Auto-Neuheiten 2003:Mit Vollgas durch die Talsohle

Lesezeit: 4 min

Mit einer Flut neuer Modelle wollen die Hersteller der Absatzkrise trotzen und nutzen den Genfer Salon als Stimmungstest.

Jörg Reichle

(SZ vom 1. / 2. 3. 2003 - ) Genf im März, das ist das große Aufatmen. Wenn der erste Pflichttermin des Jahres, die US-Autoshow im winterlich eisigen Detroit, erst mal überstanden ist, freut sich die Branche auf den Salon de l'automobile de Genève. Er ist bei allen beliebt: intim, familiär, überschaubar. Außerdem riecht es dort meist schon so verführerisch nach Frühling.

Der neue 5er-BMW soll im Juli auf den Markt kommen. (Foto: Foto: BMW)

Unabhängig davon gilt die Messe, die kommende Woche beginnt, als Stimmungstest für das ganze Autojahr. Lächelt Genf, kann nicht viel schief gehen, sind die Mienen bedrückt, gibt es oft auch später nicht viel zu feiern.

Dieses Jahr scheint wenig Anlass für Heiterkeit zu bestehen. Die Großwetterlage über der Autoindustrie ist düster, die Bestelleingänge sinken, die Prognosen sind mies. "Die Verunsicherung", warnte der Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Bernd Gottschalk, schon vor Wochen, "ist groß. Wer um seinen Arbeitsplatz fürchtet, verschiebt seinen Autokauf, wer die Höhe seiner künftigen Nettobezüge nicht kennt, wartet lieber erst einmal ab."

180 neue Modelle

Dennoch ist von Depression bei den Autobauern nicht viel zu spüren. Nach dem Motto "jetzt erst Recht" steht in diesem Jahr eine Flut von mehr als 180 neuen Modellen vor der Markteinführung. Man fährt mit Vollgas durch die Talsohle - ohne freilich genau zu wissen, ob quer oder der Länge nach.

Was 2003 so spannend macht, sind vor allem die Premieren der kriegsentscheidenden Volumenmodelle: VW Golf und Opel Astra stehen erstmals im September auf der IAA in Frankfurt, der VW wird dann von November an verkauft, der Opel kommt erst 2004.

Zu den wichtigsten Neuerscheinungen auf dem deutschen Markt gehört auch der mit Spannung erwartete neue Fünfer von BMW. Er wird im Juli vorgestellt, und Ende des Jahres erlebt er gleich noch sein Coupé-Derivat: den neuen Sechser.

Immer mehr Vans

Ansonsten spiegeln die neuen Modelle einerseits zunehmende Volksnähe, andererseits den Versuch der Autoindustrie wider, auch wirklich die letzte Produktnische noch zu füllen.

Das zeigen vor allem die zahlreichen Van- Varianten der Volumenmodelle, dank Plattform-Strategie kostengünstig herzustellen, dazu chic und vielseitig einsetzbar mit ihrer variablen Raumeinteilung.

Die wichtigsten stehen bereits in Genf: Neben dem VW Touran auf Basis des Golf V, der im März auf den Markt kommt, wird die Neuauflage des einstigen Trendsetters Renault Scénic mit Interesse erwartet. Der kompakte Van hat, ähnlich wie sein großer Bruder Espace, zwei unterschiedlich lange Radstände und wird als Fünf- und Siebensitzer angeboten - mit Motoren von 95 bis 140 PS. Den langen Scénic kann man allerdings erst 2004 kaufen.

Direkter Konkurrent des Scénic ist der Ford C-Max auf Basis des neuen Focus (2004), ein hoch variabler Fünfsitzer, der Ende des Jahres in den Verkauf geht. Auch Opel will neben dem erfolgreichen Zafira einen zweiten Van im Markt etablieren: Der Meriva kommt im April.

Fiat will hoch hinaus

Gleich zwei Vertreter des automobilen Hochbaus wird es vom angeschlagenen Fiat-Konzern geben, der in Genf auch mit seinen Schwestermarken Alfa Romeo (neues GT Coupé) und Lancia (Weltpremiere des kleinen Ypsilon) betont ehrgeizig agiert und sich auf seine Stärke zu besinnen scheint, pfiffige kleine Autos fürs Volk zu bauen.

Ein Van auf Basis des Fiat Punto ist der erste Coup in dieser Richtung, die Neuauflage des Prinzips Panda der zweite. Das nur 3,5 Meter lange Autochen (Noch-Name: Projekt 169), das so breit ist wie hoch, soll für deutlich weniger als 10.000 Euro von Oktober an in Deutschland zu bekommen sein.

Das Nischen-Konzept der Hersteller macht bei den Vans nicht Halt. Groß und klein, geräumig und eng, schnell und sparsam, offen und bequem sind längst Gegensatz-Paare von gestern.

So wird man künftig starke Coupés mit sparsamen Diesel-Motoren bekommen (neue BMW-Dreier-Generation), ein Cabrio, das in einen Pick-up zu verwandeln ist (Citroën Pluriel) und Crossover-Modelle wie den neuen Opel Signum, der als Vectra-Topvariante eine Kreuzung zwischen Kombi und Coupé darstellt (Marktstart im Mai).

Und auch Offenbarungen unterschiedlichster Art stehen uns 2003 wieder bevor, vor allem für vier. Das VW Beetle Cabrio ist für knapp unter 20.000 Euro gerade auf den Markt gekommen, Mercedes präsentiert in Genf den neuen CLK und Peugeot zeigt die offene Version des 307 - ein wie üblich attraktiv gezeichnetes Cabrio mit einem Klappdach aus Metall wie beim kleineren 206 CC. Es lässt allerdings noch bis zum Herbst auf sich warten.

Noch mehr Fahrspaß für weniger Insassen werden Opel und Ford 2003 anbieten: der knuffige zweisitzige Street-Ka aus Köln (Anfang Mai) und der spartanische Speedster Turbo aus Rüsselsheim (von sofort an) sollen den Beweis antreten, dass die ungetrübte Lust an der Fortbewegung kein Privileg der Sportwagenhersteller ist. Und genau das hat auch Smart mit dem minimalistischen Roadster vor, der im Mai zu den Händlern gelangt.

Es entscheidet die Masse

Ungeachtet des Charmes der Nische: Das Geschäft wird noch immer im Massenmarkt entschieden. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an VW Golf und Opel Astra gesteckt, die beiden traditionellen Bestseller auf dem deutschen Markt, auch wenn sich der Opel zwischendurch von seinem Platz auf dem Treppchen verabschiedet hatte.

Der Golf V, der auf derselben Plattform steht wie der gerade präsentierte Audi A3, wird wieder das VW-eigene Design tragen, verlässlich, nicht zu mutig, wie es sich für einen echten Volkswagen gehört.

Er wird etwas größer werden, hat mehr Radstand und mehr Kofferraum. Die Motoren reichen vom 1,4-Liter mit 75 PS bis zum 2,0- Liter-Turbo mit 200 PS. Mit Ausnahme des Basismotors werden dabei alle Benziner Direkteinspritzer sein, außerdem gibt es zwei TDi-Motoren mit 100 und 136 PS.

Ansonsten wird gewaltig aufgerüstet: Sechsgang-Schaltgetriebe, DSG-Automat, Kopfairbags, Sidebags hinten, Bi-Xenonlicht und heizbare Frontscheibe - gegen gutes Geld ist alles zu haben.

Angedeuteter Astra

Unterdessen gibt Opel in Genf schon einen Vorgeschmack auf den neuen Astra. Die Studie GTC soll wesentliche Design-Elemente vorwegnehmen und nährt damit hoch gesteckte Erwartungen. Die Motoren des Astra sollen von 75 bis 225 PS reichen, die Diesel stammen von Isuzu und Fiat.

Die Spitze: fest in deutscher Hand

Doch bei allem Lob der Vernunft: Auch dieses Jahr wird es sie wieder geben, die unerreichbaren Wunderwerke auf vier Rädern. Teuer, exklusiv, radikal. Porsche zeigt in Genf den neuen Carrera GT (565 PS, 330 km/h), der Mercedes SLR (560 PS, 320 km/h) debütiert auf der IAA, und die Krönung kommt aus dem VW-Konzern, heißt Bugatti 16.4 Veyron und schlägt alles Dagewesene: 16 Zylinder, 1.001 PS, 406 km/h zum Stückpreis von 1,16 Millionen Euro. Das Auto kommt genau richtig, denn wann wären Träume wohl nötiger als in den trüben Zeiten der Krise?

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: