Wochen sein erstes Happy End feiert. Die Rennwagen aus Stuttgart haben Motorsportgeschichte geschrieben, doch mit den davon abgeleiteten Serienmodellen wollte es lange nicht so recht klappen.

Drei Generationen Silberpfeil (Foto: Foto: DaimlerChrysler)

1991 wäre der vom Sauber-Gruppe-C-Wagen inspirierte C112 beinahe in Serie gegangen, aber dann machten die Schwaben einen Rückzieher. Auch der CLK-GTR, ebenfalls ein verkapptes Rennauto mit TÜV-Segen, wurde 1997/98 nur 25 Mal gebaut.

Erst im dritten Anlauf gelang Jürgen Hubbert und seinem Team der Durchbruch. Gemeinsam mit dem Formel-1-Partner McLaren, der in Kooperation mit BMW als frühes Meisterstück das viel beachtete F1-Mittelmotorcoupé auf die Räder gestellt hatte, entstand der SLR, die Neuinterpretation des klassischen Flügeltürers von 1955.

Das Serienauto übernimmt zwar die Formensprache vom 1999 gezeigten Show Car Vision SLR, doch die Proportionen haben sich deutlich verändert, und mit ihnen die jetzt absolut ausgeglichene Gewichtsverteilung.

Luxuriöse Enge

Das dient den Fahreigenschaften, schmälert aber den Platz im körpernah geschnittenen Innenraum: Während zwei Golfbags im 272 Liter großen Kofferraum entspannt reisen, fehlt es im Cockpit an Kopf- und Beinfreiheit. Dafür verwöhnt der Zweisitzer durch einen in dieser Klasse unerreichten Ausstattungsluxus mit Klimaautomatik, Telefon, Navigation, elektrisch verstellbaren Sitzen und Bose-Soundsystem.

Der Nachteil ist das hohe Leergewicht von 1768 Kilogeramm - damit wiegt der Mercedes rund ein Drittel mehr als Mitbewerber aus Maranello und Zuffenhausen. Nicht so recht in den exklusiven Rahmen passen Stilbrüche wie das klobige Multifunktionslenkrad, das hinter einer Blende versteckte Großserienradio und die biedere Instrumenten-Kombi.

Das Coupé mit der Formel-1-Nase kann es im oberen Geschwindigkeitsbereich durchaus mit Kimi Räikkönens Dienstwagen aufnehmen. Das Front-Mittelmotorcoupé sprintet in nur 3,8 Sekunden von Null auf 100 km/h, passiert nach 10,1 Sekunden die 200-km/h-Marke und ist 334 km/h schnell.

Sämig

Besonders beeindruckend ist die ebenso prompte wie sämige Kraftentfaltung: Selbst zwischen 150 und 250 km/h geht der Kraftkeil derart ungestüm voran, dass man meinen könnte, die Techniker hätten ihm neben dem Kompressor auch einen Nachbrenner gegönnt. Die künstliche Beatmung schlägt sich insbesondere bei Volllast auf den Verbrauch nieder, der vom Werk mit 14,8 Liter angegeben wird; in der Praxis geht jedoch unter 20 Liter so gut wie nichts.

Der um eine Trockensumpfschmierung bereicherte 5,4-Liter-V-8-Motor mobilisiert schließlich 460 kW (626 PS) und ein maximales Drehmoment von 780 Nm, zwischen 3250 und 5000 Umdrehungen. Im Gegensatz zu den filigranen Kraftübertragungen eines Enzo oder eines Carrera GT übernimmt im SLR eine konventionelle Fünfgang-Automatik die Schaltarbeit - keine exotische Lösung, aber flink und erstaunlich lernfähig.

Wir haben den Überflieger unter den unterschiedlichsten Bedingungen mehr als 500 Kilometer weit gefahren und uns am Schluss gefragt, was eigentlich den McLaren-Anteil an diesem Extrem-Coupé ausmacht. Gut: Die Karosseriestruktur besteht aus ultraleichter Kohlefaser; insgesamt aber ist das Auto stolze 748 Kilogramm schwerer als die erste Großtat von Chef-Entwickler Gordon Murray aus dem Jahre 1992.

Empfindlichkeiten

Auch das in England entwickelte Doppelquerlenker-Fahrwerk hinterlässt trotz aufwändiger Kinematik einen zwiespältigen Eindruck. Der Wagen wirkt bei hohem Tempo unruhig, die schnelle Kurvenfahrt wird auf welligem Belag speziell an der Hinterhand durch seitliche Anregungen gestört, und die Richtungsstabilität ist stets nur so gut wie die Fahrbahnbeschaffenheit.

Bleibt noch die Aerodynamik, für die ebenfalls McLaren zuständig ist. Die Briten verweisen stolz auf die Kombination aus wenig Auftrieb und viel Abtrieb, doch leider reagiert der Wagen ausgesprochen sensibel auf Seitenwind und Längsrillen. Ganz zu schweigen vom mit 0,37 mäßigen Cw-Wert.

Die Lenkung gibt sich bei moderaten Geschwindigkeiten und engen Radien mitteilsam und coupéhaft verbindlich. Mit zunehmendem Tempo werden die Reaktionen jedoch immer giftiger; bei Tacho 300 zeigen schon kleinste Kurskorrekturen große Wirkung.

Die Bremsscheiben aus Keramik sind theoretisch unempfindlich gegen Dauerstress und hohe Temperaturen. In der Praxis kommt die SBC-Anlage jedoch kaum auf Betriebstemperatur. Das führt zu nur durchschnittlicher Verzögerung und schlechter Dosierbarkeit bei relativ hohem Kraftaufwand.

Eine SLR-Besonderheit ist die Luftbremse in Form eines beweglichen Heckspoilers im XXL-Format, der im Ernstfall dem Fahrtwind einen Anstellwinkel von 65 Grad entgegensetzt und die Achslast um 167 Kilogramm erhöht. Zur Verbesserung der Richtungsstabilität fährt die Rückenflosse ab 100 km/h selbsttätig aus und wird im Zehn-Grad-Winkel fixiert; auf Knopfdruck sind sogar 30 Grad möglich.

Wunsch und Wirklichkeit

Seine Macher preisen den SLR als ideale Symbiose aus Supersportwagen und Gran Tourismo. Trotzdem kann der aufregend gestylte Flügeltürer nur bedingt überzeugen - er ist zu schwer, zu eng und zu unausgewogen. Was dem schnellsten Benz aller Zeiten fehlt, sind alltagstauglichere Bremsen, eine progressivere Lenkung und ein homogener abgestimmtes Chassis.

Doch selbst in optimierter Form erinnert der 425.000 Euro teure SLR zumindest auf der Straße eher an ein vollkommenes AMG-Coupé als an einen McLaren mit Mercedes-Technik. Aber was nicht ist, kann ja noch werden: Als Nachfolger des auf 3500 Einheiten beschränkten ersten Versuchs wird bereits eine puristischere und kompromisslosere Fahrmaschine diskutiert und so das nächste Kapitel in der Geschichte der Silberpfeile geschrieben.

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