Harley-Davidson Softail:Im Sauseschritt vorwärts in die Vergangenheit

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Die neue Modellreihe des amerikanischen Herstellers bietet neue Technik - jährlich sollen 200 000 Exemplare verkauft werden

(SZ vom 04.08.1999) Wer heute als Ingenieur den Auftrag erhält, ein neues Motorrad zu konzipieren, hat es zwar nicht leicht, genießt aber den Vorteil relativer Gestaltungsfreiheit. Wenn der Auftraggeber allerdings Harley-Davidson heißt, hat es ein Konstrukteur schwer: Denn das mittlerweile 96 Jahre alte Unternehmen stellt die einzige übrig gebliebene Motorradfirma der Vereinigten Staaten dar und weiß eben diese Tatsache seiner konsequenter Traditionspflege zu verdanken. Eine Harley hat nun mal auszusehen wie Harleys schon immer aussehen. Insofern hatten es Dave Rank, John Schanz und Ben Vandenhoeven ganz besonders schwer: Sie sollten die Softail-Baureihe völlig erneuern, ohne aber deren Erscheinungsbild zu verändern. Immerhin sind die Softails unter den 160 000 jährlich produzierten Harleys am meisten gefragt. Das Ergebnis der konstruktiven Mühen darf man als gelungen bezeichnen.

Sechs Modelle umfasst die Softail-Baureihe: Die Softail Standard (Kürzel FXST) beschränkt sich auf das, was ein Cruiser unbedingt braucht: vor allem viel Motor. Die Night Train (FXSTB) ist ein sehr naher Verwandter und kommt ausschließlich in Schwarz daher. Die Fat Boy (FXSTF) weist erhebliche Fahrwerksveränderungen und ein deutlich höheres Gewicht auf, die Heritage Softail Classic (FLSTC) hat mit dem "fetten Kerl" zwar manches gemeinsam, trägt aber eine Windschutzscheibe sowie auffällige Zusatzlampen und ist damit reisetauglich. Bei allen vier Modellen erfolgt die Vorderradführung per Telegabel. Diese Arbeit verrichtet bei der Springer Softail (FXSTS) eine Springer-Gabel mit außen liegenden Federn - ein perfekter Hingucker. Dieses Detail ziert auch die Heritage Springer (FLSTS), die noch viele zusätzliche Ausstattungsdetails aufweist, sodass man mit ihr ebenfalls gern auf Reisen geht. Abhängig von der Ausstattung schwanken die Preise: Sie werden voraussichtlich zwischen 27 000 und 36 000 Mark und damit etwa fünf Prozent über denen der Vormodelle liegen.

Gemeinsam ist den sechs Softail-Modellen ein neuer Rahmen mit der Starrrahmen-Optik sowie die Ausstattung mit dem Twin-Cam-Triebwerk. Dabei handelt es sich um einen 1440 cm3 großen V2, dessen luftgekühlte Zylinder im Winkel von 45 Grad zueinander stehen. Weitere Merkmale der Motoren: ungeregelter Katalysator, Leistung je nach Modell zwischen 46 kW (63 PS) und 49 kW (67 PS) bei nur wenig über 5000/min. Gegenüber dem früheren Evolution-Motor sind deutlich reduzierte Vibrationen spürbar. Beim Fahren stellen sich die Triebwerke als angenehme Partner dar; ihre Kraft genügt fürs Cruising vollauf, obwohl keine der Softails weniger als 305 Kilogramm wiegt.

Zahllose Detailmodifikationen führen zu leichterer Bedienbarkeit und besseren Fahreigenschaften: Endlich sind die Bremsen mehr als nur Dekorationsartikel, der Öltank ist größer, der Benzintank jetzt einteilig, die Ölkontrolle fällt leichter, die Elektrik ist besser aufgeräumt. Rund 2100 Einzelteile ergeben in der neuen Harley-Fabrik in York/Pennsylvania eine Softail; nur 19 Teile der alten Softails dürfen den Schritt ins Jahr 2000 mitmachen. Auch wenn man es als Betrachter kaum glauben mag: Der Rest ist tatsächlich neu. "Wir haben alles geändert, ohne etwas zu ändern", formuliert es ein Harley-Manager.

Die Herren aus Milwaukee befinden sich überhaupt auf einem bemerkenswerten Weg: So wollen sie schon innerhalb von drei Jahren die Produktion von zuletzt 160 000 Fahrzeugen auf 200 000 Stück im Jahr erhöhen. Und noch immer läuft ein Motorentwicklungsprojekt, in das Porsche involviert ist - hartnäckig hält sich die Vermutung, es könne sich um die Konstruktion eines völlig neuen, möglicherweise wassergekühlten Motors handeln. Kommt er vielleicht zum 100-jährigen Firmenjubiläum im Jahr 2003 und treibt eine mächtige Reise-Enduro an? Andererseits zeigt die Präsentation der neuen Softail-Reihe, dass man bei Harley-Davidson auf Kontinuität setzt - eine Harley muß auf Anhieb als Harley erkennbar sein - da scheint kein Platz für Revolutionen. Und doch gibt es sie: Bereits nach kaum einem Jahr Bauzeit modifiziert man das Modell Dyna Super Glide Sport. So kommt eine neue Telegabel mit progressiven Gabelfedern zum Einsatz und hinten gibt es neue Federbeine. Zum verbesserten Fahrverhalten soll die veränderte Bereifung beitragen. Eine durchaus tiefgreifende technische Überarbeitung nach nur einem Jahr Bauzeit - das ist, zumindest für Harley-Verhältnisse, einer Revolution gleichzusetzen. Vielleicht ist es aber auch einfach so, dass beim ältesten Motorradhersteller der Welt plötzlich (fast) alles möglich ist und Tradition und Revolution Hand in Hand gehen können.

Von Ulf Böhringer

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