Mercedes-Benz E-Klasse T-Modell:Für schnödes Schleppen viel zu schade

Der E 420 T durchbricht die 100 000-Mark-Schallmauer / Neue Motorvarianten stehen auch für die Limousinen bereit

(SZ vom 20.04.1996) Wir blättern in unseren Belegbänden zurück, ziehen die SZ-Ausgabe vom 27. Mai des vergangenen Jahres heraus - und lesen auf der Seite 57: 'Nach den ersten Kilometern in der neuen E-Klasse scheint klar, daß man mit diesem sorgfältig konstruierten Gefährt die nächsten Milliarden verdienen wird. Bis zu 300 000 Exemplare (inclusive T-Modell und Cabrio) plant man in Stuttgart in den kommenden Jahren zu produzieren. Und man wird sie wohl auch verkaufen können.'

Seit dieser ersten Begegnung mit der neuen E-Klasse ist nicht ganz ein Jahr vergangen, und die ersten Kilometer in der neuen Mittelklasse haben auch bei uns die Gewißheit wachsen lassen, daß die Stuttgarter mit ihrem Anspruch nicht so falsch liegen - mehr als 100 000 Exemplare wurden bereits gebaut und verkauft. Und dabei waren bislang noch nicht einmal alle Varianten erhältlich - doch nun folgen der langerwartete Kombi und vier neue Motorisierungsvarianten.

Drei Ausstattungslinien

Etwa jede zehnte verkaufte E-Klasse soll ein Kombi sein. Von Mai an stehen die gegenüber der E-Limousine um zwei Zentimeter längeren T-Modelle bei den Händlern - fast gleichzeitig mit dem kleineren C-Klasse-Kombi. Vorerst gibt es vier Motorisierungen und die drei bekannten Ausstattungslinien Classic, Elegance und Avantgarde. Hier die wichtigsten Daten:

oE 200 T: 2,0-Liter-Vierzylindermotor, 100 kW (136 PS), Höchstgeschwindigkeit 198 km/h, Beschleunigung von Null auf 100 km/h in 12,2 Sekunden, Durchschnittsverbrauch 9,4 Liter Super bleifrei, Preis 61 410 Mark.

oE 230 T: 2,3-Liter-Vierzylindermotor, 110 kW (150 PS), Vmax 205 km/h, Null auf 100 km/h in 11,2 Sekunden, Durchschnittsverbrauch 9,6 Liter Super bleifrei, Preis 65 090 Mark.

oE 420 T: 4,2-Liter-V8-Motor, 205 kW (279 PS), Vmax 245 km/h, Null auf 100 km/h in 7,3 Sekunden, Durchschnittsverbrauch 11,9 Liter Super bleifrei, Preis 104 995 Mark.

oE 290 T Turbodiesel: 2,9-Liter-Fünfzylindermotor, 95 kW (129 PS), Vmax 193 km/h, Null auf 100 km/h in 12,2 Sekunden, Durchschnittsverbrauch 6,8 Liter, Preis 65 090 Mark.

Anfang 1997 werden neue Sechszylinder-Aggregate und eine Variante mit Allradantrieb folgen. Mit dem Topmodell E 420 T dringt Mercedes in ein für Kombis sehr seltenes Leistungssegment vor - aber auch der Preis ist hoch über den Wolken angesiedelt. Mit einigen Extras läßt sich der Luxus-Laster, der ein Ladevolumen zwischen 600 und 1975 Liter bietet, leicht an die 120 000-Mark-Grenze treiben. Der Aufpreis gegenüber der Limousine beträgt 5175 Mark. Angesprochen auf die Maxime anderer Hersteller, den Kombi zum gleichen Preis anzubieten wie die Limousine, hieß es bei Mercedes: 'Bei Volvo wird der Preis der Limousine dem des Kombis angepaßt - und nicht umgekehrt.'

Im Vergleich zum Vorgängermodell, das nicht nur bei Taxifahrern und Bestattungsunternehmen, sondern vor allem als variables und nobles Freizeitfahrzeug beliebt war, bietet die dritte Generation des T-Modells rund 100 Liter mehr Laderaum - und einiges mehr an serienmäßiger Ausstattung. Besonders im beladenen Zustand macht sich die Niveauregulierung nützlich, aber auch an praktische Details wie eine Dachreling, ein Doppelrollo zur Abdeckung des ebenen Gepräckraums und eine Heckklappe mit Zuziehhilfe wurde gedacht. Auch die Airbags für Fahrer, Beifahrer und in den Vordertüren sind serienmäßig.

Die Verarbeitung macht einen äußerst soliden Eindruck - über das Design läßt sich aber geteilter Meinung sein. An die eigenwillige Frontpartie der E-Klasse hat man sich im Straßenbild inzwischen gewöhnt - aber die Heckpartie des Kombis wirkt erstaunlich langweilig. Sie hat keinen so kecken Schwung wie das T-Modell der C-Klasse, ist aber auch nicht so kantig und einprägsam wie beim Vorgänger - weder Fisch noch Fleisch.

Ganz eindeutig präsentiert sich hingegen das Fahrverhalten des T-Modells der E-Klasse. Bei einer ersten, kurzen Begegnung auf Landstraßen zwischen Wöbbel und Maspe überzeugte vor allem der Achtzylinder durch weiche, schier endlose Kraftentfaltung - er wird aber wohl eine Randerscheinung bleiben. Das Einstiegsmodell, der E 200 T, präsentiert sich ausreichend in Form, eine Spur besser steht der E 230 T im Futter. Am besten paßt aber der Turbodiesel zur Gesamtcharakteristik des eher ruhigen Kombis - und er kostet genau den gleichen Preis wie der 2,3-Liter.

Als Konkurrenz zu Audi

In der Zukunft sollen aber nicht nur die T-Modelle für weiter steigende Verkaufsziffern sorgen, sondern auch vier zusätzliche Motorisierungs-Varianten bei der Limousine den Umsatz steigern. Nachdem in dem ersten Produktionsjahr mehr die Basismodelle angeboten wurden, setzt man nun mehr auf Leistung und Prestige. So soll der E 290 Turbodiesel als erster Diesel-Direkteinspritzer den wieselflinken Audi TDI-Modellen einheizen, während der E 280 als kleiner Bruder des E 320 die Lücke zum deutlich kleineren E 230 zu füllen hat.

Obendrauf - als Sahnestückchen gewissermaßen - thronen nun zwei Achtzylindermodelle: der E 420 als Understatement-Vehikel für denjenigen, der sich in keiner S-Klasse sehen lassen mag - und der E 50 AMG, der den mittlerweile ziemlich abgedroschenen Begriff des Wolfs im Schafspelz perfekt erfüllt. Um gleich bei diesem (148 350 Mark teuren) Wagen zu bleiben - da scheiden sich die Geister. Und damit soll nicht die Grundsatzdiskussion gemeint sein, ob Autos dieser Art in irgendwelche Landschaften passen, sondern hier geht es mehr darum, ob Porsche-Fans mit großer Familie tatsächlich die auffälligen Spoiler, Kotflügelverbreiterungen und jenen sportlichen Chic benötigen, von dem der AMG reichlich mit auf den Weg bekommen hat.

Eigentlich hätten 255 kW (347 PS) und phänomenale Beschleunigungs- und Verzögerungswerte einen solchen Auftritt nicht nötig - der Wagen ist in seiner perfekten Melange aus Fahrverhalten, Drehmoment und Laufkultur auf derartige Attribute wirklich nicht angewiesen. Zweifellos tragen Fahrzeuge wie der E 50 AMG (oder vergleichsweise ein BMW M5), obwohl nur für wenige gebaut, entscheidend zu dem exzellenten Ruf der deutschen Automobilindustrie bei, der eine unserer Schlüsselindustrien weiter am Leben erhält.

Wenn man ehrlich ist, kann ein E 420 praktisch dasselbe, was auch ein E 50 kann: auch er erreicht 250 km/h Höchstgeschwindigkeit - und ob man Tempo 100 nach sieben Sekunden (E 420) oder schon nach 6,2 Sekunden (E 50) erreicht, ist bei unseren Straßenverhältnissen ebenfalls ohne Belang. So gesehen ist der 99 820 Mark teure Achtzylinder ein vernünftiger Kauf, wenn man bei 100 000 Mark für ein Auto von einem vernünftigen Kauf sprechen kann. Beeindruckend ist auch der Einsatz der Elektronik, die von dem serienmäßigen Fünfgang-Automatikgetriebe über die Anti-Schlupfregelung bis hin zur Motronic (DIN-Drittelmixverbrauch: 10,7 Liter Super bleifrei) die Technik so im Griff hat, daß nur noch angenehmes Dahingleiten angesagt ist.

Nach derartigen Fahrleistungen scheint der 142 kW (193 PS) starke E 280 erst einmal etwas schwach auf der Brust zu sein - doch der Eindruck täuscht: mit 230 km/h Höchstgeschwindigkeit ist auch diese 67 390 Mark teure Variante mehr als ausreichend motorisiert. Und mit einem Drittelmix von 10,4 Litern bleifrei Super beweist auch dieses Modell, daß die Motorenentwicklung große Fortschritte gemacht hat.

Bleibt der E 290 Turbodiesel - mit einem Basispreis von 59 915 Mark soll dieser 95 kW (129 PS) starke Selbstzünder den Spagat zwischen Diesel-Ökonomie und Otto-Temperament schaffen. Mit 200 km/h Höchstgeschwindigkeit stößt dieser Mercedes in Bereiche vor, die bislang für Dieselfahrer Terra incognita sein dürften - beeindruckender ist das Drehmoment von 300 Nm, das bereits bei 1800/min zur Verfügung steht, und die Wahl des Gangs fast überflüssig macht.

Daß der Kampf der Turbo-Diesel im Bereich der Leistungsentfaltung noch zugunsten des Audi ausgeht, der freier zu laufen scheint (und deutlich bessere Fahrleistungen erreicht) sollte uns aber nicht weiter beunruhigen - da haben die Stuttgarter im Versuch wenigstens noch etwas zu tun.

Von Otto Fritscher und Jürgen Lewandowski

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