Lancia Thema Turbo 16V LX:Luxus in schlichter Verpackung

Ein nahezu komplett ausgestattetes Auto für 72 000 Mark / Der Turbomotor leistet 177 PS

(SZ vom 21.03.1992) Unter den Argusaugen der Konzernmutter Fiat hat das Turiner Haus Lancia sein Image als Hersteller von Limousinen mit individuellem Charakter, Luxus und Sportlichkeit zu pflegen. So gilt der Thema als schlichter, aber durchaus prestigeträchtiger Vertreter der Oberklasse, der bisher von drei verschiedenen Motoren in insgesamt sechs Leistungsversionen angetrieben wurde.

Wobei das Spitzenmodell bis vor wenigen Monaten in puncto Motorisierung und Ausstattung Akzente nicht nur für diese Modellreihe, sondern für die ganze Marke setzte. Sein Clou: Die Exklusivität blieb Ahnungslosen verborgen und adelte den Thema 8.32 zur der perfekt getarnten Understatement-Limousine schlechthin. Sein Geheimnis: ein Ferrari-V8-Aggregat mit 32 Ventilen unter der Fronthaube und die luxuriöse Innenausstattung. Weil aber Ferrari nicht länger für Lancia Motoren bauen wollte, hatte der 8.32 aus dem Programm zu verschwinden. Nun schwärzen die Turiner den weißen Fleck der Modellreihe mit einem neuen Thema- Spitzenmodell: dem Turbo 16V in LX- Ausführung.

Schon die Typenbezeichnung verrät, daß die Motorentechnik dieses Modells aus den Lancia-Regalen stammt und nicht mehr das Etikett des Cavallino Rampante trägt. Hier schnurrt und atmet erprobte Rallye-Technik unter der Motorhaube. Sie stammt aus dem Delta Integrale, dem sie in der Gruppe A-Rennversion rund 400 PS bereitstellt. Lancia gewann damit bekanntlich zahlreiche Weltmeistertitel. In einer zivilen Version darf dieser 2,0-l-Vierzylindermotor den Thema bereits seit 1988 antreiben, wobei der Turbo 16V mit Ladeluftkühlung derzeit bei 5500 Touren stolze 130 kW (177 PS) an die Vorderachse liefert.

Daß der Fronttriebler dieser Leistung gewachsen ist, verdankt er seinem zum LX-Paket gehörenden elektronischen Fahrwerk mit Niveauregulierung an der Hinterachse. Auf Knopfdruck kann eine sportlich-straffe oder mehr komfortable Dämpfereinstellung gewählt werden, die sich bei Zuladung automatisch korrigiert und für optimale Traktion sorgt. Darüber hinaus filtert die ebenfalls serienmäßige Servotronic störende Lenkeinflüsse aus, ohne den guten Fahrbahnkontakt zu beeinträchtigen.

Die Kombination aus einem relativ kleinen Garrett-Lader und dem 16V-Zylinderkopf garantiert das spontane und kräftige Ansprechen schon bei vorsichtigem Beschleunigen. Unter Vollast erhöht sich der Ladedruck durch Overboost kurzzeitig auf mehr als ein Bar und aktiviert so Sicherheitsreserven, die man beim Überholen nutzen kann. Wegen ihrer reichhaltigen, aber auch gewichtigen Ausstattung erhielt die LX-Version ein kürzer übersetztes Fünfganggetriebe: Nur damit konnte die Agilität des um 22 000 Mark preiswerteren, gleich starken Thema Turbo 16V beibehalten werden. Den Sprint aus dem Stand auf 100 km/h absolvieren beide in 8,0 Sekunden, während die LX-Version leicht unter der Höchstgeschwindigkeit des schlichter ausgestatteten Bruders bleibt. Bei 220 km/h für den LX sollten allerdings zwei Stundenkilometer Differenz keinen Anlaß zu Diskussionen geben.

Auch wenn der Motor des Turbo 16V LX nicht die Souveränität eines Ferrari-V8-Triebwerks ausstrahlen kann, so darf seine Leistungsentfaltung dennoch als ausgesprochen kultiviert gelten. Kraft und Laufkultur stellen ihn in die Nähe eines BMW 535i, Mercedes-Benz 300 E-24 und Opel Omega 3000 24V.

Neben schwarz eloxierten Türgriffen und Scheibenrahmen weisen nur verchromte Gitterstäbe des Kühlergrills und das Design der Leichtmetallfelgen darauf hin, daß hier ein Lancia Thema in der LX- Spitzenversion unterwegs ist. Daß für sie die Farben der Außenhaut neu gemischt wurden, dürfte nur wenigen auffallen. Doch die im Prospekt aufgeführten Bezeichnungen 'Black Metallescente', 'Blue Madras Metallescente' und 'Verde York Pastell' hinterlassen - zumindest bei Jenen, die stolze Namen für schlichte Farben schätzen - ein Gefühl der Noblesse.

Ihre wahren Qualitäten offenbart die LX-Version den vier Passagieren aber erst auf langen Strecken. Komfortable Einzelsitze mit gutem Seitenhalt und elektrischer Verstellbarkeit auch hinten, Mittelarmlehne vorn, sowie die Verwendung erlesener Materialien wie Alcantara, Leder vom italienischen Hersteller Poltrona Frau und Wurzelholz künden von der italienischen Philosophie des schöner Wohnens unterwegs, wobei das Armaturenbrett stark an das bisherige Spitzenmodell 8.32 erinnert. Seine Funktionalität ist unbestritten. Einzig das recht flach liegende Leder-Speichenlenkrad und die zarten drei Hebelchen an der Lenksäule für Licht, Richtungsanzeiger und Scheibenwischer verlangen von nicht-italophilen Autofahrern hohe Toleranzschwellen.

Wenn ein Kunde 72 000 Mark für diesen nahezu komplett ausgestatteten Thema Turbo 16V LX ausgibt, bekommt er selbstverständlich auch einen automatischen CD-Plattenwechsler, Sitzheizung vorn, Colorverglasung, elektrische Fensterheber und Zentralverriegelung. Die Aufpreisliste ist recht kurz: Sie umfaßt nur eine elektronische Klimatisierungsautomatik mit Anti-Pollenfilter, eine Komplett-Lederausstattung und ein elektrisch zu steuerndes Schiebe- und Hubdach. Einen Airbag hingegen darf man erst in der zweiten Jahreshälfte '92 erwarten.

So bietet der neue Thema praktisch keine aufsehenerregenden Innovationen. Er präsentiert sich vielmehr als Neuauflage der bewährten Rezeptur, die Luxus in schlichter Verpackung verspricht. Er signalisiert bescheidenes Understatement nach außen, verwöhnt im Fahrgastraum mit schönen und angenehmen Dingen und bietet darüber hinaus ein für sportliche Fahrleistungen geradezu prädestiniertes 2,0-l-Turbo-Aggregat. Dennoch will Lancia nicht ausschließen, daß irgendwann einmal wieder ein Ferrari-Motor unter einer Thema-Haube für steigenden Blutdruck sorgt.

Daß dem Thema bis dahin eine durchzugskräftige Version auf Basis des 2,8-l- V6-Aggregats gut zu Gesicht stünde, bleibt außer Frage. Doch ihrem Einsatz steht die italienische Steuergesetzgebung im Wege, die Autos mit Motoren über zwei Liter Hubraum mit Luxussteuern belegt. Deshalb darf der Luxus-Thema im hiesigen Verständnis als Oberklasse-Limousine mit sportlicher Mittelklasse-Motorisierung gelten, wobei sie zweifellos über eine ausgezeichnete Laufkultur verfügt. So gesehen ist der Thema Turbo 16V LX durchaus eine Thema für die Oberklasse - wenn das Sein wichtiger ist als der Schein.

Von Jürgen Zöllter

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