Süddeutsche Zeitung

Zwischen großer Koalition und Neuwahlen:Hier stehen die Parteien eine Woche nach dem Jamaika-Aus

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Die FDP bleibt bei ihrer Absage an Jamaika, die Grünen lecken ihre Wunden, die Jusos sprechen vom "Todesstoß" GroKo und die Junge Union stellt der Kanzlerin ein Ultimatum.

Knapp eine Woche nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen herrscht weiterhin große Unklarheit darüber, wer mit wem künftig in Deutschland regieren wird. Minderheitsregierung, Neuwahlen, große Koalition - um diese drei Szenarien kreist die Debatte, auch innerhalb der Parteien. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat SPD, CDU und CSU für Donnerstag zum gemeinsamen Gespräch eingeladen. Nicht alle finden das gleich gut.

Die Union wirbt für eine große Koalition

Angela Merkel lehnt Neuwahlen ab. Auf dem Parteitag der CDU von Mecklenburg-Vorpommern ließ sie auch die Option einer Minderheitsregierung unerwähnt. Vielmehr begrüßte die CDU-Chefin bei ihrem Auftritt am Samstag, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sie, Seehofer und SPD-Chef Martin Schulz eingeladen hat. Am Sonntagabend trifft sich Merkel mit den anderen Mitgliedern des CDU-Präsidiums zu Beratungsgesprächen.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet sagte kurz vor dem Treffen am Sonntag, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier habe allen Seiten ins Gedächtnis gerufen: "Man ist nicht für die Menschen da, die einen gewählt haben, sondern für das Gemeinwohl.:" Deswegen müsse man nun sehen, "was können wir im Sinne des Gemeinwohl jetzt bewegen".

Hessens Regierungschef Volker Bouffier forderte die SPD auf, nicht ständig Bedingungen im Zusammenhang mit einer möglichen Neuauflage der großen Koalition zu stellen. Im Stundentakt würden Forderungen von Sozialdemokraten erhoben, was zwingend sei und wo rote Linien seien, kritisierte er. "Wer sich so verhält, der muss aufpassen, dass er's nicht überzieht."

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende und rheinland-pfälzische Landesparteichefin Julia Klöckner forderte die SPD auf, von der Forderung nach einer Bürgerversicherung abzugehen. Eine Abschaffung der privaten Krankenversicherung würde alle Versicherten teurer zu stehen kommen. "Wir haben in vier Wochen Weihnachten. Dennoch sollte man mit Wunschzetteln sehr realistisch umgehen."

Der stellvertretende CDU-Chef Thomas Strobl hat die Hoffnung auf eine Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen noch nicht aufgegeben. "Es gibt schon auch Stimmen aus der FDP, die mit der jetzigen Lage unglücklich sind", sagte der baden-württembergische Vize-Regierungschef und Innenminister.

Aus Bayern meldet sich Horst Seehofer mit Zustimmung für eine große Koalition. Während die CSU heftige innere Kämpfe führt, positioniert ihr Chef sich bundespolitisch. "Ein Bündnis von Union und SPD ist die beste Variante für Deutschland - besser jedenfalls als Jamaika, Neuwahlen oder eine Minderheitsregierung", sagte Seehofer der Bild am Sonntag. Dabei habe Merkel ihm sogar einen Ministerposten in einer möglichen Jamaika-Koalition angeboten.

Die Junge Union macht der Zeitung zufolge Druck und fordert, dass noch vor Weihnachten eine große Koalition zustande kommt. "Sollte es bis zu diesem Zeitpunkt keine Einigung über einen Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD geben, sind die Verhandlungen als gescheitert anzusehen", wird aus einem JU-Papier zitiert.

Die SPD will sich nicht festlegen

Auch in der SPD macht der Parteinachwuchs auf sich aufmerksam. Die Jusos lehnen eine große Koalition klar ab. Diese "wäre der Todesstoß für das letzte Fünkchen Glaubwürdigkeit, das wir als SPD noch haben", sagte die scheidende Bundesvorsitzende Johanna Uekermann. Ihr Nachfolger Kevin Kühnert sagte Interview mit Jetzt: "Eine große Koalition schadet der Demokratie."

Um Verständnis bei den Jusos wirbt SPD-Chef Martin Schulz. In seiner Rede beim Juso-Bundeskongress am Freitagabend sagte er, er habe sich noch keineswegs festgelegt. Es stehe nicht automatisch eine große Koalition bevor, nur weil er der Einladung Steinmeiers gefolgt sei. "Soll ich dem sagen: Du kannst mich mal?"

Auch Andrea Nahles forderte auf dem Juso-Kongress Offenheit: "Ich weiß nicht, was in diesen Gesprächen rauskommt, die wir da führen", sagte sie. Dass Schwarz-Rot schon ausgemachte Sache sei, "das ist nicht wahr".

Der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel hält eine Neuauflage der großen Koalition nicht für einen Selbstläufer. Niemand dürfe erwarten, dass die SPD sage: "Ach super, wir haben nur darauf gewartet, dass wir jetzt eine große Koalition machen dürfen", sagte Gabriel bei einer Veranstaltung der Zeit. Es sei wichtig, dafür zu sorgen, "dass es eine stabile Lage in Deutschland gibt". Er könne jedoch nicht sagen, welche Regierungskoalition folgt, sagte Gabriel. "Das weiß kein Mensch."

Der mächtige Landesverband NRW schließt eine große Koalition nicht mehr aus, stellt aber Bedingungen auf, welche die CDU für ein Bündnis erfüllen müsse. Dabei sind unter anderem höhere Renten und eine Bürgerversicherung.

Die Grünen rechnen mit vier weiteren Jahren in der Opposition

Die Grünen scheinen sich derweil auf vier weitere Jahre in der Opposition einzustellen. "Für uns gilt nicht die Parole, erst die Partei, dann das Land", sagte Parteichef Cem Özdemir auf dem Bundesparteitag in Berlin. Dort hatten eigentlich 800 Delegierte über die Koalitionsverhandlungen entscheiden sollen. Stattdessen leckten sie ihre Wunden nach dem Jamaika-Aus und feierten zugleich die neue Geschlossenheit ihrer Partei.

Grünen-Politiker Jürgen Trittin ist überzeugt, dass die SPD in den kommenden Wochen beidrehen wird. "Ich bin ziemlich sicher, dass wir am Ende des Tages vor einer großen Koalition stehen", erklärte Trittin bei der Bundesdelegiertenkonferenz. Diese große Koalition werde aber von anderer Art als die vorherige sein. Sie sei dann nicht nur kleiner, sondern werde auch Opposition von zwei Seiten bekommen.

Die FDP steht zum Abbruch der Sondierung

FDP-Chef Christian Lindner sagte im WDR, er halte eine große Koalition für "unter dem Strich noch besser als eine instabile Jamaika-Koalition, die mit Sicherheit die vier Jahre nicht durchgehalten hätte".

Die Liberalen haben einem FAS-Bericht zufolge in der vergangenen Woche besonders viele Mitgliedsanträge erhalten.

Die Linke will mit Inhalten SPD-Anhänger gewinnen

"Wenn die SPD weiter so herumhampelt, wird sie weiter erodieren", prophezeite Linken-Chef Bernd Riexinger am Samstag beim Landesparteitag in Stuttgart. "Wir müssen dafür kämpfen, dass das, was da erodiert, zu uns kommt." Sollte es tatsächlich erneut zu einer großen Koalition kommen, sieht er die Position der SPD geschwächt. "Wenn es zu Neuwahlen kommt, brauchen wir ein klares Bekenntnis zu unserem Wahlprogramm", betonte Riexinger. Dazu zähle die Forderung nach einem Mindestlohn von zwölf Euro ebenso wie die nach mehr Investitionen im öffentlichen Bereich und einer humanitären Flüchtlingspolitik.

Die AfD sieht ihre Chance in wechselnden Mehrheiten

Bayerns neuer AfD-Chef Martin Sichert sieht in der schwierigen Regierungsbildung in Berlin eine Chance für seine Partei im Bundestag. Er gehe davon aus, dass es bis es zur Regierungsbildung "wechselnde Mehrheiten im Sinne der Bürger" geben werde. "Wenn wir die gleichen Themen vertreten und uns bei Inhalten einig sind, dann werden wir da auch mit den anderen Parteien stimmen."

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