Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie "Die besten Sportfilme", Platz 2:Ein Boxkampf so faszinierend wie die Mondlandung

Lesezeit: 3 min

Der Film "When We Were Kings" dokumentiert das Duell zwischen Muhammad Ali und George Foreman - den "Rumble in the Jungle". Der oft als Großmaul beschriebene Ali ist darin als verletzlicher Mann zu sehen.

Von Holger Gertz

Sportfilme haben es von Natur aus schwer: Der geneigte Sportfan erkennt sofort, dass selbst begnadete Schauspieler nicht zwingend Topathleten sind und Topathleten noch seltener begnadete Darsteller. Doch in den vergangenen Jahren ist die Auswahl gelungener Filme immer größer geworden: Die SZ-Sportredaktion stellt 22 von ihnen vor und kürt damit die - höchst subjektiven - 22 besten. Diesmal Platz 2 "When We Were Kings - Einst waren wir Könige".

Dieser Boxkampf zwischen Muhammad Ali und George Foreman war "mehr als ein Boxkampf", und in diesem seltenen Fall hat diese Formulierung tatsächlich ihre Berechtigung. Der "Rumble in the Jungle" von 1974 war ein Fernsehmoment, der die ganze Welt zugleich auf einen Punkt starren ließ, ähnlich der Mondlandung. Er war ein politisches Ereignis, Zaires Herrscher Mobutu Sese Seko hatte den Kampf nach Kinshasa geholt, seine Diktatur sollte im Ausland rüberkommen wie ein freies Land, in dem Boxfans leben, die sich auch teure Karten vorn am Ring leisten können. Und der Kampf sollte verstanden werden als Statement gegen Rassismus: Zwei Schwarze auf dem schwarzen Kontinent - die Wiege der Menschheit als Schauplatz des Duells der beiden besten Boxer ihrer Zeit, vielleicht aller Zeiten.

"When We Were Kings" von Leon Gast erzählt die Geschichte dieses Ereignisses, der Film von 1996 ist eine Collage aus 400 Stunden Filmmaterial, Interviews mit Zeitzeugen, schwarzer Musik. Miriam Makeba, Franco Luambo, B. B. King, Bill Withers traten beim Festival "Zaire 74" auf, offiziell das Rahmenprogramm des Fights, tatsächlich ein Weltereignis. Alles war überlebensgroß, damals in Zaire.

Mobutus Propaganda wirkte allerdings nicht, das Regime hatte offenbar nicht alle Hinterlassenschaften der Realität beseitigt. Über die Blutspuren in den Katakomben des Stade du 20 Mai haben die aus aller Welt angereisten Journalisten dann eben auch geschrieben; dort habe Mobutu einen Folterkeller angelegt, hieß es. Zwei Reporter - die Großautoren Norman Mailer und George Plimpton - kommen auch in "When We Were Kings" ausführlich zu Wort, sie saßen damals am Ring, und während Mailer sich, seinem Naturell entsprechend, wichtiger nimmt als die Boxer, bleibt Plimpton ein fürsorglicher Beobachter, der wunderbare Bilder fand, um das Erscheinungsbild des in den Seilen hängenden Ali zu beschreiben: "Er sah aus wie jemand, der sich rücklings aus dem Fenster lehnt, um nachzusehen, was oben auf dem Dach liegt."

Ali ist klug genug, sich den von Foreman bearbeiteten Boxsack vor dem Kampf nicht anzusehen

Der Film würdigt, wie jeder Ali-Film, dessen Qualitäten als Entertainer, aber er blickt tiefer. Er erkennt in Ali, dem ewigen Zirkuspferd, den verletzlichen Mann, der sich mit seinem Umfeld vernetzte, um die eigene Angst in den Griff zu kriegen. Ali war in dem Sinn nicht das Großmaul, als das er oft beschrieben worden ist, er verhöhnte den anderen nicht, weil er von seiner eigenen Größe überzeugt war. Er prahlte, um sich seine Panik vom Leib zu reden. Und manchmal musste er einfach wegsehen. Auch eine Sequenz aus dem exzellenten Film: Wie Foreman melonengroße Dellen in den Boxsack prügelt. Und wie Ali klug genug ist, sich diesen Boxsack vor dem Kampf nicht anzusehen.

Ali umwarb das Publikum, verzauberte es und vermittelte ihm das Gefühl, ihn schützen zu müssen. Schon vor dem Kampf, bei den öffentlichen Trainingseinheiten, hatte er die Leute auf seine Seite gezogen, am Ende kämpfte dann nicht ein Boxer gegen den anderen. Sondern der Favorit Foreman kämpfte gegen Ali und die Menschen im riesigen Stadion, denen Ali seinen Kampfruf beigebracht hatte: Ali, boma ye - Ali, töte ihn.

Wie der Kampf lief, hat der Zeitzeuge Norman beschrieben: "Ali warf sich zurück, gerade noch rechtzeitig, denn während er noch in den Seilen schwang, landete Foreman sechs seiner mächtigsten linken Haken hintereinander und zum Abschluss eine Rechte, es war der Höhepunkt seines Kampfes, das Herzstück seines besten Angriffs, eine Linke in den Bauch, eine Linke an den Kopf, eine Linke in den Bauch, eine Linke an den Kopf, eine Linke in den Bauch, noch eine Linke in den Bauch, und Ali konnte sie alle parieren, Ellbogen vor dem Bauch, Handschuhe vor dem Kopf, und die Seile vollführten wahre Schlangenbewegungen."

Am Ende hatte Foreman sich verausgabt, er hatte sich mürbe gehauen. In der achten Runde erwischt Ali ihn mit einer Kombination, ein paar Schläge gegen Foremans Kopf, der taumelt, wankt. Und Ali, der zu einem weiteren Hieb ansetzt, stoppt in der Bewegung, hält nicht noch mal drauf, sondern sieht zu, wie sein Gegner am Ende der Schlacht ganz von alleine fällt. Und das ist, auch im Film über den Kampf, ein Moment von Wärme und Würde.

When We Were Kings, 1996, Regie Leon Gast

Bereits erschienene Rezensionen:

Platz 22: "Free Solo"

Platz 21: "Rush"

Platz 20: "Die nackte Kanone"

Platz 19: "Slap Shot"

Platz 18: "Foxcatcher"

Platz 17: "The Wrestler"

Platz 16: "Nowitzki. Der perfekte Wurf"

Platz 15: "Le Grand Bleu"

Platz 14: "White Men Can't Jump"

Platz 13: "I, Tonya"

Platz 12: "Battle of the Sexes"

Platz 11: "Jerry Maguire"

Platz 10: "Rocky III"

Platz 9: "The Rider"

Platz 8: "Moneyball"

Platz 7: "Million Dollar Baby"

Platz 6: "Senna"

Platz 5: "Bull Durham"

Platz 4: "Diego Maradona"

Platz 3: "The Hustler" und "The Color of Money"

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