Auto-Legende: Opel Ascona:Der rote Blitz

Lesezeit: 4 min

Lange Zeit stand Opel nicht unbedingt für Autos, denen die Menschen mit glänzenden Augen hinterherblickten - außer denen, die uns liebten und uns zum Abschied nachwinkten. Unser Autor trauert dem Ascona seiner Eltern trotzdem nach. Und durfte ein Wiedersehen mit dem Ascona feiern.

Harald Hordych

In einem Opel wurde niemand zum Star. Aber das spielte keine Rolle, denn sehen und gesehen werden, das war nicht die Leitidee von Opel-Fahrern.

Die Farbe des kleinen Kerls knallt wie ein Pistolenschuss: ein Opel Ascona A (Foto: Foto: Hersteller)

Damals, vor 26 Jahren, als meine Eltern den Opel Ascona A fuhren, gab es Leute, die Mercedes, BMW oder einen Audi 100 kauften. Und es gab Opel-Fahrer. Für sie war Eitelkeit ein Fremdwort. Wer einen Opel fuhr, kaufte gleich den bis heute unausrottbaren Spruch mit, über den der Opel-Käufer nicht unbedingt herzlich lachte, der ihm aber auch nichts ausmachte - denn so lange der als Popel Geziehene zuverlässig dorthin gelangte, wo er hinwollte, prallte die Häme von ihm ab wie Regentropfen vom Lack. Hauptsache ankommen.

Mit 19 bekam ich den Ascona A von meinen Eltern geschenkt. Ich war sehr stolz. Denn der Ascona war damals der Exot in der braven Opel-Familie. Das merkte man auch am Namen. Ascona liegt am Lago Maggiore - wie weit weg das klingt. Ein Kadett, so hieß der kleinere Bruder, war irgendeine Nummer beim Militär; einer, der noch viel lernen muss, Pflichterfüllung war sein Auftrag. Der große Rekord musste schuften, Höchstleistungen bringen. Aber: Ascona! Herrlich . . .

Unruhe in der Idylle

Und jetzt, nach 25 Jahren, durfte ich noch einmal ganz von vorn anfangen - zumindest als Autofahrer, weil der Flitzer es bis ins Museum gebracht hat, in die historische Sammlung im Opel-Werk in Rüsselsheim. Ein Spezialtransporter hatte ihn eigens zu mir nach München gebracht. Und schon der erste Augenschein beweist: Der Ascona sollte anders sein, sollte Unruhe in die Opel-Idylle bringen.

Entworfen hatte ihn der Mann, der auch den zweisitzigen Sportwagen GT gezeichnet hatte: Erhard Schnell. Entsprechend unternehmungslustig reckte der Ascona seine hübsch gezackte Schnauze in den Fahrtwind, ein Auto für die aufbrechende Jugend. Der Katalog pries ihn denn auch als die sportliche Variante des Fahrens. Und tatsächlich verbindet sich eine Erfolgsstory mit diesem Namen: Von den drei Versionen wurden von 1970 bis 1988 fast vier Millionen Exemplare gebaut.

Verglichen mit dem, was der Ascona in seiner Zeit sein sollte, wirkt er heute sehr klein. Wäre er ein Kerl, dann würde man heute sagen: "Der hat aber schmale Schultern und dünne Beine." Fast ein schüchternes Kerlchen, über das man schützend seinen Arm legen möchte, so verloren steht er heute auf dem Parkplatz zwischen all den großen Autos, die wir heute fahren - die Opel-Fahrer eingeschlossen.

Wie ein Pistolenschuss

Dafür knallt die Farbe des kleinen Kerls wie ein Pistolenschuss über den Platz: Solch ein poppiges Rotorange gibt es heute nicht mehr. Auch mein Ascona stand seinerzeit so da, und meine Freunde nannten ihn sofort "roter Blitz".

Darüber konnten sie sich ausschütten vor Lachen. Was aber keinen daran hinderte, mit diesem Blitz liebend gern in Urlaub zu fahren. Recht besehen, blieb mir dieses Auto besonders aus diesem Grund in Erinnerung. Es war ein famoses Urlaubsauto. Was viel damit zu tun hatte, dass diese ersten Reisen die aufregendsten waren.

Kampfsport-Schaltung: Fehlanzeige

Auf jedem Ausfahrtsschild sahen wir in Rotorange das Wort "Freiheit" leuchten. Der Blitz, der uns dort hintrug, hatte neben dem Topkomfort-Element "Viertürer" Sensationelles zu bieten: ein Automatikgetriebe. Das kostete seinerzeit 1000 D-Mark Aufpreis und machte die L-Version mit Beifahrer-Halteschlaufe Mitte der siebziger Jahre mit 10.800 D-Mark auch preislich zu einem echten Mittelklassevergnügen.

Dort zwischen den Vordersitzen ist das Highlight komfortablen Fahrens zu erkennen, der schwarze Griff, mit dem die Automatik-Fahrstufe gewählt wird, und er ist genauso dynamisch nach hinten gebogen, wie man es in Erinnerung hat - als müsse selbst dieser Griff möglichst geringe Luftwiderstandswerte liefern.

Diese Dreigang-Automatik-Schaltung war und ist ein Prunkstück und natürlich ein Widerspruch: Für sportliche Fahrer gab es damals nichts Abturnenderes als eine Automatik-Schaltung. Schließlich war das eine Bankrotterklärung für jene, die den Motor kampfsportmäßig zum Heulen bringen wollten. Und Walter Röhrl gewann die Rallye-Europameisterschaft 1975 ganz sicher nicht mit einem Automatik-Ascona.

Für mich war mein Ascona aber eben deshalb die rechte Mischung zwischen Rasanz und Komfort. Er war das tollste Auto der Welt, weil man mittels Kickdown jeden BMW an der Ampel stehen lassen konnte und danach nur noch mit dem sanften Rucken der Automatik-Schaltung dahinrollte. Rennwagen und Luxuskarosse - das erste Auto hat mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun, dafür aber umso mehr mit Träumen.

Das Kassettenfach als Höhepunkt

Und jetzt? Lebt das Ascona-Gefühl nach all den Jahren wieder auf, was passiert hinter dem schwarzen Lenkrad mit Blick auf die Armaturen, für die das Wort schnörkellos erfunden worden sein muss? Klassische Schlichtheit mit genau acht Lämpchen und drei Nadeln, mit denen alle Funktionen des modernen Autobetriebs abgedeckt sind. Öl, Licht, Batterie. Und in der Mitte der Konsole als einsamer Höhepunkt: das Autoradio mit Kassettenfach!

Mehr brauchte ich damals nicht - bei diesem Gedanken verheddere ich mich genau wie früher in den Sicherheitsgurten, die nicht automatisch zurückschnurren. Dann startet man den roten Blitz und fährt in die Stadt hinein, wohl merkend, dass all die Kurbelei mit der Nicht-Servolenkung nur noch halb so viel Spaß macht wie früher.

Einer fürs Land

Und auch mit dem entschlossenen Durchtreten des Gaspedals ist es trotz der 68 PS meiner 1,6-Liter-Version nicht so weit her. Immerhin zählt der alte Knabe schon 31 Jahre, und das wilde Rucken, das durch den ganzen Wagen fährt, will ich ihm anfangs nicht zumuten.

In der Stadt ist vom Ascona-Feeling noch nicht viel zu spüren. In engen Kurven schwimmt er ein wenig, schnelle Lenkbewegungen gefallen ihm nicht. Aber dann, draußen auf dem Land, schnurrt der kleine Rote wie in meinen schönsten Erinnerungen.

Nicht rasen, rollen!

Es ist dieser gewisse Ruck, wenn die Automatik in die nächst höhere Fahrstufe schaltet, nach dem der Fahrer sich vollends entspannen kann - nicht zu langsam und nicht zu schnell, so rollt der Ascona durch die weiten Kurven des Alpenvorlandes. Wie auf Schienen lief der Ascona immer, wenn wir in die Ferne fuhren. Rasen kann man mit diesem Auto nicht, aber so wunderbar rollen, damals in die Zukunft und in den Urlaub. Heute einfach in den Tag hinein.

Mein sechsjähriger Sohn schenkt dem betagten Ascona ein schönes Kompliment. Überraschend stellt er fest: "Das ist ein viel sichereres Auto, weil es aus Stahl ist. Die neuen Autos sind nur aus Blech." Ich glaube, dass diese kleine sportliche, elegante, luxuriöse Limousine mit ihren lustigen Chromaugen und Chromtürgriffen, mit ihren Zierleisten und der glänzenden Stoßstange das verdient hat.

Genau wie die Blicke, die ihr nun doch nachgeworfen werden. Allerdings kann man Frauen noch immer nicht beeindrucken. Es sind vielmehr die nicht mehr schlanken Männer in den Fünfzigern, die dem Ascona und mir überrascht nachschauen. Sie lächeln versonnen. Und denken wahrscheinlich an die Zeiten, die nicht aufregend waren, aber in denen alles in allem die Dinge und auch ihr Ascona ziemlich gut gelaufen sind.

© SZ vom 5. 1. 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: