78. Genfer Autosalon:Die neue Bescheidenheit

Luxusautos kämpfen um ihre künftige gesellschaftliche Akzeptanz, dafür zeigt der Kleinwagen auf dem Genfer Salon ein verblüffendes Selbstbewusstsein.

Joachim Becker

Genf steht auf Glamour. Wo Calvin einst Bescheidenheit predigte, ist heute die Boulevardseite der diskreten Schweiz zu bewundern. Jeder Stau am Lac Leman wird zum großen Kino: Italienische Sportwagen, britische Chauffeurskarossen und deutsche Businesslimousinen geben sich hier ein Stelldichein.

78. Genfer Autosalon: Überraschungsei: Toyota stellte in Genf den iQ vor, den kleinsten Viersitzer der Welt.

Überraschungsei: Toyota stellte in Genf den iQ vor, den kleinsten Viersitzer der Welt.

(Foto: Foto: Toyota)

Für die Kleinen sprechen nicht mehr nur Vernunftargumente

Alljährlich findet der geballte Luxus auch in den Messehallen statt: Der Genfer Automobilsalon ist die Frühjahrs-Modenschau der Blechschneider und Stoffdach-Couturiers. Erlaubt ist, was gefällt - selbst goldene Türgriffe und Schutzleisten, die eine Mini-SUV-Studie von Kia wie ein Handtäschchen auf Rädern aussehen lassen: "Wir setzen uns über Konventionen hinweg!", ruft Peter Schreyer ins Publikum. "Kia ist mehr als eine vertrauenswürdige, verlässliche und erschwingliche Marke", so der Kreativdirektor des koreanischen Herstellers: "Das Soul Projekt schreit förmlich vor Leidenschaft, Spaß und Individualismus", hämmert der frühere VW- und Audi-Designchef seinen Zuhörern ein.

Das ist das Genf-Credo: Verführe deine Kunden! Mache sie hörig, damit sie über andere Marken gar nicht mehr nachdenken. Was für ein Rolls-Royce Coupé mit Sternenhimmel unterm Dach richtig ist, muss für Kleinwagen nicht falsch sein.

Der aktuelle Mini und Fiat Cinquecento demonstrieren, wie man Kunden süchtig nach hübschen Parkplatzwundern machen kann. Vorbei die Zeiten, als deutsche oder japanische Hersteller vornehmlich mit Vernunftargumenten für ihre Kleinsten warben. Das überlassen sie lieber Renault, dem einstigen Créateur d'Automobiles, der die Branche inzwischen mit seinem neuen Bieder-Image langweilt. "Diese einstmals emotionalen Franzosen versuchen gerade eine 180-Grad-Kehrtwende. Das kann nicht gutgehen", sagt ein Insider, der lieber nicht genannt werden möchte.

Die neue Bescheidenheit

Viel aufregender als der mühsame Renault-Turn-around ist die Aufholjagd der Konzerntochter Dacia. Mit dem Logan verdienen die Franzosen schon heute mehr als die konzernweit angestrebte Marge von sechs Prozent. "Je mehr Logans wir verkaufen, desto rentabler sind wir", sagte Konzernchef Carlos Ghosn vor Beginn des Automobilsalons.

78. Genfer Autosalon: Spielmobil: Kia stellt in Genf die Studie Soul in drei Varianten vor. Das Ziel: mehr Emotion für die Marke.

Spielmobil: Kia stellt in Genf die Studie Soul in drei Varianten vor. Das Ziel: mehr Emotion für die Marke.

(Foto: Foto: Kia)

Auffallen um jeden Preis

Mit der schicken Neuerscheinung Sandero übernimmt Dacia endgültig die Rolle der sympathischen Einstiegsmarke. "Der Sandero ist geräumig, modern, verlässlich und sparsam", sagt Béatrice Foucher, die oberste Dacia-Produktplanerin - und man mag ihr nicht widersprechen. Die fünftürige Schrägheck-Limousine bietet so viel Platz wie ein VW Golf, soll aber um die 8000 Euro kosten. Bei solchen Dumpingpreisen können selbst die Koreaner nicht mehr mithalten. Kein Wunder, dass Kia mit aller Macht ins Revier von VW, Ford und Opel aufsteigen will.

Unschlagbar billig ist die zu erwartende Konkurrenz aus Asien und Russland. Deshalb versuchen die europäischen und japanischen Traditionsmarken ihr Image aufzupolieren. "Wer an die jungen und solventen Erstkäufer heran will, muss technisch oder gestalterisch überragend sein", sagt Alain Visser. Dann verweist der Marketingchef von General Motors in Europa auf die Opel-Meriva-Studie mit gegenläufig öffnenden Türen wie beim Rolls-Royce Phantom.

Auffallen um jeden Preis will auch Ford mit einem quietschgrünen und violetten Fiesta als Blickfang auf der Messe. Mit dem kantigen Sparmobil von einst hat der aufgestylte Kompakte nichts mehr zu tun. Kleinwagen sind erwachsen geworden, statt des kulleräugigen Kindchenschemas zeigen sie breite Schultern und einen knackigen Po. In Zeiten der beruflichen Gleichberechtigung dürfen Frauenautos durchaus sexy sein.

Die neue Bescheidenheit

78. Genfer Autosalon: Billig fährt am längsten: Der neue Dacia Sandero ist ein Golf-Konkurrent für lediglich 8000 Euro.

Billig fährt am längsten: Der neue Dacia Sandero ist ein Golf-Konkurrent für lediglich 8000 Euro.

(Foto: Foto: Dacia)

Nach dem Fortschritts-Paradigma "schneller, größer, reicher", ist im Zeitalter der Umweltdiskussionen jetzt Umdenken zur smarten City-Mobilität für Singles angesagt. Auch im Luxusmarkt geht es nicht mehr um CO2-Besitzstandswahrung, sondern nur noch um Schadensbegrenzung für das Klima und Premium-Image. Folgerichtig wildern Audi, BMW, Volvo und künftig auch Saab in den unteren Segmenten, um ihren Flottenverbrauch zu senken - und ihre Kunden nicht zu vergrätzen.

Aus der Traum von der unbeschwerten Luxusmobilität?

"Die neuen CO2-Steuern in Spanien und Schweden führen zu einer dramatischen Verschiebung des Käuferverhaltens. Dort entscheiden sich jetzt fünfmal so viel Kunden für einen Kleinwagen", sagt Alain Visser, "mit den angedrohten CO2-Sanktionen der Europäischen Union wird sich dieser Trend in den nächsten Jahren noch verstärken."

Auch Ford-Forschungschef Gerhard Schmidt und Toyota-Sprecher Peter Wandt gehen von einem Klimawandel in der Branche aus: "2004 lag der Anteil von Toyota-Modellen mit weniger als 140 Gramm CO2/km unter 25 Prozent, 2006 waren es schon 33 Prozent - Tendenz weiter steigend", so Wandt. Doch in Deutschland werden Autos immer Statussymbole bleiben.

"Deshalb reden die Kunden von Umweltschutz und kaufen einen SUV", erklärt Visser das scheinbar Unvereinbare: "Ältere Kunden werden nicht auf kleinere Fahrzeuge umsteigen, weil sie das als Prestigeverlust empfinden. Sie kennen nur die engen, spartanischen Kleinwagen von früher", so Visser. Eine neue Generation von Kunden und Autos muss also her, um das Klima zu retten.

Aus der Traum von der unbeschwerten Luxusmobilität. Der Vorschlag der EU-Kommission, die CO2-Emissionen für Neuwagen ab 2012 auf 130 g/km zu beschränken hat die Branche verstört. Die Androhung von Milliarden-Strafen wirkt, als hätte jemand mitten in einer romantischen Kinovorführung das Saallicht angeknipst. Müssen wir unter dem Bannstrahl der EU künftig alle Kleinwagen fahren?

Die neue Bescheidenheit

BMW tritt dieser Schlussfolgerung in Genf vehement entgegen. Leuchtend blaue Zahlen auf den weißen Luxusfahrzeugen zeigen, dass "Freude am Fahren" und Klimaschutz kein Gegensatz sein müssen. Aber die Öko-Demo macht auch die Grenzen des Wohlstands klar: Ein BMW X5 Diesel-Hybrid könnte künftig zwar nur 6,5 Liter verbrauchen. Weniger als 172g CO2/km sind mit einem großen Geländefahrzeug aber kaum drin: "Jeder zusätzliche Effizienzgewinn ist nur mit exponentiell steigendem Aufwand und Kosten erschließbar", heißt es in der Pressemeldung, die auch ein Signal nach Brüssel ist.

Während die Schwergewichte über zwei Tonnen um ihre künftige gesellschaftliche Akzeptanz kämpfen, ist unter den Fliegengewichten ein neuer Wettstreit ausgebrochen. Nach dem VW Polo BlueMotion wollen auch Ford Fiesta Econetic, Opel Corsa Ecoflex und eine Variante des Fiat Cinquecento die CO2-Schallmauer von 100 g/km unterbieten.

Die Kleinen sind beim Umweltschutz oft voraus

Toyota hat mit dem iQ in Genf den "kleinsten Viersitzer der Welt" vorgestellt, der Ende des Jahres auch als Ökomobil zu haben sein wird. Im Gegensatz zu den Diesel-Sparern des Wettbewerbs will der knapp drei Meter kurze City-Flitzer einen CO2-Wert von 99 g/km mit einem 1,0-Liter-Benziner erreichen. Der nächste Toyota Prius, der 2009 auf den Markt kommen soll, benötigt für solche Bestwerte ein aufwendiges Leichtbaukonzept und einen weiterentwickelten Hybrid-Antrieb. Dafür wird der Elektro-Pionier aus Japan in einer ganz anderen Liga spielen und im Außenformat des VW Golf einen deutlich größeren Innenraum als seine Wettbewerber bieten.

Schön, sicher und recht komfortabel: Die neuen Kleinen können fast alles besser als ihre Vorgänger. Sie fahren technologisch auf Augenhöhe mit weit größeren Autos und sind ihnen beim Umweltschutz oft voraus. Aber die Quadratur des Kreises gelingt den Newcomern dann doch nicht: Sie setzen noch immer auf konventionelle Fahrzeugarchitekturen mit Frontmotor und Mitteltunnel. Ob VW im Kleinwagen Up! wirklich ein platzsparendes Heckmotor-Konzept realisieren wird, ist in der Branche und wohl auch bei Volkswagen heiß umstritten: zu teuer in der Entwicklung, zu aufwendig in der Herstellung, weil es zu wenig Synergien mit der bestehenden Modellpalette gibt. Schade um das innovative Design ohne vorgestreckte Motorhaube. Solche wegweisenden Lösungen würden zwar prima zu den jungen Kunden der Kompaktklasse passen.

Aber bezahlbar werden sie als teure Hybrid- und Elektrofahrzeuge wohl nur für das Auto-Establishment sein.

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