Genf 2008:Die Reife-Prüfung

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Der Genfer Autosalon öffnet seine Tore. Wir stellen eine Auswahl der wichtigsten Neuheiten und Trends vor.

Jörg Reichle

Der größte Feind des Autos ist sein Erfolg. Mehr als 66 Millionen Fahrzeuge wurden 2007 weltweit produziert und gerade schickt sich Indien mit dem Volksmobil Tata Nano an, den globalen Autoüberschuss noch zu vergrößern. Geplante Stückzahl für das Kleinstgefährt, das umgerechnet ganze 1700 Euro kostet: 250.000 pro Jahr. Kein Wunder, dass der Uno-Klimarat IPCC düster prophezeit, dass der globale CO2-Ausstoß bis 2030 gegenüber heute um 80 Prozent zunehmen werde - vor allem durch den wachsenden Personenverkehr.

Audi A4 Avant: der "Traum aller Fuhrparkmanager", schrieben die Kollegen von der österreichischen Autorevue. (Foto: Foto: Audi)

Deutsche Hersteller wollen zeigen, dass Sie keinen Trend verschlafen

Der kleine Tata Nano wird auch auf dem Genfer Autosalon zu sehen sein, der in der kommenden Woche beginnt (6. bis 16. März). Doch im Mittelpunkt des wichtigsten Stimmungstests der Branche zum Jahresbeginn werden weder er noch das Weltklima stehen - jedenfalls nicht so demonstrativ wie auf der Frankfurter IAA im vergangenen Herbst, wo die Autos unter lauter grünen Mäntelchen verschwanden. Was aber nicht heißt, dass Verbrauch und Emissionen in Genf kein Thema sind, im Gegenteil.

Vor allem die deutschen Hersteller bemühen sich nach wie vor, das Stigma loszuwerden, den wichtigen Trend verschlafen zu haben. Folgerichtig zeigt BMW neben den Cabrios vom Einser und M3 und dem wundersam geklonten Geländecoupé X6 eine Hybrid-Studie des X5, die nur noch 6,5 Liter auf 100 Kilometer verbrauchen soll.

Auch Mercedes will da nicht zurückstehen. Natürlich wird alle Welt dem vordergründigen Charme des CLC, des neuen SL und des gelifteten SLK erliegen. Aber hinter der bunt bemalten Kulisse wird man in Genf auch die sogenannte Blue-Efficiency-Spritspartechnik präsentieren. Minderverbrauch laut Hersteller: bis zu zwölf Prozent. Für 400 Euro Aufpreis sollen zunächst die Modelle C180K und C200CDI aufgerüstet werden können: weniger Gewicht, Leichtbaufelgen, bessere Aerodynamik, also etwa dasselbe, was Ford unter dem Namen Econetic schon auf dem Markt hat. Ein Start-Stopp-System, wie es BMW anbietet, bekommt man bei Mercedes erst mit der nächsten Vierzylinder-Generation. Dafür zeigt man den kompakten Geländewagen GLK in Genf schon als Diesel-Hybrid. Eine Studie, wohlgemerkt.

Schwer tun sich die Schwaben derzeit im Design. So registriert man in jüngster Zeit eine merkwürdige Unsicherheit der Formgebung, die jenseits einer erkennbaren Markenidentität zwischen Extremen pendelt. Beispiel SL: Die Sportwagenlegende wurde in der neuesten Auflage vorn recht kantig. Hinten beließ man ihm aber die gewohnte kraftvolle Rundlichkeit.

Unentschiedenes Design bei der Sportwagenlegende SL: vorne recht kantig, hinten kraftvoll rundlich. (Foto: Foto: Mercedes)

Und wie der extrem kantige GLK die Rolle eines typischen Mercedes spielen soll, erscheint rätselhaft. Er sieht eher wie ein grimmiger Spross der amerikanischen Jeep-Familie aus. In Stuttgart jedenfalls bereitet man sich auf den Wechsel an der Spitze des Designs noch in diesem Jahr vor und es trillern die Spatzen von den Dächern, dass der designierte Nachfolger von Peter Pfeiffer aus den eigenen Reihen stammt. Seine Handschrift ist in Genf bereits zu sehen.

Achterbahn des Designs: Mercedes tut sich momentan schwer

Kein Formproblem dagegen bei Audi. Hier gibt es zwar Defizite bei der umweltfreundlichen Technik - laut einer Imagestudie der Zeitschrift auto, motor und sport liegen BMW und Mercedes in der öffentlichen Wahrnehmung hier weit vorn - doch das Design dürfte auch in Genf Anerkennung ernten.

Der neue A4 Avant, "Traum aller Fuhrparkmanager", wie die Kollegen der Autorevue geschrieben haben, ist um zwölf Zentimeter gewachsen und fasst bis zu 1430 Liter Gepäck. Das heißt, es wird kein Laster aus ihm, aber fürs Gängige reicht es. Dafür ist er schön wie ein Audi, so technisch versiert wie die Limousine und genauso seriös verarbeitet. Und natürlich ein bisschen teurer. 27550 Euro sollte man mindestens aufbringen können. Bestellen kann man ab sofort.

Und weil wir schon beim Design sind. Ford, die einstige Biedermarke, wird sich in Genf mit zwei neuen Kreationen des sogenannten Kinetic Design hervortun. Der neue Fiesta hat sich aus der Kleinwagen-Tristesse befreit und atmet jetzt mit gewaltig hochgezogener Flanke, grimmig-großem Grill und betont modellierten Radhäusern sichtbar auf. Die Form ist gelungen, rückwärts einparken müssen ja sowieso erst die Käufer. Der neue Ka, der im Herbst auf den Markt kommt, wird übrigens aussehen wie ein geschrumpfter Fiesta - sympathisch und wirklich sehr klein.

Audi A4 Avant
:Mehr A4

Der neue Streich aus Ingolstadt: Audi präsentiert den neuen A4 Avant als weiteres Kapitel in einer bereits sehr langen Geschichte - der erste Kombi mit dieser Bezeichnung war 1977 der 100 C2 Avant.

Dass die Kölner trotz schrumpfender Marktanteile den Mut nicht verloren haben, belegt nicht zuletzt der Geländewagen Kuga - auch er ein schnittiges Kinetic-Produkt. Er soll den VW Tiguan in die Schranken weisen. Der freilich verkauft sich momentan so gut, dass gerade die Werbung eingestellt wurde, um die Lieferfristen nicht noch weiter zu verlängern. Pause fürs Traumpaar Heidi und Seal.

Opel: Zeit der Rundungen

Noch schwerer als Ford tut sich Opel. Zu viele Chefwechsel in den USA und in Europa, entsprechend zahlreich die Neuansätze im Design, so kann eine Marke nicht zu sich selbst finden. Nach der Kanten-Phase (Vectra, Astra, Zafira) folgt jetzt offenbar die Zeit der Rundung (Agila und der neue Insignia). Was danach kommt, lässt in Genf schon mal die Studie Meriva mutmaßen, ein kleiner, variabel nutzbarer Familienvan mit gegenläufig angeschlagenen Türen. 2010 soll das interessant gezeichnete Auto den jetzigen Meriva ablösen - wenn sich bis dahin nicht wieder die Richtung ändert.

Auf der Suche nach echten Überraschungen wird man sich in diesem Jahr schwertun in Genf. Das meiste wurde schon vorab verkündet, nur Volkswagen hüllt den neuen Scirocco (wer kennt den alten Kantenhauber noch?) bis zur letzten Minute in das weiße Tuch der Geheimhaltung. Mit kleinen Happen zur Appetitanregung speist man uns ab: Das Coupé, heißt es, ähnle der Studie Iroc aufs Haar, hat also ein langes Dach, eine steile Klappe hinten und einen Dachspoiler.

Golf und Passat steuern Teile bei und die zunächst geplanten Vierzylinder reichen von 122 bis 200 PS. Ach, werden sich die Tuningfreunde freuen! Für die seriösere und umweltbewusste Klientel hält VW aber auch einige technische Beruhigungspillen bereit. Eine Golf TDI Hybrid-Studie beispielsweise, die nur 3,4 Liter Diesel auf 100 Kilometer verbrauchen soll und unter anderem eine Start-Stopp-Automatik besitzt. Konzerntochter Škoda regt sich dagegen am oberen Ende der Modellpalette und präsentiert den neuen Superb.

Genf, das hat Tradition, ist immer auch eine Spielwiese der Italiener. Was wir in diesem Jahr erleben dürfen, ist nicht nur der zur Abarth-Version (135PS!) hochgepäppelte Fiat 500, der aussieht wie ein knurrendes Eisbärchen mit rotem Halsband. Staunend stehen wir auch vor dem ernstgemeinten Lebenszeichen von Lancia, der Traditionsmarke zwischen Hängen und Würgen, der unter Fiat-Regie fast das Glöcklein geschlagen hätte. Aber weil Konzern-Boss Marchionne eine gute Nase für gute Zeiten hat, darf der Delta wieder auferstehen - jetzt ein großes Auto (4,50 Meter lang), nicht mehr das lässige Achselzucken, mit dem sich seinerzeit die Individualisten gegen die Vergolfung Europas wehrten. Und vernünftig ist der neu Delta geworden: Heckklappe, längsverschiebbare Rücksitze, Motoren von 120 bis 200 PS, Diesel mit Euro 5, Sechs-Gang-Getriebe.

Kräftiges Lebenszeichen von Lancia

Neben all diesen herausgepickten Wichtigkeiten werden wir auf unserem Rundgang durch die Messehallen eine ganze Reihe von bemerkenswerten Beobachtungen machen. Wir applaudieren schon jetzt der Nissan-Marke Infiniti, die den Mut aufbringt, in diesen Zeiten auf dem europäischen Markt zu starten und in Genf erstmals die Geländewagen FX und EX zeigt und außerdem die G-Reihe als Limousine und Coupé. Wir beobachten außerdem mit gespanntem Interesse am Beispiel des neuen Accord, wie sich Honda weiterhin um eine überzeugende Designsprache bemüht, was übrigens auch für Subaru mit dem neuen Forester gilt.

Und selbst bei Peugeot, einst in Sachen Gestaltung mit ganz vorn in Europa, scheint es höchste Zeit für neue Wege. Der aktuelle 308 SW jedenfalls zeigt das Problem: immer größere Kühler, immer weiter nach hinten gezogene Scheinwerfer, immer zerklüfteter gestaltete Heckpartien. Vielleicht weist die Studie 308 RC Z ja einen Weg.

Dass in Europa die kleinen Geländewagen der Renner sind, ist bekannt. In Genf wird diese Gattung weiter bereichert. Volvo will mit dem neuen XC 60 "viel emotionaler" werden, was so ganz noch nicht zu erkennen ist. Renault dagegen, unser europäisches Sorgenkind, schickt hoffnungsvoll den kompakten Koleos ins Rennen. Auch dort übrigens scheint die Suche nach einer neuen Formensprache noch nicht abgeschlossen.

Und die kleinen Nischen zum Träumen werden in Genf natürlich auch wieder besetzt. Das B3 Coupé von Alpina macht von sich reden mit einem neu konstruierten Zweiliter-Diesel, der mit zwei Abgas-Ladern 214 PS leistet und trotzdem nur 5,4 Liter verbrauchen soll. Oder der etwas aufgemotzte Mini John Cooper Works (211 PS), den es für rasende Blumenhändler auch als Clubman gibt. Oder natürlich der Alfa 8C Spider, ein Auto zum Niederknien schön, das Gott sei Dank limitiert ist. Das bewahrt uns vor ruinösen Finanz-Transaktionen.

Doch wenn man des Volkes Stimme glaubt, ist sowieso alles ganz anders. Aus 30 Millionen Suchanfragen filterten die Autoportale Ebay Motors und mobile.de gerade das Wunschauto der Deutschen heraus. Heraus kam - eine Kreuzung aus altem Golf und BMW Dreier, in Schwarz und Metallicblau. Auch das wird in Genf zu sehen sein. Das ganz normale Leben, sozusagen.

© SZ vom 01.03.2008/gf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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