Mercedes-Benz A-Klasse:Aller Anfang ist atypisch

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Das 3,57 Meter kurze Auto, das im Oktober auf den Markt kommt, ist für heuer schon ausverkauft

(SZ vom 28.06.1997) Wie fährt sie sich? Aus dieser Frage hat Mercedes-Benz in den vergangenen eineinhalb Jahren ein großes Geheimnis gemacht, obwohl den deutschen Autofahrern in einem gigantischen Werbefeldzug immer wieder suggeriert wurde, mit der A-Klasse breche eine neue Ära des Automobils an. In der Tat weist das bislang kleinste Auto mit einem Stern auf der Haube eine Vielzahl innovativer technischer Lösungen auf, doch nun kann die eingangs gestellte Frage beantwortet werden, weil die A-Klasse für erste Testfahrten zur Verfügung stand.

Schon die Sitzposition hält, was die Optik verspricht: 3,57 Meter kurz, aber 1,60 Meter hoch, hat man vom Fahrersitz der A-Klasse aus einen hervorragenden Überblick auf die Straße. Man sitzt etwa 20 Zentimeter höher als in einem normalen Pkw, aber thront nicht ganz so hoch wie in einer ausgewachsenen Großraumlimousine. Nicht zu sehen ist hingegen das Ende der Motorhaube, die steil nach vorne abfällt. Die Verstellmöglichkeiten der Vordersitze sind gigantisch, sie reichen sogar für 1,90-Meter-Männer locker aus. Die Kopffreiheit ist auf den Vordersitzen kein Thema, und die Verstellmöglichkeiten der Kopfstützen sind ebenfalls auf die Maße hochgeschossener Leute eingerichtet - ein äußerst lobenswertes Novum bei Autos dieser Klasse.

Ungewöhnlich knackig

Wenn man den Zündschlüssel dreht, meldet sich ein 1,4- oder 1,6-Liter-Vierzylindermotor zu Wort. Die 60 kW (82 PS) im A 140 reichen völlig aus, um das mit rund einer Tonne Gewicht vergleichsweise schwere Gefährt auf Touren zu bringen. Die Schaltung ist für MB ungewohnt knackig und leicht zu bedienen, während die Servolenkung nicht zu den leichtgängigsten Vertretern ihrer Art gehört. Das Fahrwerk ist komfortabel abgestimmt, es nimmt aber auch Unebenheiten wie Bahnübergänge nicht krumm. Beim Befahren schlechter Straßen knarzt und quietscht nichts - die Verarbeitungsqualität ist auch beim Ausspähen sonst kritischer Punkte (etwa im Kofferraum) absolut überzeugend. Nur die Windgeräusche, die an der A-Säule ab etwa 100 km/h auftreten, trüben den hervorragenden Gesamteindruck. Eine Spur vehementer geht der A 160 zur Sache, was bei 75 kW (102 PS) auch nicht verwundert. Allerdings hinterläßt dieses Triebwerk einen etwas unkultivierteren Eindruck als sein kleiner Bruder. Drehfreudig zeigen sich beide Aggregate. Die größte Überraschung ist den Ingenieuren aber mit den beiden Turbodieseln gelungen. Der 44 kW (60 PS) starken kleinen Version traut man locker zehn oder 15 PS mehr zu, so gut zieht sie aus niedrigen Drehzahlbereichen weg. Beeindruckend ist auch die Laufruhe dieses Aggregats, das eigentlich nur im Leerlauf als Selbstzünder zu entlarven ist.

Niedrige Verbrauchswerte

Die Gänge sind im A 160 Turbodiesel lang übersetzt: Bei Tempo 100 rollt man gerade mal mit 1800 Touren dahin. 4,5 Liter pro 100 Kilometer soll dieses Aggregat verbrauchen, in der Praxis dürften die Werte um die Fünf-Liter-Marke pendeln - ein sehr guter Wert. Noch eine Spur sportiver geht der leistungsstärkere Turbodiesel im A 170 zu Werke, der zwar den gleichen Hubraum aufweist, aber eine Leistung von 66 kW (90 PS) bietet. Subjektiv macht der A 170 Turbodiesel sogar einen kräftigeren Eindruck als der 1,6-Liter-Benziner. Das Fahrwerk darf als gutmütig bezeichnet werden, in schneller gefahrenen Kurven tritt eine leichte Tendenz zum Untersteuern auf.

Womit die wichtigsten Fragen wohl beantwortet wären. Hier noch einige weitere Eindrücke aus dem Wohnraum der A-Klasse: Vor dem Fahrer sind klar ablesbar nur wenige Anzeigeinstrumente zusammengefaßt, der Tacho zieht sich in einer Halbskala in die Breite. Gewöhnungsbedürftig ist hingegen die Abdeckung des Instrumentenkombis, die aufgesetzt wirkt. Positiv fallen die großen Ablagefächer in den Türen auf und auch das Handschuhfach ist trotz Beifahrerairbags nicht total verkümmert. Auf den Rücksitzen herrscht in etwa so viel Platz wie in einer C-Klasse, also nicht üppig, aber für vier Personen ausreichend. Überzeugend ist die Variabilität des Innenraums: Die Rückbank ist zweigeteilt und läßt sich leicht zurückklappen oder ganz ausbauen. Als Sonderausstattung läßt sich sogar ein ausbaubarer Beifahrersitz ordern, so daß eine Ladefläche von 2,60 Metern Länge entsteht.

In die Höhe geschossen

Die A-Klasse ist der neue Mini-Mercedes, bis im nächsten Frühjahr der Smart - die Koproduktion mit Swatch - fertig ist. Beide Autos symbolisieren einen Umdenkprozeß, der vor einigen Jahren bei Daimler eingesetzt hat, und der sich nun in Produkten manifestiert. Deshalb eine Rückblende und eine kurze Bestandsaufnahme: Sich neue Märkte zu erschließen, ist wohl die größte Herausforderung für ein Automobilunternehmen in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Diese neue Konzern-Strategie ist wohl aber auch die einzige Möglichkeit, auf Dauer konkurrenzfähig zu bleiben und noch zu expandieren. Bei Mercedes-Benz laufen die Geschäfte zur Zeit hervorragend: 1996 war ein Rekordjahr, die Stuttgarter produzierten 645 000 Automobile, und heuer sollen es noch mehr werden: Die Auto-Tochter des Daimler-Konzerns will die 700 000-Grenze überschreiten.

Angesichts des zunehmenden Verkehrs kann ein platzsparendes Auto nur kurz werden; um ausreichend Innenraum zu bieten, muß es dann in die Höhe wachsen. Das hat die Abkehr vom klassischen Three-box-design zur Folge: Bisher gab es drei getrennte "Schachteln" für den Motor, die Passagiere und das Gepäck, die optisch und funktionell klar voneinander getrennt waren. Die A-Klasse kommt im Design eines Minivans daher, der in der Waschmaschine zu heiß gewaschen wurde und deshalb geschrumpft ist. Das One-box-design brachte aber auch für die Techniker neue Herausforderungen, die nicht auf konventionelle Weise gelöst werden konnten. So haben Motor und Getriebe eine beinahe dreieckige Gesamtform - und die Aggregate sind so eingebaut, daß sie im Falle eines Zusammenstoßes nicht in den Passagierraum eindringen können, sondern praktisch unter den Sitzen hinwegrutschen: Unterflur nennt sich dieses Konzept. Neu ist auch die Sandwich-Bauweise: Grob gesagt, sitzt man in der A-Klasse auf einer Art Hohlraum, der durch Längs- und Querträger begrenzt und stabilisiert wird. In diesen Hohlraum kann im Falle eines Crashs die Antriebseinheit wegtauchen - hier liegt aber auch der Raum, den künftige Antriebsformen wie die Brennstoffzelle einmal ausfüllen werden. Die ungewöhnliche Form des Motors stellte auch die Versuchsingenieure vor Probleme, als sie ein vorhandenes Auto suchten, in das das Aggregat zu Testzwecken eingebaut werden sollte. Der Motor paßte nirgends hinein, bis man es mit einem VW-Bus versuchte. Sechs dieser Gefährte waren mit den A-Klasse Motoren unterwegs.

Ein Jahr Wartezeit

Vor beinahe vier Jahren wurde dieses Konzept auf der IAA 1993 vorgestellt, in einer Studie mit dem Namen Vision A. Im Oktober dieses Jahres werden dann die ersten Kunden ihre A-Klasse in Empfang nehmen dürfen. Wer jetzt erst einen Kaufvertrag unterschreibt, muß sich mit einer Lieferzeit von bis zu einem Jahr abfinden. Zwar heißt es offiziell, wer jetzt bestelle, dürfe mit einer Auslieferung im ersten Quartal 1998 rechnen, aber wenn der Zulauf anhält - pro Tag werden zwischen 400 und 500 Kaufverträge unterschrieben -, wird die Geduld wohl auf eine längere Probe gestellt werden. 28 000 A-Klassse-Modelle werden heuer noch produziert - sie sind längst ausverkauft. Im neuen Werk in Rastatt sollen nächstes Jahr etwa 170 000 Modelle für den europäischen Markt produziert werden.

In Deutschland beginnt die Auslieferung im kommenden Oktober, und zur Wahl stehen erst einmal zwei Benzinmotoren mit 1,4 und 1,6 Litern Hubraum. 1998 folgen dann die beiden Dieselvarianten - und jetzt ist schon klar, daß in Zukunft auch ein Cabrio folgen wird.

Die wichtigsten technischen Daten:

- A 140: 1,4-Liter-Vierzylinder-Motor mit zwei Ventilen pro Zylinder, Leistung 60 kW (82 PS), Höchstgeschwindigkeit 170 km/h, Beschleunigung von Null auf 100 km/h in 12,9 Sekunden, Durchschnittsverbrauch 6,8 Liter Super bleifrei auf 100 Kilometer.

- A 160: 1,6-Liter-Vierzylinder-Motor, Leistung 75 kW (102 PS), Höchstgeschwindigkeit 182 km/h, Beschleunigung von Null auf 100 km/h in 10,8 Sekunden, Durchschnittsverbrauch 6,9 Liter auf 100 Kilometer.

- A 160 Turbodiesel: 1,7-Liter-Vierzylinder-Turbodieselmotor mit vier Ventilen pro Zylinder, Leistung 44 kW (60 PS), Höchstgeschwindigkeit 153 km/h, Beschleunigung von Null auf 100 in 17,7 Sekunden, Durchschnittsverbrauch 4,5 Liter Diesel auf 100 Kilometer.

- A 170 Turbodiesel: 1,7-Liter-Vierzylinder-Motor, Leistung 66 kW (90 PS), Höchstgeschwindigkeit 175 km/h, Beschleunigung von Null auf 100 km/h in 12,5 Sekunden, Durchschnittsverbrauch 4,9 Liter Diesel auf 100 Kilometer.

Wesentliche Zahlen sind auch die Preise - und die sind zwar kein Sonderangebot, aber für Mercedes-Verhältnisse erstaunlich vernünftig. Drei Ausstattungslinien stehen zur Wahl: Classic als Basisausführung sowie Elegance und Avantgarde, die sich eher an sportlich orientierte Fahrer wenden. Der A 140 kostet 30 360 Mark, der A 160 schlägt mit 32 430 Mark zu buche. Der A 170 Turbodiesel steht mit 34 385 Mark in der Preisliste - jeweils in der Classic-Ausstattung. Wer sich die Linien Elegance oder Avantgarde gönnen will, muß rund 2600 Mark mehr berappen. Als wichtigste Sonderausstattungen dürfen eine Klimaanlage (2300 Mark) und ein Radio (ab 800 Mark) gelten.

Die A-Klasse ist ein für Mercedes-Benz bisher untypisches Auto, das aber den Weg in die Zukunft weist. Wenigstens eines ist konstant geblieben: die lange Aufpreisliste. Wer alle Extras, die es gibt, bestellt, kann ungefähr noch einmal 30 000 Mark ausgeben. Damit kommt eine überkomplett ausgestattete A-Klasse auf mehr als 60 000 Mark - wieder einmal ein Weltrekord für Mercedes-Benz.

Von Otto Fritscher

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