Fahrbericht: Porsche 911 Carrera 4S:Die Quadratur des Fahrens

Lesezeit: 3 min

Mehr Fahrdynamik, mehr Fahrvergnügen - aber auch weniger Risiko in Grenzbereichen: Porsche hat seine vierradgetriebenen 911er überarbeitet und noch einmal deutlich verbessert.

Von Jürgen Wolff

Es ist nicht gerade die Regel, dass man als Autofahrer von entgegenkommenden Motorradfahrer-Pulks per Handzeichen gegrüßt wird. Wer im Porsche 911 Carrera 4 unterwegs ist, sollte sich indes an derart freundschaftliche Verbundenheit schon mal gewöhnen.

Grand mit Vieren: 911 Carrera 4S anno 2005 (Foto: Foto: Porsche)

Und wer wie wir auf einer ersten Testfahrt mit dem Porsche die engen, kurvenreichen Straßen der französischen Seealpen hinauffliegt, wird schnell begreifen, woher diese Verbundenheit kommt.

Mit den vierradgetriebene Carrera 4 und 4S des Jahrgangs 2005, die von Oktober an bei den Händlern stehen sollen, zeigt Porsche einmal mehr, was heute im Automobilbau möglich ist. Und das ist oft genug selbst beim Fahren nur zu erahnen.

Optisch deuten es nur kleinere Veränderungen an. So wie die 44 Millimeter Zuwachs in der Breite der hinteren Radhäuser. In die passen nun mächtige Walzen der Dimension 295/35 ZR 18 (beim S) oder 305/30 ZR 19 (beim 4S) - und zur Not auch noch ein Satz Schneeketten drum herum.

Ohne Kettenhemd sorgen sie zusammen mit den 235er-Reifen vorne und der variablen Allradtechnik dafür, dass die Kraft der 6-Zylinder-Boxer im Heck auch souverän auf die Straße kommt.

Alte Bekannte

Die Motoren sind alte Bekannte und auch schon in den Carrera-Versionen mit reinem Heckantrieb zu finden. Trotz des um 50 Kilogramm höheren Fahrzeuggewichts durch den Allradantrieb schlucken sie mit 11,3 beziehungsweise 11,8 Litern auf 100 Kilometern nur wenig mehr als in den Hecktrieblern.

Das 3,6-Liter-Aggregat des Carrera 4 leistet 239 kW/325 PS und sorgt in dem Allradler für eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 5,1 Sekunden. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 280 km/h. Der Motor im 4S schafft mit seinen 3,8 Litern Hubraum 20 PS mehr und katapultiert den Porsche in 4,8 Sekunden aus dem Stand auf 100. Topspeed hier: 288 km/h.

Damit liegen die Carrera 4 zwar bei der Höchstgeschwindigkeit leicht hinter der heckgetriebenen Verwandtschaft (Carrera: 285 km/h, Carrera S: 293 km/h) - aber gewonnene Fahrdynamik und Traktion gleichen das im Fahrbetrieb locker wieder aus.

Bis zu vierzig Prozent Kraft nach vorne

Denn anders als beim klassischen Porsche steckt zwischen Motor und Achsen eine Viskose-Lamellenkupplung, die permanent und ruckfrei je nach Bedarf zwischen fünf und 40 Prozent der Antriebskraft auf die Vorderräder gibt.

Das reicht zwar nicht, um eine verschneite Sprungschanze hinauf zu fahren - soll es aber auch nicht: Ziel sind ein bis in den Grenzbereich hinein ausgeglichener Vortrieb in Kurven, bessere Traktion und ein stabiler Geradeauslauf bis zur Höchstgeschwindigkeit. Und das kommt hin.

Dass Porschefahrer nicht von ihrem klassischen Elfer-Fahrgefühl entwöhnt werden, dafür ist schon dadurch gesorgt, dass nach wie vor die hinteren Räder immer mehr Kraft auf die Straße bringen als die vorderen.

Die negative Beschleunigung

Aber Porsche sorgt nicht nur dafür, dass seine Autos schnell von Null auf 100 kommen - zwei neue Funktionen bringen die Carrera 4 künftig auch noch schneller von 100 zurück auf Null.

So verkürzt die Vorbefüllung der Bremsanlage den ohnehin schon beachtlichen Anhalteweg noch weiter. Geht der Fahrer sehr schnell vom Gaspedal - charakteristisch für einen bevorstehende Vollbremsung -, wird binnen weniger Millisekunden Bremsflüssigkeit zu den Radbremsen gefördert und das Luftspiel zwischen Bremsbelägen und -scheibe eliminiert.

Porsche verspricht: Spätestens 100 Millisekunden nach der letzten Bewegung des Gaspedals sind die Bremsbeläge an Ort und Stelle. Die liegen dann also schon an der Scheibe an, wenn der Fahrer tatsächlich voll in die Eisen steigt.

Geht er auch dann noch zu zaghaft ran und tritt zwar rasch, aber nicht mit voller Kraft zu, hilft das zweite neue System: Die Hydraulikpumpe gleicht automatisch den fehlenden Druck aus, bis alle Räder im ABS-Regelbereich liegen und optimal verzögern.

Und dann noch die Keramik

Wem das noch nicht reicht, der kann das Bremssystem im neuen Carrera 4/4S auch noch mit der jüngsten Generation der gelochten und innenbelüfteten Keramikverbund-Bremsscheiben aufrüsten. Die sind nicht nur halb so schwer wie herkömmliche Metallscheiben, sondern entwickeln auch sofort hohe und konstante Reibwerte.

Richtig schätzen lernt man solche Feinheiten der Technik spätestens dann, wenn einem in den Seealpen nach der 361. Kurve plötzlich ein Kleintransporter mittig entgegen kommt - und rechts ist nur der Abgrund.

Wem das alles immer noch nicht genug ist, der kann für 742 Euro auch im Allrad-Porsche das Sport-Chrono-Paket ordern. Dann thront oberhalb der Mittelkonsole nicht nur eine Stoppuhr für Rundenzeiten, sondern etwas tiefer auch ein kleiner Knopf, mit dem man auf Tastendruck Motorsteuerung, Fahrwerk und ESP vom bequemen Reise- auf den ruppigeren, aber noch schnelleren Rundstreckenmodus umschalten kann.

Wer soll das bezahlen...

Bleibt noch der Blick in die Preisliste. Und der zeigt dann doch, dass Porschefahren nach wie vor ein Vergnügen, aber eben ein teueres Vergnügen ist. Der Carrera 4 kostet in der Basisausführung 82.657 Euro, der stärkere Carrera 4S kommt auf 92.865 Euro.

Dabei wird es kaum je bleiben - wer die Tabelle durcharbeitet, wird mühelos über die 100.000-Euro-Grenze stoßen. Die Metalliklackierung schlägt mit fast 800 Euro zu Buche, Bi-Xenon-Scheinwerfer sind beim 4S Serie, kosten beim Carrera 4 aber mehr als 1000 Euro extra. In der Klasse ist das schon schwäbisch frech. Tiptronic (2871 Euro), Keramikbremsen (7830 Euro), Active Suspension Management (1508 Euro), Ledersitze (1316 Euro), Bose Sound System (1125 Euro) - heftig.

Haben wir übrigens schon erwähnt, dass wir weite Teile der Bergstrecken gleich zweimal abgefahren sind? Einfach, weil's so schön war. So, wie es auch vielen Motorradfahrern geht.

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