Bentley Continental GT:Der Volks-Bentley

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Britische Tradition und High-Tech aus dem VW-Konzern gehen bei dem neuen Coupé eine glückliche Allianz ein. Und das - gemessen an bisherigen Modellen - nachgerade zum Schnäppchenpreis.

Georg Kacher

Mit dem Continental GT beginnt eine neue Ära für Bentley. Die Trennung von Rolls-Royce ist endgültig vollzogen, die Firma gehört jetzt nicht mehr zu BMW, sondern zum VW-Konzern. Entsprechend gewandelt hat sich die technische Ausrichtung der englischen Traditionsmarke.

Geballte Kraft in einer - vergleichsweise - dezenten Kleidung (Foto: Bentley)

Das sieht man dem neuen Coupé zwar erst auf den dritten Blick an, aber man kann es zwischen den Zeilen der technischen Daten herauslesen. Der Allradantrieb arbeitet nach dem quattro-Prinzip, der Zwölfzylinder lernte im Phaeton das Laufen, die Instrumente und das Multifunktionslenkrad erinnern nicht von ungefähr an den Touareg.

"Ohne VW hätte Bentley nicht überlebt."

"Ohne VW hätte es das Auto nicht gegeben," stellt der für Bentley zuständige Top-Manager Franz-Josef Paefgen nüchtern fest. "Und ohne das 750-Millionen-Euro-Investitionsprogramm aus Wolfsburg hätte die Marke nicht überlebt. Entscheidend ist, was man aus den Mitteln macht. Das sieht man auch am neuen Continental GT, der viel mehr kann, als es die Summe der Einzelteile eigentlich vermuten ließe."

Das vom Belgier Dirk van Braeckel gezeichnete Auto ist bildschön. Hier passen die Proportionen und die Details, hier gehen Klassik und Moderne eine stimmige Symbiose ein, hier wird Bentley auch als Marke überzeugend neu interpretiert. Das stilvolle Exterieur findet im sportlich-gediegenen Interieur seine kongeniale Entsprechung. Tradition und Fortschritt treffen sich auf halbem Weg.

Zwei Seelen wohnen, ach,...

Die eine Seite setzt auf lieb gewonnene Werte wie schimmerndes Holz, perfekt vernähtes Leder und spärliche Chromakzente. Die andere Fraktion favorisiert Innovationen wie das vom Audi A8 ausgeborgte MMI- Bedienkonzept mit Farbmonitor, die elektrische Parkbremse oder die praktischen Schalthörner hinter dem Lenkrad.

Schwächen? Das Schiebedach wurde der scheitelnahen Dachlinie geopfert, bei Besetzung mit mehr als zwei Personen gehören stark angewinkelte Beine zur bestimmenden Körperhaltung, und außerdem sieht dieses Herrenzimmer auf Rädern nicht nur so aus als wäre es aus dem Vollen geschnitzt, es wiegt mit 2385 Kilogramm auch fast so viel wie der Südflügel von Heathmount Manor.

Nach dem Vorbild des fliegenden Teppichs ist der Conti GT auf Luft gebettet. Das Medium federt und dämpft, es reduziert ungewollte Aufbaubewegungen, und es senkt die Karosserie bei höherem Tempo automatisch ab.

Durch Veränderung des Luftdrucks innerhalb des Regelkreislaufs lassen sich drei verschiedene Härtegrade anwählen. Wir bevorzugen die Auto-Position, die in weniger als einer Millisekunde (!) auf fahrdynamische Überraschungen und oberflächentechnische Unzulänglichkeiten reagiert.

Der Allradantrieb verteilt die Kraft normalerweise gleichmäßig zwischen den Achsen, doch wenn seine Lordschaft den Ampelstart übt oder wenn im Winter die Zugbrücke zum Schloss schlecht gestreut ist, dann machen die Chips eine Ausnahme und leiten bis zu 75 Prozent des Drehmoments bedarfsgerecht um.

Phänomenale Verzögerung

In einem so schweren und starken Auto werden die Bremsen bei scharfer Gangart naturgemäß besonders hart beansprucht. Deshalb hat Bentley als erster Hersteller einen ungewöhnlich aufwändigen Verzögerungsapparat mit 19-Zoll-Scheiben installiert, die vorne den Durchmesser einer Langspielplatte (erinnern Sie sich?) um 25 Prozent übertreffen und dabei so dick sind wie die Erstausgabe von Dickens' "Bleak House".

Im schottischen Hochland durfte der Continental GT beweisen, dass er mehr zu bieten hat als einen unverwechselbaren Kühlergrill, vier funkelnde Xenon-Augen und die Grandezza einer vornehmen Erscheinung.

Aktiv und direkt

Keine Frage: Der neue Bentley macht selbst zwischen Hammelherde und Heidekraut eine gute Figur. Gemeinsam mit ESP funktioniert die Superbremse als Rückversicherung erster Güte, gemeinsam mit der Luftfederung meistert der Allradantrieb selbst schwierige Passagen ohne Punktabzug bei den Haltungsnoten, gemeinsam mit der telepathischen Servolenkung halten die 275/40er-Breitreifen millimetergenau die Spur.

Im Gegensatz zum nicht mehr gebauten Continental V8 ist der neue GT W12 kein braver Gleiter, sondern ein echtes Mantel-und-Degen-Coupé, das beim Anbremsen ungeduldig die Katzenaugen zählt und trotzdem beim Herausbeschleunigen den Disteln am Scheitelpunkt keinen Stachel krümmt.

Wie kann ein so wuchtiges Auto so exakt und unzweideutig reagieren? Indem man in eine sehr steife Karosserie ein sehr präzises Chassis einklinkt, das zu gleichen Teilen auf Rückmeldung und Geschmeidigkeit getrimmt ist.

Überragende Leistung

Die Formel "Kraft mal Weg ist Vortrieb durch Herrlichkeit" verdankt in diesem speziellen Fall ihre Faszination einem 6,0-Liter-W12, den zwei Turbolader 411 kW (560 PS) stark machen. Schon bei 1600 / min sammelt sich das maximale Drehmoment von 650 Nm am Ausgang der Getriebeglocke. Auf trockener Straße spurtet der Conti GT in 4,8 Sekunden von Null auf 100 km/h. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 318 km/h.

Für die Kraftübertragung ist eine Sechsgang-Automatik zuständig, die bereits bei 1600 / min die Wandlerüberbrückungskupplung schließt, um den Gummibandeffekt beim Beschleunigen im Ansatz zu unterbinden.

Der Motor klingt eher nach Wagner und Bruckner als nach Crewe und Wolfsburg: mal dumpf und kehlig grollend, mal majestätisch-orchestral, mal aufbrausend bis hin zum enthemmten Volllast-Donnern. Den Preis für die Musik in den Ohren und den Schub im Kreuz bezahlt man spätestens beim nächsten Boxenstopp. Der Testwagen genehmigte sich inklusive Schlossgeistzuschlag und Dudelsacksteuer fast 26 Liter - ein ganz klar zu hoher Wert, der alle 340 Kilometer zum Nachtanken zwingt.

Gut positioniert

Mit 159.000 Euro ist dieser Bentley zwar teurer als ein vergleichbarer Mercedes CL 600 oder ein Porsche 911 turbo, aber er kostet deutlich weniger als andere Exoten vom Schlag eines Ferrari 456 GT oder eines Aston-Martin Vanquish. Für den Continental GT spricht die Mischung aus unvergleichlichem Flair und überlegener Fahrdynamik, aus standesgemäßem Auftritt und problemloser Beherrschbarkeit, aus Supersportwagen und Alltagsauto. Fast 4000 Sehr-viel-Besserverdiener haben schon einen Kaufvertrag unterzeichnet und müssen teilweise bis 2005 auf die Auslieferung warten.

Auf gleicher technischer Basis ist bereits eine viertürige Limousine im Entstehen; ein Cabriolet könnte folgen. Keine Frage - es geht wieder aufwärts mit Bentley.

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