BMW ALPINA B8 4,6 Cabriolet:Wo kein Vergleich mehr möglich ist

Lesezeit: 4 min

Ob der Mensch tatsächlich 333 PS für 139 500 Mark in einem Dreier-Cabrio braucht?

(SZ vom 13.07.1996) Die chinesische Vergangenheit steckt voller Weisheiten - so erfährt der Wissensdurstige bei der Lektüre alter Schriften zwar einerseits, daß sich die Welt durch Ying und Yang in zwei völlig voneinander getrennten Welten aufdröseln lasse; er lernt aber auch zu akzeptieren, daß diese Trennung andererseits aber auch entscheidend dazu beiträgt, daß sich dieselbe Welt in einer wünschenswerten Harmonie befindet. Denn - so würde es der etwas schlichter gewickelte Volksmund sagen: Gegensätze ziehen sich eben an.

Szenenwechsel - vom alten China ins neue Buchloe: Alle drei oder vier Jahre überläßt uns Burkhard Bovensiepen für ein paar Tage eines seiner formidablen Geschöpfe. Und dann steht so ein ALPINA auf dem Redaktionshof oder in unserer Garage - und wir setzen uns so oft es geht hinter das Steuer und fahren eines jener handgearbeiteten Geschöpfe, die zwar optisch noch durchaus an die Münchner Großserie erinnern, sich von ihr aber in zeit- und kostenaufwendiger Feinarbeit abheben.

Meinungen polarisieren

Damit Sie sich nun fragen, was Ying und Yang - und die durchaus wünschenswerte Harmonie - mit einem Alpina B8 4,6 Cabriolet zu tun haben, wollen wir an dieser Stelle ein paar rudimentäre Eckdaten in den Raum werfen (was Sie davon für gut und was Sie für schlecht halten, hat dabei Ihren ganz persönlichen Ying-Yang-Koordinaten zu unterliegen): 245 kW oder 333 PS aus einem 4,6-Liter-Achtzylinder mit 32 Ventilen, 470 Nm Drehmoment bei 3900/min, ein Sechsganggetriebe, Null auf 100 km/h in 5,8 Sekunden und eine Höchstgeschwindigkeit von mehr als 270 km/h. Und damit sich die Meinung an dieser Stelle noch etwas weiter polarisiert - Kaufpreis des übermotorisierten Cabriolets: 139 500 Mark.

Und wenn wir nun noch behaupten würden, daß Burkhard Bovensiepen durchaus vernünftige Fahrzeuge baut, die in mancherlei Details die technische Avantgarde darstellen und den Ansprüchen, die an ein 'grünes' Auto gestellt werden, in höherem Maße gerecht werden, als der Großteil aller derzeit am Markt angepriesener Vehikel - spätestens dann wird zumindest unser Studienrat Walter S. aus Gauting wieder zur Schreibmaschine greifen, und uns in einem Tonfall beschimpfen, der seiner Ausbildung, seiner Lebenserfahrung und seiner sonstigen Ausdrucksweise im Tennis- und im Trachtenverein Hohn spricht.

Seit nunmehr 30 Jahren vertritt Burkhard Bovensiepen seine ganz spezielle Philosophie: 'Komfort ist nicht die Minimierung vertikaler Beschleunigung, sondern das Wohlbefinden von Fahrer und Mitinsassen beim Zurücklegen langer Strecken' - und zweitens: 'Luxus wird nicht durch Länge, Gewicht und Preis definiert, sondern durch Ergonomie, gutes Raumgefühl, schöne Verarbeitung und der Fähigkeit eines Automobils, mit leichter Selbstverständlichkeit den Wünschen seines Fahrers zu folgen.'

Das Ergebnis sind Fahrzeuge, die - teilweise lange vor der volumenstärkeren Konkurrenz - bereits über raffinierteste Katalysatoranlagen und ausgefeilte Motormanagement-Systeme verfügten, und den Großserienherstellern die Wege wiesen, die sie anschließend zu beschreiten hatten. Nun ist es - bei einer Jahresproduktion von maximal 500 Fahrzeugen - natürlich vergleichsweise einfach, neue Wege zu beschreiten: kleinere Stückzahlen und höhere Preise ermöglichen eben manche Detailentwicklung, von der VW, Opel oder BMW zuerst noch träumen müssen. Die Kleinstserie als Wegbereiter der Großserienfertigung? ALPINA scheint ein Beispiel dafür, daß der Weg nur so funktionieren kann - wer sonst hätte beispielsweise als erster die Alltagstauglichkeit eines elektrisch beheizter Abgaskatalysators demonstrieren können?

Und so gehörte auch unser B8 4,6-Cabriolet zu dieser kleinen Schar an Modellen, die knapp 80 Kilometer außerhalb von München für Liebhaber auf der ganzen Welt von Hand gefertigt werden. Wir fuhren die Nummer 'Neun' - rund 35 weitere Vorbestellungen liegen in Buchloe vor. Und der Großteil dieser Fahrzeuge wird in Länder ausgeliefert, in denen die - von Kritikern so oft unterstellte - Lust am Rasen, absolut fehl am Platz ist: Japan, England, Schweiz.

Nach einer ersten Inspektion ist eines rasch klar: Ein B8 4,6 hat mit einem normalen Dreier-Cabriolet nicht mehr viel zu tun - hier steht ein völlig eigenständiges Fahrzeug vor einem, daß von Kopf bis Fuß (oder besser gesagt: vom Fahrwerk über die Bremsen bis hin zu den Sitzen und der Innenausstattung) den Perfektionsgelüsten des Firmeninhabers Genüge zu leisten hat.

Wobei das Sahnestückchen natürlich unter der Motorhaube Unterschlupf gefunden hat - der auf 4,6 Liter Hubraum vergrößerte und en Detail (und mit viel Handarbeit) überarbeitete Motor ist zweifellos eines der besten Triebwerke, das derzeit gegen (zugegebenermaßen viel) Geld zu erwerben ist: Wo sonst findet man eine Leistungsbandbreite, die bereits bei 800/min beginnt - und erst bei knapp 6600/min endet? Wo gibt es noch einen Achtzylinder, bei dem man bei 60 km/h den sechsten Gang einlegt (der Drehzahlmesser zeigt gerade 800/min) und der einen dann ohne zu murren, ohne zu zuckeln oder zu ruckeln über die nächsten 200 km/h beschleunigt? Und der dafür - und das ist der entscheidende Faktor - Verbrauchswerten zwischen acht und 13 Litern Superplus einfordert?

Natürlich lockt so ein Fahrzeug in den ersten Stunden und Tagen zum Gasgeben - wer behauptet, einen B8 4,6 in der Kennenlernphase wie einen XY-Turbodiesel zu bewegen, lügt. Doch relativ rasch beginnen völlig andere Qualitäten die Überhand zu gewinnen: Der Spaß am niedertourigen Dahinrollen; die Freude, hohe Durchschnittsgeschwindigkeiten mit Verbrauchswerten weniger als neun oder zehn Litern zu bewältigen - und die Erkenntnis, daß man eine technische Pretiose fährt, von deren Existenz nur eine Handvoll automobiler Mitstreiter Kenntnis nimmt.

Wer mit 333 PS unterwegs ist, wird eigentlich nicht mehr überholt. Doch die Überlegenheit interessiert nicht mehr - und wenn ein rallyestreifenbehängter GTI/GSi/XRi mit Fuchsschwanz wirklich überholen will, hat er selbstverständlich alle Freiheiten dazu. Es ist diese Souveränität, die letztlich unabhängig - und auch ein wenig süchtig - macht.

Muß so etwas wirklich sein?

Ying und Yang. Das sowohl als auch, das für und wieder, das Selbstverständlich Ja und das Muß so etwas wirklich sein? - all dies schwingt im B8 4,6 etwas mehr als in vielen anderen Fahrzeugen mit. Vielleicht 80 oder 100 Käufer werden letztlich weltweit in den Genuß dieses außerordentlichen Cabriolets gelangen - dazu kommen noch 200 Käufer, die sich für die dazu parallel angebotene viertürige Limousine, das zweitürige Coupé oder die Touring-Variante entscheiden.

Eigentlich nicht sehr viele Menschen - Technik-Interessierte, die die deutsche Handarbeit und das Engineering schätzen (und bezahlen). Menschen, die weltweit vom Made in Germany schwärmen, ihren Kollegen und Freunden mit ihren verbalen Begeisterungsorgien in den Ohren liegen - und stolz darauf sind, sich diesen Luxus des Understatements leisten zu können. Wie gesagt: jährlich sind es ganze 500 Kunden.

Ein paar Käufer sind allerdings auch dabei, die sich für diese Entscheidung permanent rechtfertigen müssen - sie leben übrigens ziemlich oft in Deutschland. Ying und Yang.

Von Jürgen Lewandowski

© N/A - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: