Bentley Continental R Mulliner:Wo jede Pferdestärke 1578,24 Mark kostet

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Noch immer bauen die Mannen in Crewe außergewöhnliche Fahrzeuge - doch der Preis ist heiß: 672 330 Mark Basispreis wollen erst einmal verdient sein

(SZ vom 23.12.2000) In einer Zeit, in der ausgediente Tennisspieler und deren gescheiterte Zweierbeziehungen oder golfspielende Ex-Fußballer und deren Auswärtstreffer größere Schlagzeilen als die offenbar unendliche Suche nach einem parteiübergreifenden Konsens zur Rentensicherung der nächsten Jahrzehnte bewirken, ist alles möglich. Da gibt es Oldtimer, die - mit der kurzen Signatur eines Schecks - für 20 Millionen Mark den Besitzer wechseln, während andererseits auf den Schlammwegen Zentralafrikas jahrzehntealte Steinzeittechnologie für eine rudimentäre Basisfortbewegung sorgt.

Und parallel dazu wartet auf der anderen Seite des Erdballs in China eine Milliarde Menschen sehnsüchtig auf ihren persönlichen Beitrag zur individuellen Mobilität - eine Mobilität, gegen deren ökologische Auswirkungen unser aller Anstrengungen zum freiwilligen Umstieg vom Golf auf die S-Bahn vergleichsweise hilflos wirken dürften.

In dieser - nicht immer, aber immer öfter - von Hedonismus geprägten Welt, wundert es deshalb nicht weiter, dass auch im automobilen Angebot die gesamte Bandbreite von ultra-öko über martialisch-geländetauglich bis hin zu sündhaft teuer lieferbar ist. Und wenn man die Händler dieser Träume fragt, ob denn wirklich noch Bedarf an immer teureren und immer edleren Automobilen besteht, so lautet die Antwort stets in herzerfrischender Direktheit: ja.

Was die gesamte automobile Bandbreite betrifft, hat sich ein Konzern ganz besonders engagiert: Volkswagen. Was dereinst mit dem Verkauf von Basismobilität in Form des offenbar unsterblichen Käfers begann, reicht heute von dem für 2003 angekündigten 1-Liter-Auto über die Modellfülle von Seat, Škoda und VW bis hin zu den Aluminium-Gefährten des Hauses Audi. Und obendrauf hat man noch Lamborghini, Rolls-Royce (bis zum 31. 12. 2002), Bentley und Bugatti gepackt, wo von 2003 an jährlich in zweistelligen Stückzahlen superteure Pretiosen von Hand gefertigt werden sollen.

Doch der Star in diesem ambitionierten Programm scheint derzeit eindeutig das Haus Bentley zu sein, dessen einzigartige Mischung aus britischem Understatement, handwerklichem Können, reichlich Leder und Holz sowie Leistung im Übermaß attraktiver denn je scheint.

Seitdem Bentley in den frühen 80er Jahren mit dem Mulsanne Turbo das Revival stark motorisierter Limousinen eingeleitet hat, mutierte das Haus mit dem geflügelten "B" zum ausgewiesenen Spezialisten sportlicher Reisegefährte, in denen das Thema Luxus auf teuerstem Niveau angegangen wird - und das zweitürige Continental R Mulliner-Coupé steht an der Spitze des Modellprogramms.

Lassen wir uns zuerst einmal den Preis auf der Zunge zergehen: 672 330 Mark kostet der Mulliner, hinter dessen Namen sich eine dem Haus assoziierte Karosseriefirma verbirgt - und dabei ist dies nur der Basispreis, der sich nahezu unendlich nach oben erweitern lässt, da der überragende Teil dieser Fahrzeuge bis ins letzte Detail individualisiert die Hallen in Crewe verlässt.

Neben dem schieren Preis beeindrucken aber auch die Dimensionen: Für 541 Zentimeter Länge, 205 Zentimeter Breite und 146 Zentimeter Höhe muss erst einmal ein entsprechender Parkraum gefunden werden - und das Leergewicht von 2450 Kilogramm sorgt in Zusammenarbeit mit der an eine (allerdings verchromte) Kathedrale erinnernden Frontpartie dafür, dass die 313 kW oder 426 Pferdestärken nach reichlich Futter (in diesem Fall Super plus bleifrei) verlangen. Die im Datenblatt verzeichneten 13,2 Liter (EU-Norm) bei Überlandfahrten dürften wohl nur bei ebener Strecke und Rückenwind erreichbar sein - andererseits liegen die 28,1 Liter im Stadtverkehr auch eher selten an. Letztlich läuft es auf 18 bis 25 Liter auf 100 Kilometer hinaus - die die eher im obersten Einkommensbereich ansässigen Besitzer aber auch nicht weiter stören dürften.

Denn viel wichtiger als die schiere Leistung dürfte den auf schweren Ledersitzen thronenden Insassen das ansonsten nur im schweren Lastwagenbau übliche Drehmoment von 875 Nm sein, das bereits bei 2200/min anliegt - und für jenen Schub von "unten heraus" sorgt, der mit schöner Regelmäßigkeit den unkundigen Porsche-Fahrer an seinen Fahrkünsten zweifeln lässt. Bis zu Tempo 270 setzt sich dieses Beschleunigungsvermögen auch ziemlich problemlos durch - erst dann halten sich Vortrieb und Roll- sowie Luftwiderstand die Waage. Wobei man in diesen Geschwindigkeitsbereichen - die die luxuriöse Sänfte mit beachtlichem Komfort und stoischem Gleichmut bewältigt - dem rapiden Fall der Benzintankanzeige folgen darf. Aber wie bereits erwähnt: Dies sind Petitessen, die diese Käuferklientel nun wirklich nicht beunruhigt.

Noch mehr Freude bereitet es jedoch, mit dem Continental an schönen Tagen auf schönen Straßen dahinzugleiten - in Connolloy-Leder gehüllt, mit dem Blick auf die wahrscheinlich schönsten Holzintarsien, die derzeit im Automobilbau in Handarbeit gefertigt werden - von einem faktisch nicht hörbaren Achtzylinder vorangetrieben.

Wenn man das Geheimnis dieser Fahrzeuge ergründen möchte, so ist es letztlich die Mischung aus sportlicher Tradition (fünf Siege in Le Mans), perfekter Handarbeit - vermischt mit etwas Exzentrik und Snobismus. Und für diese Mischung wird es weltweit immer ausreichend Kunden geben, die sich zu ihrer Yacht oder ihren fünf Picassos noch eine rollende Legende hinstellen wollen. Eine Einstellung, die 2500 Angestellten und Arbeiter in Crewe zu schätzen wissen.

Von Jürgen Lewandowski

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