Süddeutsche Zeitung

Klimapolitik:Bundesregierung sagt Jein zur Taxonomie

Lesezeit: 3 min

Nein zur Atomkraft, ja zu Erdgas für den Übergang - Deutschland weist Europas Regeln für "grüne" Finanzprodukte nur teilweise zurück. Umweltschützer ärgert das.

Von Michael Bauchmüller und Constanze von Bullion, Berlin

Die Bundesregierung sagt entschieden Nein - aber nur zur Atomenergie. In der Nacht zum Samstag hat Deutschland seine Stellungnahme zur "grünen Taxonomie" nach Brüssel geschickt, genauer: zu dem Teil der Taxonomie, der auch Investitionen in Kernenergie und Gaskraftwerke für nachhaltig erklären soll. Doch während die Bundesregierung in einem zweiseitigen Anhang noch einmal ganz genau erklärt, warum die Atomkraft garantiert nicht nachhaltig ist, verfährt sie bei Gaskraftwerken weitaus gnädiger.

Erdgas in "hochmodernen und effizienten Gaskraftwerken" sei für begrenzte Zeit "eine Brücke, um den schnellen Kohleausstieg zu ermöglichen", heißt es in der Stellungnahme. So ließen sich kurzfristig Emissionen senken und der Ausbau erneuerbarer Energien begleiten. Dafür sei in Deutschland ein "klar umrissener Innovationspfad vorgezeichnet", argumentiert die Bundesregierung. "Das ist im Einklang mit den Klimazielen."

Mit ihrer Taxonomie wollte die EU den Finanzmärkten mehr Klarheit geben, welche Investments tatsächlich nachhaltig sind, also auch den Weg zu Klimaneutralität ebnen. Das sollte "greenwashing" verhindern: Banken und Fonds sollten nicht länger mit nachhaltigen Produkten werben, die in Wahrheit keine sind.

Umstritten allerdings blieb, inwieweit Kernenergie und Erdgas beim Ausstieg aus der Kohle helfen können. Atomkraft birgt hohe Risiken, erzeugt aber Strom mit wenig Kohlendioxid. Fossiles Erdgas verursacht große Mengen klimaschädliche Treibhausgase, gilt aber als gute, weil flexible, Ergänzung schwankender erneuerbaren Energien. Ob beide in die "grüne Taxonomie" gehören, verursachte zwischen den EU-Staaten Streit. Schließlich sollte die Kommission die Frage entscheiden, mit einem "delegierten Rechtsakt". Doch ihr Entwurf stempelte sowohl Atom als auch Gas grün.

Die neue Bundesregierung lehnt das Label "nachhaltig" für Atomkraft ab. Beim Erdgas hingegen ist sie nachsichtiger. In ihrer Stellungnahme fordert sie nun sogar weniger strikte Klimaauflagen als die EU-Kommission. Deren Anforderungen beim Umbau von alten auf neue Gaskraftwerke etwa seien zu streng - letztere sollen laut EU-Kommission 55 Prozent weniger klimaschädliches CO2 ausstoßen. Auch die Auflagen zum künftigen Brennstoff-Mix will die Ampel-Koalition entschärfen. Zwar will auch sie, dass neue Gaskraftwerke "Wasserstoff-ready" sind, also auf klimaneutrale Gase umgestellt werden können. Doch die Vorgaben der Kommission gehen ihr zu weit. Abgelehnt wird zudem die Vorgabe aus Brüssel, dass bis 2026 mindestens 30 Prozent klimafreundliche Gase beigemischt werden und bis 2030 mindestens 50 Prozent. Unrealistisch, so die Bundesregierung. Die Zwischenschritte sollen entfallen, der Umstieg "flexibel" gewährt werden.

Insbesondere die Grünen bringt das in Erklärungsnot. Bis zuletzt hatten sie mit SPD und FDP gerungen, wenn auch nicht um das deutsche Nein zur Atomkraft, da war man sich einig. Gestritten wurde darüber, wie streng die Vorgaben beim Erdgas sein sollten. Der SPD saßen dabei offenbar Stadtwerke im Nacken, die befürchteten, allzu scharfe Restriktionen könnten den Umbau auf moderne Gaskraftwerke ausbremsen. Auch die FDP drängte auf Lockerung. Die Grünen hielten dagegen.

Herausgekommen ist ein Kompromiss, der Klimaaktivisten nicht gefallen kann, an der Spitze der grünen Bundestagsfraktion aber Zustimmung findet. "Es ist gut, dass die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme ein klares Nein zur Atomenergie in der Taxonomie bekräftigt hat", sagte Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge der Süddeutschen Zeitung. Die deutsche Stellungnahme zur Taxonomie enthalte jetzt auch eine Ablehnung atomarer Mini-Reaktoren und lasse die Möglichkeit einer Klage offen. Das sei ein Erfolg.

Anders sieht es beim fossilen Gas aus. Es gehöre aus grüner Sicht "grundsätzlich" nicht in die Taxonomie, räumte Dröge ein. "Es ist aber wichtig, dass die Bundesregierung im Kern die strengen Kriterien der EU-Kommission unterstützt." Die Grünen hätten an zentralen Punkten eine noch weichere Position Deutschlands verhindert. Doch nicht alle in der Fraktion sind mit dem Ergebnis glücklich. "Beide Energieträger haben dort nichts zu suchen", sagt etwa Grünen-Umweltpolitiker Stefan Wenzel. Schließlich gehe es "um den globalen Goldstandard" für langfristig nachhaltige Anlagen. "Jetzt ist die Taxonomie als Richtschnur kaputt."

Auch Umweltschützer zeigten sich entsetzt. "Selbst wenn ein begrenzter Zubau von neuen Gas-Kraftwerken im Zuge des Kohleausstiegs notwendig ist, macht dies einen fossilen Energieträger noch lange nicht zu einer grünen Technologie", sagt Sascha Müller-Kraenner, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Dies werde "schwer" auf der Glaubwürdigkeit der Bundesregierung lasten. Die Linkspartei sprach von einem "verheerenden Irrweg". Die deutschen Stadtwerke dagegen, die viele Gaskraftwerke betreiben, begrüßten die Stellungnahme.

Heikle Situation für die Grünen Habeck und Lemke

Fürs grüne Regierungspersonal allerdings bleibt die Entscheidung heikel - schließlich bekommt mit ihrem Segen fossile Energie ein Nachhaltigkeitssiegel. Am Samstag melden sich Robert Habeck und Steffi Lemke zu Wort, grüne Minister für Klima und für Umwelt. Beim Gas habe man der Kommission "Präzisierungshinweise" gegeben, bei der Atomkraft sei man ganz klar. Dann aber schieben sie nach: "Sollte der delegierte Rechtsakt unverändert bleiben und die Kommission die kritischen Stellungnahmen etlicher Mitgliedstaaten und auch unsere unberücksichtigt lassen, sollte Deutschland ihn unserer Meinung nach ablehnen." Dass der Vorschlag der EU-Kommission noch zu überstimmen ist, glaubt allerdings auch bei den Grünen niemand.

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