Chrysler Neon:Und er lacht eben doch . . .

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Das Fahrwerk und der Motor sind gut, und das Design pfiffig

(SZ vom 10.09.1994) Automobile sind Geräte, mit denen man die Entfernung von A nach B überwinden will. Technisch gesehen, ist das völlig korrekt, doch insgesamt betrachtet nur die halbe Wahrheit. Bei nahezu jedem Autofahrer und jeder Autofahrerin kommt zu dieser rationellen Einschätzung eine emotionelle Komponente hinzu: Man will nicht nur reisen, sondern sich auch wohlfühlen in und mit seinem Gefährt. Und so kommt es immer wieder vor, daß bestimmten Modellen bescheinigt wird, sie seien charakterlos, oder - um es in der Designersprache auszudrücken - ihnen fehle die Anmutung. Diese Aussage kann für einen Teil der auf dem Markt befindlichen Modellflotte aus unserer Sicht nur bestätigt werden, aber es gab und gibt immer wieder auch Ausnahmen. Man steht vor einem neuen Gefährt - und fühlt sich angesprochen oder entsetzt, aber auf jeden Fall nicht unbeteiligt.

Solch eine Ausstrahlung können wir dem neusten Produkt des Hauses Chrysler bescheinigen, dem Neon, der von November an in die Schauräume der 230 deutschen Händler rollen wird. Dieser Wagen soll Chrysler aber nicht aus der selbst gewählten Nische herausführen, betont zwar Chrysler-Deutschland-Geschäftsführer Franz-Josef Moors, in der die Amerikaner mit ihren Erfolgsmodellen Voyager und den Jeep-Varianten reüssieren. Aber so einfach ist das nicht: Der Neon - eine 4,36 Meter lange Kompaktlimousine und für amerikanische Verhältnisse fast ein Winzling - muß sich an so etablierten Konkurrenten wie der 3er-Reihe von BMW, dem Opel Vectra, dem Citroën Xantia oder dem Ford Mondeo messen lassen.

Und - wie dies bei Neulingen so ist - gibt es Licht und Schatten, wobei im Falle des Neon eindeutig die Sonnenseiten überwiegen. Zu seinen Stärken zählen das pfiffige Design (vor allem die Frontpartie mit den markanten Scheinwerfern ist sehr gut gelungen - das Auto scheint zu lachen), das europäisch-straffe Fahrwerk und der kraftvolle und dennoch sparsame Motor (DIN-Drittelmix 8,6 Liter Normal bleifrei aus 100 Kilometer).

Reicher Raum für künftige Modellpflegemaßnahmen bleibt bei der Verarbeitungsqualität. Nicht, daß diese generell als schlecht zu bezeichnen wäre. Wer weiß, wie amerikanische Autos noch vor ein paar Jahren zusammengebaut wurden, muß Chrysler bescheinigen, riesige Fortschritte gemacht zu haben. Aber wenn man bestimmte Stellen wie den Stoßfänger am Heck unter die Lupe nimmt, sind offen liegende Schrauben, angekratzte Lackierungen und ungenaue Bohrlöcher sicher nicht der absolute Stand der Technik. Genauso wie der Schließmechanismus des Kofferraums: schlichte Bügel, die weit in den Gepäckraum hineinragen und die Beladefreiheit erheblich einengen. Einziger Vorteil dieser Simpel-Lösung: Mit einer Zange lassen sich die Feder leicht aushängen und in eines von drei vorgesehen Löchern wieder einklinken.

Doch genug gemäkelt, lassen wir uns vom freundlichen Wesen des Neon (Werbespruch in Amerika: A great car, a good friend!) ein bißchen gefangennehmen. Das cab-forward-Design verleiht dem Kompakten eine Form, so daß man ihn auch in der Masse der Autos auf dem Supermarkt-Parkplatz schnell wiederfindet. Im Innenraum herrschen auf den Vordersitzen gute Platzverhältnisse, im Fond darf man sich - klassenbedingt - keine Wunder erwarten.

Der bisher kleinste Motor

Angetrieben wird der Neon von einem 2,0-Liter-Vierzylinder, dem kleinsten Aggregat, das Chrysler jemals gebaut hat. 98 kW (133 PS) reichen für 200 km/h Höchstgeschwindigkeit (in den USA wird der Neon bei 180 km/h abgeriegelt) und eine Beschleunigung von Null auf 100 km/h in 8,8 Sekunden. Der Motor erwies sich bei ersten, kurzen Fahrten als ausgesprochen drehfreudig und kraftvoll, ließ sich jedoch auch niedertourig und schaltfaul fahren, ohne zu ruckeln. Die Fahrwerksabstimmung wurde auf europäische Verhältnisse angepaßt: Sie ist so straff, wie man dies von amerikanischen Autos bisher nicht kannte, aber keineswegs unkomfortabel.

Bleibt noch die Preisgestaltung: Der Neon ist - ausstattungsbereinigt - günstiger als die meisten Konkurrenten. Der Basispreis beträgt - inklusive ABS - 34 495 Mark. Dafür gibt es zwei Airbags, Servolenkung, elektrische Fensterheber vorne, elektrisch verstellbare Außenspiegel und - man lese die Presseunterlagen und staune - 'Bremsscheiben vorn und hinten'. Richtig komfortabel wird der Neon aber erst mit dem Komfort-Paket, das für 3265 Mark Aufpreis ein Cassetten- Radio, einen Tempomat, Kosmetikspiegel, eine Fernentriegelung für den Kofferraum, Leselampen und Leichtmetallfelgen bietet. Und für 2200 Mark könnte man sich noch eine Klimaanlage gönnen, auf die kein amerikanischer Käufer verzichten würde. Ein so ausgestatteter Neon bleibt knapp unter der 40 000-Mark- Grenze. Schade, daß es diese Ausstattung nicht zu US-Preisen gibt: Dort kostet der nackte Basis-Neon 9990 Dollar, ein gut ausgestattetes Modell 14 000 Dollar - etwa 22 000 Mark. Aber auch unter europäischen Konditionen darf man den Neon als Bereicherung seiner Klasse werten.

Von Otto Fritscher

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