Süddeutsche Zeitung

Neu in Kino & Streaming:Welche Filme sich lohnen und welche nicht

Lesezeit: 5 min

Uma Thurman und Samuel Jackson machen in "The Kill Room" kriminelle Kunst, und in "Dream Scenario" träumen alle nachts von Nicolas Cage. Die Starts der Woche in Kürze.

Von Philipp Bovermann, Fritz Göttler, Josef Grübl, Ann-Marlen Hoolt, Florian Kaindl, Martina Knoben, Annett Scheffel, Philipp Stadelmaier, Anna Steinbauer und Anke Sterneborg

Die Amitié

Ann-Marlen Hoolt: Sie kommen nach Deutschland, um zu arbeiten. Der Ivorer Dieudonné schuftet für wenig Geld als Erntehelfer, die polnische Altenpflegerin Agnieszka betreut den demenzkranken Vater eines Universitätsprofessors. Um Ausbeutung, Ungleichheit und Arbeitsmigration geht es hier, doch da ist noch etwas anderes. Denn die Arbeitskräfte aus dem Ausland sind über ein mysteriöses Netzwerk verbunden. Mit VR-Brillen aus Pappe organisieren sie sich in einer rudimentären Videospielwelt. Ute Holl und Peter Ott beweisen hier Mut fürs Experimentelle. Wie sehr, wird allerdings erst gegen Ende deutlich, wenn der Film immer mehr ins Surreale abdriftet, Tote auferstehen und Regisseur Ott nackt Motorrad fährt. Warum, weiß wohl nur er selbst.

Die Missetäter

Florian Kaindl: Morán (Daniel Elías) wäre eigentlich viel lieber Gaucho in der argentinischen Pampa als Bankangestellter in Buenos Aires, also plant er, seinen Arbeitgeber um diverse Scheine zu erleichtern. Damit das klappt, zieht er noch seinen Kollegen Román (Esteban Bigliardi) mit rein. Der soll auf das Geld aufpassen, während Morán seine Gefängnisstrafe absitzt. Die Beute wollen sie dann teilen. Rodrigo Moreno legt verschiedene Fährten in seinem Film, der mal Heist Movie, mal existenzialistisches Drama, mal philosophische Komödie ist. Keinen dieser Stränge verfolgt er bis zum Ende. Das ist über die Dauer von drei Stunden etwas ermüdend, aber auch befreiend, wie die wechselnden Jazzvariationen im Hintergrund.

Die Unschuld

Philipp Bovermann: Der große Kino-Humanist Hirokazu Kore-eda ("Shoplifters") erzählt eine Perspektivwechselgeschichte über Gewalt an einer Schule - dreimal läuft sie von vorn ab, und immer klarer wird dabei: Für Gewalt und Lügen gibt es hier gute Gründe, die Menschen sind eben keine Monster, man muss nur länger und genauer hingucken. Eine schöne, wenn auch etwas überdeutliche Botschaft, verglichen mit Kore-eda sonst ambivalenteren Stoffen - für gewöhnlich schreibt er das Drehbuch selbst, dieses stammt von Yūji Sakamoto.

Dream Scenario

Sofia Glasl: Fabel, Horrorfilm oder abgefahrenes Kopfkino? All das, aber vor allem eine unverhoffte Bühne für Nicolas Cage als larmoyanter Biologie-Professor, der zwar alles über die Tarnung von Zebras weiß, aber unter der eigenen Unsichtbarkeit leidet. Diesen Niemand lässt der norwegische Filmemacher Kristoffer Borgli als unerklärliches Déjà-vu in den Träumen der Weltbevölkerung erscheinen und macht ihn über Nacht zum Medienphänomen - inklusive der geringen Halbwertszeit, die ein solches Dreamfluencer-Dasein mit sich bringt. Cage, der im echten Leben selbst unfreiwillig zum Meme wurde, entscheidet sich gegen große Gesten und blickt mit entwaffnendem Feingefühl in die Seele dieses Jedermanns.

Ghostbusters: Frozen Empire

Fritz Göttler: Phoebe muss auf die Ersatzbank im neuen Ghostbuster-Film, der nun, vierzig Jahre nach dem ersten, in die Kinos kommt. Sie ist die Enkelin des verstorbenen Ghostbusters Egon Spengler, mit ihrer Mutter und ihrem Bruder Trevor (und Gary, dem Freund der Mutter) ist sie aus Summerville, Oklahoma, zurück nach New York gekommen, wo die vier das Familienbusiness wieder betreiben, nämlich: durch die Stadt zu rasen und Geister aller Art einzufangen und wegzuschließen. McKenna Grace ist großartig als Phoebe, klug und sensibel und in einer Teenager-Einsamkeit, die ein fieser archaischer Geist nutzen wird, um über die Stadt herzufallen. Gil Kenan, der mit Jason Reitman das Drehbuch schrieb, wahrt behutsam die Atmosphäre des Originals und bringt auf würdige Weise die alten Ghostbuster um Bill Murray wieder ins Spiel.

If It Were Love

Philipp Stadelmaier: Patric Chiha begleitet Gisèle Viennes und ihre Kompagnie beim Probenprozess zu ihrem Stück "Crowd". Die Choreografin dirigiert ihre Tänzer, als würde sie durch eine Meditation führen, die Körper schweben über die Bühne wie über die Mondoberfläche. Chihas Spiel mit der Fiktion, wenn die Performer jenseits der Proben ihre Rollen spielen, hätte es gar nicht gebraucht. Was die Kamera auf der Bühne einfängt, ist mehr als genug: faszinierend und wunderschön.

Oh la la - Wer ahnt denn so was?

Josef Grübl: Schwiegereltern-Komödien haben eine lange Tradition, Robert De Niro etwa verdankt ihnen seinen zweiten Karriere-Frühling. Auch Christian Clavier ist seit den "Monsieur Claude"-Filmen populärer denn je, in dieser Boulevardkomödie von Julien Hervé bekommt er es mit der Schon-bald-Familie seiner Tochter zu tun. Zum besseren Kennenlernen bringt diese DNA-Tests mit, was sich als keine so gute Idee erweist: Welcher Franzose will schon erfahren, dass er deutsche Vorfahren hat? Und welche italienische Principessa möchte mit der portugiesischen Putzfrau gleichgestellt werden? Wer gern über Chauvis, Schnösel oder nationale Stereotype lacht, wird hier gut bedient.

Radical - Eine Klasse für sich

Annett Scheffel: In einer mexikanischen Grenzstadt kämpft der Lehrer einer sechsten Klasse dagegen an, dass seine Kinder in dem von Gewalt, Armut und Drogengangs bestimmten Alltag verloren gehen. In Sundance wurde Christopher Zallas Drama mit dem Publikumspreis ­ausgezeichnet - zu Recht. "Radical" ist ein Wohlfühlfilm, der trotzdem authentisch ist und sozialpolitische Fragen aufwirft. Vor allem macht er, was wir dringend brauchen: Mut.

Slow

Anke Sterneborg: Geht das, eine Beziehung ohne Sex? Das ist nur die vordergründigste Frage, die die litauische Regisseurin Marija Kavtaradze hier stellt. Ihr Spielfilm erzählt auf einfühlsame Weise davon, wie zwei Menschen jenseits gesellschaftlicher Normen - eine sinnliche Tänzerin und ein asexueller Gebärdensprachen-Übersetzer - ihren eigenen Weg in der Liebe suchen. Sie ist ein Abenteuer, weil es keine Rollenmodelle gibt. Aufregend ist allein schon, dass in dieser Beziehungsstudie über Intimität ohne Sex, über Gefühle ohne Leidenschaften, zwei Menschen aufeinandertreffen, die qua ihrer Berufe sehr physisch auf die Welt reagieren.

Sowas von super!

Martina Knoben: Brillenträgerin Hedwig, die am liebsten Computerspiele zockt, soll das Erbe ihres Superhelden-Vaters aka "Superlöwe" antreten, ist aber völlig unsportlich. Ihre Einsätze gehen deshalb übel schief, bis Hedwig auf die klassischen Superheldenskills pfeift und sich auf ihre eigenen Stärken konzentriert. Die "Sei-ganz-du-selbst-dann-bist-du-super"-Botschaft finden womöglich sogar ganz Kleine schon ein wenig öde. Aufsehen erregte der Film von Rasmus A. Sivertsen dennoch - bei der Berlinale 2023 stoppte eine Anti-Rassismus-Taskforce die Premiere: Die braune Superlöwenmaske zitiere im Kolonialismus wurzelnde, stereotype Darstellungen von People of Colour. Nach Löwe sieht die Maske tatsächlich nicht aus, und für einen Superhelden ist sie selten blöd. Aber rassistisch? Nur mit bösem Willen lassen sich die Vorwürfe nachvollziehen.

The Kill Room

Fritz Göttler: Eine Plastiktüte voll Blut - oder ausnahmsweise auch mal voll Kotze, das verkauft sich toll. In der Kunstwelt ist inzwischen alles drin, das ist gut für die etwas glücklose Galeristin, gespielt von Uma Thurman, aber auch für den mafiös verbandelten Betreiber einer koscheren Bäckerei (Samuel L. Jackson), der im Hinterzimmer Geldwäsche betreibt. Das tut er nun auch mittels der Bilder des ominösen Künstlers "The Bagman" - der eigentlich nachts mörderisch tätig ist, mit Plastiktüte. Nicol Paone fängt die fatale Leere der Kunstwelt ein, die Kunst der Künstler, Galeristen und Kunstkritiker, sich selbst ad absurdum zu führen, aber ihr Film erreicht nie den mörderischen Charme des "Bucket of Blood" von 1959.

Umberto Eco - Eine Bibliothek der Welt

Anna Steinbauer: Meterhohe Regale bis oben hin gefüllt mit dem Wissen der Welt: Regisseur Davide Ferrario gewährt in seiner Doku Einblick in die Privatbibliothek des italienischen Schriftstellers Umberto Eco, die mehr als 30 000 Bücher und 1500 antike Schriften umfasst. Dort befinden sich literarische Schätze, wissenschaftliche Abhandlungen, bizarre Illustrationen und gewagte Theorien, die im Zusammenspiel mit Interviewausschnitten die Gedankenwelt des faszinierenden Universalgelehrten enthüllen. Er starb 2016 und vermachte seine Bücher dem italienischen Staat. Ein Genuss für bibliophile Menschen.

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