Hightech-Autoglas:Trickfilm im Seitenfenster

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Glas ist noch ein Stiefkind des Autobaus: Jeder Wagen hat ganz viel davon - aber kaum einer weiß, was es alles kann. Es schützt vor Hitze und Wasser, verdunkelt sich auf Knopfdruck und könnte künftig gar zum Entertainment-Center mutieren.

Von Sebastian Viehmann

Wenn Jean-Luc Picard, Kapitän des Raumschiffs Enterprise, nach einem langen Arbeitstag genug Galaxien gerettet hat und sich zur Ruhe bettet, braucht er die Vorhänge nicht zuzuziehen. Denn die riesigen Fensterscheiben in seinem Quartier verdunkeln sich ganz von selbst und sperren das gleißende Sternenlicht aus. Zukunftsmusik? Von wegen - das Geheimnis heißt elektrochromes Glas und ist längst Realität.

Eine Folie im Glas dient dem Lärmschutz und nimmt vielen anderen Geräuschen die Schärfe. (Foto: Foto: Sekurit)

Der Ferrari Superamerica, eine Cabrio-Variante des 575M Maranello, hat so ein Glasverdeck (hergestellt vom bayerischen Zulieferer Webasto). Es lässt je nach Wunsch und Stimmung der Passagiere in einer stufenlosen Einstellung mehr oder weniger Licht durch. Möglich machen das Schichten im Glas mit verschiedenen chemischen Elementen, die sich beim Anlegen einer niedrigen Stromspannung (+/- 1,5 Volt) verbinden oder entkoppeln. Die gesamte Scheibe ist dabei nur einen halben Zentimeter dick.

Was man mittlerweile alles mit Autoglas anstellen kann, hat jetzt auch der französische Glas-Gigant Saint-Gobain Sekurit gezeigt. Der Konzern ist weltweit der drittgrößte Autoglas-Hersteller mit einem Marktanteil von 22 Prozent. In Europa hat sogar fast jedes zweite Auto Scheiben aus dem Hause Sekurit.

Immer wichtiger - und auch beliebter - wird Lärmschutz- und wärmeabweisendes Glas. Auch hier steckt das Erfolgsgeheimnis in speziellen Folien. Eine akustische Folie - hergestellt aus dem fast unaussprechlichen Material Polyvinylbutyral - sorgt dafür, dass die niederfrequenten Schwingungen aus dem Motorraum um bis zu sechs dB und Windgeräusche um bis zu 10 dB verringert werden. Das ist bezogen auf das jeweilige Gesamtgeräusch nicht viel. "Aber vielen Geräuschen wird durch das Schallschutzglas ihre unangenehme Schärfe genommen", so Sekurit-Sprecher Volkmar Offermann.

Eine enorme Rolle dürfte zukünftig die Wärmeschutzverglasung spielen. "Das wirkt wie eine Sonnenmilch mit Lichtschutzfaktor 50", sagt Offermann.

Hinzu kommt: Der Anteil der Glasfläche bei neuen Autos steigt stetig. Waren es 1980 noch durchschnittlich drei Quadratmeter, so sind es heute schon viereinhalb. Schaut man sich die Konzeptstudien der vergangenen Zeit an, geht der Trend ohnehin zur Vollverglasung. Showcars wie der Mazda Hakaze oder der Toyota Hybrid X haben praktisch gar kein normales Dach mehr - alles ist durchsichtig. Schon jetzt schießen Autos mit Panorama-Glasdächern wie Pilze aus dem Boden.

Das allerdings bringt ein Problem mit sich: Der Innenraum heizt sich stärker auf, und die Klimaanlage muss mächtig ackern. Das wiederum erhöht den Benzinverbrauch. Eine paradoxe Situation kann auch das modernste Glas nicht verhindern: Die Aussicht nach draußen wird zwar bei neuen Autos immer besser - die Übersicht nach vorn und hinten beim Rangieren aber immer schlechter.

Auch wer schon einmal bei einer Panoramawindschutzscheibe den Eiskratzer ansetzen musste, weiß, dass moderne Käseglocken-Autos nicht nur Vorteile haben. Aber auch da ziehen die Scheibenhersteller nach: Heizbare Frontscheiben sind auf dem Vormarsch.

Mit einer speziellen Behandlung kann hydrophobes Glas sogar Wasser abweisen. Eine Beschichtung auf der Scheibe ändert die Oberflächenspannung der Wassertropfen und verhindert bis zu einer gewissen Regenstärke, dass sich ein Wasserfilm auf der Scheibe bildet. Die Tropfen nehmen eine Kugelform an und werden vom Fahrtwind weggeweht. Allerdings muss die Beschichtung nach etwa drei Jahren erneuert werden.

Doch Autoglas kann noch viel mehr. Sekurit denkt bereits über Scheiben nach, bei denen das Durchgucken zur Nebensache wird. Sie sollen ohne Hilfe von Projektoren Navigationshinweise oder Verkehrszeichen anzeigen und je nach gewünschter Stimmung beleuchtet werden. Die Seitenscheiben könnten zudem zu Entertainment-Centern mutieren, in denen sich Kinder Zeichentrickfilme anschauen oder ältere Passagiere im Internet surfen können.

Das wichtigste Produkt der französischen Glasmacher ist allerdings immer noch das normale Verbundglas, mit dem seit vielen Jahren standardmäßig jede neue Windschutzscheibe ausgerüstet ist. Es besteht aus zwei Schichten Glas mit einer 0,8 Millimeter dünnen Kunststoff-Folie dazwischen. Bei einem Unfall zersplittert die Scheibe nicht, so dass Insassen nicht aus dem Auto geschleudert werden und beim Aufprall auf die Scheibe ein geringeres Verletzungsrisiko besteht.

Am liebsten sähe es Sekurit natürlich, wenn auch alle Seitenscheiben, Heckfenster und Panoramadächer aus Verbundglas wären. Und das nicht nur aus Sicherheitsgründen: Sekurit-Sprecher Offermann demonstrierte mit Handschuhen und Schutzbrille, wie leicht man normales Einscheiben-Sicherheitsglas zerstören kann: Schon der Schlag mit einem kleinen Metallstift reicht aus, und das vorgespannte Glas zerbröselt im Bruchteil einer Sekunde vollständig. Langfinger haben so leichtes Spiel, wenn sie etwa aus einem geparkten Auto schnell die teure Kamera vom Beifahrersitz stehlen wollen.

Verbundglas dagegen hält selbst mehreren Schlägen mit einem Baseballschläger stand, bevor auch nur ein Loch entsteht. Der Glas-Panzer stellt allerdings auch die Feuerwehr vor Probleme, wenn sie eingeklemmte Unfallopfer befreien oder das Dach für eine schonende Rettung von Verletzten aufschneiden muss. Die Rettungskräfte sind deshalb schon heute mit einer speziellen Handsäge ausgerüstet, mit der sich auch Verbundglas in kurzer Zeit durchtrennen lässt.

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