SZ-Serie "Die besten Sportfilme", Platz 7:Der rechte Haken dieses Films trifft hart

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Hilary Swank und Clint Eastwood in "Million Dollar Baby". (Foto: imago images/Cinema Publishers C)

Clint Eastwoods Filmfiguren mögen noch Träume haben, aber das heißt ja nicht, dass die Inszenierung verträumt sein muss. "Million Dollar Baby" hat ein wenig mit Boxen und sehr viel mit dem Leben zu tun.

Von Milan Pavlovic

Sportfilme haben es von Natur aus schwer: Der geneigte Sportfan erkennt sofort, dass selbst begnadete Schauspieler nicht zwingend Topathleten sind und Topathleten noch seltener begnadete Darsteller. Doch in den vergangenen Jahren ist die Auswahl gelungener Filme immer größer geworden: Die SZ-Sportredaktion stellt 22 von ihnen vor und kürt damit die - höchst subjektiven - 22 besten. Diesmal Platz 7 - "Million Dollar Baby".

2005, in der Nacht seines zweiten Oscar-Triumphs, erlebte Clint Eastwood einen bezeichnenden Moment. Seine gut dreißig Jahre jüngere Frau Dina Ruiz hatte sich in der Pressekonferenz einen Platz in der vordersten Reihe gesichert, und die ehemalige Fernsehjournalistin wollte dort nicht bloß einfach so sitzen. Sie stellte einem Produzenten eine Frage, und als dieser geantwortet hatte, wandte sich Ruiz an ihren Ehemann: "Clint", sagte sie betont sachlich vor der versammelten Medienschar, "vergiss nicht, dass du den Rattenkäfig säubern musst, sobald du nach Hause kommst." Eastwood, der Mann, der als Dirty Harry wegen weitaus weniger peinlicher Bemerkungen zur Waffe gegriffen hatte, saß leicht errötet auf der Bühne. Er lächelte sanft - und nickte wissend.

Diese kleine Anekdote taugt als Erklärung dafür, warum einer der größten Stars der Filmgeschichte nichts Abgehobenes hat und warum er sich seinen Sinn für Humor bewahrt hat. Sie hilft auch, "Million Dollar Baby" etwas besser zu verstehen: die Tatsache, dass es für Eastwood nichts mehr gibt, das größer als das Leben ist. Seine Geschichten sind ganz der Realität verhaftet, stärker vermutlich als bei irgendeinem anderen amerikanischen Filmemacher. Seine Filmfiguren mögen noch Träume haben, aber das heißt ja nicht, dass die Inszenierung verträumt sein muss. Die bleibt nüchtern, immer auf Augenhöhe, total entschlackt. Nicht nur deshalb ist Eastwood der einzig legitime Erbe von Howard Hawks ("Red River") und John Ford ("The Searchers").

Die Rattenkäfig-Anekdote ist zugleich eine Hilfe, etwas Charakterisierendes über Eastwood und sein "Baby" zu schreiben, ohne zu viel davon preiszugeben. Es gibt nämlich drei gravierende Probleme mit diesem Werk - für all jene, die es noch immer nicht gesehen haben: Der Film vollzieht nach der Hälfte eine radikale Wendung, und auch die kleinste Andeutung, wo er danach hinführt, ist eine Respektlosigkeit gegenüber dem Leser/Zuschauer, dessen Empfindungen dadurch gemindert werden können.

Bis dahin ist "Million Dollar Baby" zumindest an der Oberfläche ein Boxerfilm, und das ist die zweite Hürde, denn: Wer will schon einen Film über eine nicht mehr ganz junge Frau sehen, die sich mit der Hilfe zweier definitiv nicht mehr junger Männer nach oben boxt? Das fragten sich denn auch alle Studiobosse in Amerika, von denen Anfang des 21. Jahrhunderts niemand das für US-Verhältnisse läppische Budget von 30 Millionen Dollar decken wollte: weder bei Warner Brothers, wo Eastwood seit über 50 Jahren dreht, noch irgendwo sonst in Hollywood - und das, obwohl Eastwood gerade mit seinem vorausgegangenen Wunderwerk "Mystic River" 2003 bewiesen hatte, wie kommerziell erfolgreich seine finsteren Stoffe sein können.

Als wäre man direkt dabei

Die Studio-Verantwortlichen waren dann ganz schön beschämt, nicht nur wegen der vier Oscars, die der Film Ende Februar 2005 gewann; sondern vor allem, weil so ziemlich jeder, der das Werk sieht, sofort seine Qualität erkennt. Und da sind wir beim dritten Problem: "Million Dollar Baby" ist einer der besten Filme des vergangenen Vierteljahrhunderts - nur: Wie sagt man das, ohne diesem kleinen, intimen Film eine zu große Erwartungslast aufzuerlegen? Doch dann stellt sich heraus: Er hält dem mühelos stand, denn wenn er beginnt, führt einen Eastwood sehr bald an Orte, die die meisten Zuschauer nie aufsuchen würden/wollten, aber er tut es auf eine einnehmende Art, als wäre man direkt dabei, direkt am Ring, direkt in der kleinen Boxhalle von Frankie Dunn, die wie ihr Besitzer schon bessere Tage erlebt hat.

Frankie (Eastwood) war einst Cutman, kümmerte sich also um die Verletzungen von Boxern, stopfte in den Pausen ihre aufgeplatzten Augenbrauen und die offenen Wunden an den Wangenknochen. Die blutigen Erfahrungen haben ihn so vorsichtig gemacht, dass er ein schlechter Manager wurde: perfekt in der Lehre, aber zu zögerlich, um einen Boxer wirklich nach oben zu führen. So verliert er auch seinen letzten Titelanwärter, und Frankie weiß, dass Scrap ihn auch davor stets gewarnt hatte. Scrap (Morgan Freeman), einst ein begabter schwarzer Kämpfer, inzwischen alter, einäugiger Hausmeister im "Hit Pit", ist Frankies einziger richtiger Freund, und die beiden pflegen einen neckischen Umgangston, wie er erst nach vielen Jahren etabliert ist.

Das ist der Stand, als Maggie ins "Hit Pit" kommt, zunächst gegen den Willen von Frankie, der keine Frauen trainieren will. Aber Maggie, die sich aus den schäbigen Suburbs von Missouri bis nach Los Angeles gekämpft hat, lässt sich nicht abschütteln, und mit der Zeit nimmt sich Frankie ihrer an: erst grantelnd, aber irgendwann mit dem Stolz, einem Menschen geholfen zu haben, der nur einen Schubser in die richtige Richtung benötigte. Hilary Swank konnte sich glücklich schätzen, nach einigen mageren Jahren eine Rolle bekommen zu haben, die noch reicher war als jene in "Boys Don't Cry", für die sie 2000 ihren ersten Oscar bekam. Aber die Rolle ist das eine - was Swank in ihrer Mischung aus Naivität und Begeisterung, Lernwillig- und -fähigkeit, daraus macht, das andere.

Es gäbe vieles, über das man ausführlich schreiben könnte: die authentische Atmosphäre des Films; das Gespür von Eastwood, auch den kleinsten Nebenrollen ihr Gewicht zu verleihen; die Gelassenheit und Selbstverständlichkeit, mit der der damals fast 75-jährige Regisseur seine Geschichten erzählt. Man müsste über Vater/Tochter-Verhältnisse bei Eastwood reflektieren; über seine Kunst, Dinge einfach auszusparen und den Mut, auf Glamour zu verzichten; aber auch über Zitronenkuchen und den grünen Boxer-Mantel, den Frankie seiner Athletin gibt, auf dem mysteriös "Mo Cuishle" geschrieben steht.

Man sollte natürlich über die Entwicklung der zweiten Stunde diskutieren, aber gerade weil sie so unvorhersehbar ist, sollte man sich ihr möglichst unvorbereitet stellen. Frankies Motto lautet zwar: Stets auf der Hut sein und die Deckung oben halten, aber im Kino sollte es immer umgekehrt sein, auch wenn einen der rechte Haken dieses unsentimentalen Films dann härter trifft als fast alles andere. "Million Dollar Baby" ist ein Knockout, der ein wenig mit dem Boxen zu tun hat, aber umso mehr mit dem Leben.

Million Dollar Baby, 2004, Regie Clint Eastwood

Bereits erschienene Rezensionen:

Platz 22: "Free Solo"

Platz 21: "Rush"

Platz 20: "Die nackte Kanone"

Platz 19: "Slap Shot"

Platz 18: "Foxcatcher"

Platz 17: "The Wrestler"

Platz 16: "Nowitzki. Der perfekte Wurf"

Platz 15: "Le Grand Bleu"

Platz 14: "White Men Can't Jump"

Platz 13: "I, Tonya"

Platz 12: "Battle of the Sexes"

Platz 11: "Jerry Maguire"

Platz 10: "Rocky III"

Platz 9: "The Rider"

Platz 8: "Moneyball"

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