Auto-Köpfe (3): Peter Schreyer:Ein Bayer im Himmel

Der Designer Peter Schreyer machte sich von Volkswagen auf nach Korea. Dort will er Kia ein Gesicht verpassen.

Oskar Weber

Die Kia-Europa-Zentrale an der Frankfurter Theodor-Heuss-Allee ist so neu, dass der Besucher noch die frische Farbe atmet, das Bambusholz der Fußböden, die Elektromotoren der Aufzüge. Der Chief Design Officer der koreanischen Konzernmarke hat hier sein Hauptquartier aufgeschlagen: eine verglaste Kanzel zwischen Himmel und Erde. Draußen die Frankfurter Messe, kalter Beton im hellen Mittagslicht. Drinnen, in der Mitte der Bürokanzel eine Arbeitsplatte gleichsam über den verchromten Tischbeinen schwebend. Auch sie aus Glas. Die Stühle schwarzweiß. Ein Raum voller Licht und ohne Farben.

Auto-Köpfe (3): Peter Schreyer: Man in black: Peter Schreyer, zählt zu den führenden Designern der Autoindustrie. Was ihn bewogen hat, nach Korea zu gehen? Die Chance, etwas Neues zu begründen. Die Kia-Studie Kee gibt einen Vorgeschmack.

Man in black: Peter Schreyer, zählt zu den führenden Designern der Autoindustrie. Was ihn bewogen hat, nach Korea zu gehen? Die Chance, etwas Neues zu begründen. Die Kia-Studie Kee gibt einen Vorgeschmack.

(Foto: Foto: Kia)

Nur drüben vor dem Panorama der Stadt ein paar Tupfer Rot und Grün und Blau - ein kleines Doppeldecker-Flugzeug auf der Miniaturrollbahn eines Sideboards. Dekorationsstück oder Symbol einer Leidenschaft? "Eine Sopwith Camel aus dem Ersten Weltkrieg", sagt Peter Schreyer und lässt die Frage zunächst unbeantwortet.

Was sind schon Zufälle in einer Epoche, die der Macht der Maschinen huldigt?

Die Sopwith Camel: Das ist jenes Baumuster, mit dem ein kanadischer Staffelführer 1918 den deutschen Kollegen Manfred von Richthofen vom Himmel über Flandern holte - sagt jedenfalls die Legende (zuverlässigere Quellen erzählen die weit profanere Geschichte vom im Dreck des Schlachtfeldes liegenden Infanteristen, der den Helden der Lüfte und der kaiserlichen Propaganda mit einem Zufallstreffer aus seinem MG in die ewigen Jagdfliegergründe schickte).

Peter Schreyer kennt diese Geschichten, er kennt auch die Geschichte, und es ist nur ein Zufall, dass sich eine historische Randnotiz in dieses Büro verflogen hat. Andererseits: Was sind schon Zufälle in einer Epoche, die der Macht der Maschinen huldigt; in einer Zeit, in der technische Meisterleistungen wie die Camel ganz selbstverständlich zu Abziehbildern des richtigen, des komplizierten Lebens geraten? "Faszinierende Konstruktion, aber schwer zu fliegen", sagt der Sportpilot Peter Schreyer.

Jetzt, im reifen Alter von 55 Jahren, kann er ja darüber reden. Dass es der Zufall war, der ihn zum Studium des Industriedesigns nach München brachte. Dass er es sich sehr gut hätte vorstellen können, den elterlichen Gasthof mit angeschlossenem Sportflugplatz zu übernehmen. Dass er als Junger nie die existenzielle Pein empfunden hat - fort, nur fort! -, dem alpenländischen Idyll seiner Heimatstadt Bad Reichenhall direkt an der Grenze zum Salzburger Land entkommen zu müssen.

Ein Bayer im Himmel

Peter Schreyer blickt aus seiner schwarzen Designerbrille an seinem schwarzen Designeranzug hinunter in sein kühles Chefdesignerbüro hinein und sagt: "In der Rückschau muss ich sagen: Gastwirt in Oberbayern, das wäre ich eigentlich auch ganz gerne geworden." Warum er dann nicht geblieben ist? "Weil es sich nicht so ergeben hat." Warum es ihn ausgerechnet in die internationale Welt des Automobildesigns verschlagen hat? "Weil es sich so ergeben hat."

"Es ist die Chance, etwas Neues zu begründen"

Ob er ein Stück seiner Bodenständigkeit in diese diametral entgegengesetzte berufliche Existenz hinübergetragen hat? "Ja, ich verstelle mich nicht. Niemals." Peter Schreyer zögert einen Augenblick. Überlegt. Und bittet dann um einen Nachsatz: "Ich passe mich nicht an, aber ich habe immer großen Respekt." Als ob Toleranz ein Synonym für die gelebte Wirklichkeit der Provinz wäre. "Mag sein", sagt Peter Schreyer, "aber Toleranz ist ein weites Feld, übrigens auch bezüglich der Beurteilung der Provinz selbst."

Reflexionsvermögen, Authentizität, Respekt. Peter Schreyer reduziert das soziale Anforderungsprofil für seine Arbeit bei Kia auf diese drei Begriffe. Soll heißen: Die kulturelle Vielschichtigkeit der Aufgabenstellung ist der springende Punkt, weil der Chefdesigner einer Automarke nicht an verborgener Technik arbeitet, sondern am Gesicht des Geschäftsmodells. Und das will Autos verkaufen - möglichst viele, an möglichst viele unterschiedliche Zielgruppen, in möglichst vielen unterschiedlichen Märkten.

Im Falle Schreyer/Kia heißt das aber nicht nur, dass ein "Muttersprachler" des Abendlandes für eine Unternehmenskultur des Fernen Ostens eine neue globale Formensprache suchen und finden soll. Denn erstens ist Kia als Spätstarter auf dem Automobilmarkt ein weitgehend unbeschriebenes Blatt - preiswert, technisch anspruchslos, emotionaler Faktor gleich null. Und zweitens tut sich asiatisches Selbstwertgefühl traditionell schwer damit, unternehmerische Schlüsselpositionen in fremde Hände zu geben.

Ein Bayer im Himmel

Die Branche raunte deshalb, als die Korea-Connection - Kia gehört zum mächtigen Hyundai-Konglomerat - vor knapp zwei Jahren den neuen Designchef ausgerechnet beim Vollsortimenter Volkswagen abwarb; bei jenem Konzern also, der mit seinem breiten Markenportfolio von Brot (Seat, Škoda, VW) und Butter (Audi) bis Spiele (Bentley, Lamborghini, Bugatti) alle Herausforderungen des internationalen Automobilgeschäftes kennt, beackert. Und der Designer Schreyer selbst sah sich nicht nur den üblichen Spekulationen ausgesetzt, die den Abgang von Topmanagern medial begleiten, sondern auch hämischem Spott. Tenor: Was will er denn da, dort drüben, ganz unten? Kein Spaß, bei Regen über einen Alpenpass zu strampeln, wenn die Schönwetter-Radler im Biergarten hocken und über die Wahl des richtigen Ritzels schwadronieren.

Zuweilen zehrt die Anstrengung

"Es ist die Aufgabe", sagt der formale Erfinder des New Beetle und des Audi TT schmucklos. "Klingt banal, aber es ist tatsächlich die Chance, etwas Neues zu begründen und dabei aus dem Vollen zu schöpfen." Dafür fliegt Peter Schreyer jetzt jeden Monat für eine Woche nach Seoul, besucht seine 200 Mitarbeiter in den Kia-Designstudios in Japan und Los Angeles, absolviert den täglichen Meeting- und den alljährlichen Messemarathon. Der Preis fürs Amt, für die Gehaltsschecks, für die eigene Wichtigkeit? "Nein", sagt Peter Schreyer, "umgekehrt wird ein Schuh draus: Das volle Programm der Gestaltungsfülle gibt es nun mal nicht zum Nulltarif."

Auch wenn es zeitaufwendig ist, auch wenn die Anstrengung zuweilen zehrt: Peter Schreyer ist jetzt ein Bayer im gefühlten Himmel. "Mein Ziel ist es, dass man Kia in drei bis fünf Jahren als Marke erkennt, als ernstzunehmende Marke mit einer stimmigen Produktpalette." Sagt es und legt eine Kladde vor sich auf den Schreibtisch - eine Kladde und ein weißes Blatt Papier.

Hier das Wörterheft mit den koreanischen Schriftzeichen: "Es macht Spaß, diese Sprache zu lernen." Dort das weiße Blatt Papier: "Wann immer ich ein paar Minuten Zeit finde, beschäftige ich mich mit dem Thema Markenvisualisierung." Ein neues Markenzeichen für Kia? "Ich würde es Hoheitszeichen nennen. BMW hat eines, Audi hat eines, Mercedes sowieso. Kia wird irgendwann auch so ein Hoheitszeichen haben." Peter Schreyer wischt mit dem Stift ein paar Striche aufs Papier. Darf man mal sehen? "Erst, wenn es fertig ist."

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