Süddeutsche Zeitung

Irak:US-Soldaten sollen beraten statt kämpfen

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Präsident Biden beendet den US-Kampfeinsatz im Irak. Doch die amerikanischen Soldaten werden wohl bleiben. Der irakische Premier Kadhimi kann sie im Kampf gegen Terroristen brauchen - aber auch als Gegengewicht zu Iran.

Von Paul-Anton Krüger, München

Der irakische Premierminister Mustafa al-Kadhimi war im Weißen Haus voll der Anerkennung: "Herr Präsident, ich danke Ihnen für all das Blut und Geld, das Amerika für einen freien und demokratischen Irak gegeben hat", sagte er an seinen Gastgeber Joe Biden gewandt. Der frühere Geheimdienstchef kennt den ehemaligen Senator und Vizepräsidenten lange genug, dass er nicht nur um die politische, sondern auch die persönliche Dimension seiner Worte weiß.

Biden hält es zumindest für möglich, dass der Hirntumor und Krebstod seine Sohnes Beau auf den Kontakt mit Giftstoffen während eines Einsatzes als Reservist der Nationalgarde im Irak zurückzuführen ist. Zugleich begnügte sich der US-Präsident - wenige Monate, nachdem er den bedingungslosen US-Abzug aus Afghanistan verkündet hatte - im Falle Iraks mit der Ansage, dass die noch 2500 im Land stationierten US-Soldaten ihren Kampfeinsatz zum Jahreswechsel beenden werden.

Die künftige Rolle der US-Truppen werde es sein, "verfügbar zu sein, weiter auszubilden, zu unterstützen, zu helfen" und mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) umzugehen, sagte Biden. Kein Wort dazu, auch nicht auf mehrmalige Nachfrage, wie viele Soldaten er aus dem Irak heimholen werde. Es ist ein Kompromiss, mit dem beide Männer vorerst gut leben können - entsprechend freundschaftlich und gelöst war die Atmosphäre im Oval Office.

Für Biden ist es ein weiterer Schritt in seinem Bemühen, die politischen Hinterlassenschaften des früheren US-Präsidenten George W. Bush im Nahen Osten und Afghanistan abzuwickeln. Er will der Epoche des für die USA in mancherlei Hinsicht unrühmlichen " globalen Kriegs gegen den Terrorismus" ein Ende setzen, den Bush nach den Anschlägen des 11. September 2001 ausgerufen hatte. Stattdessen fokussiert Biden die US-Sicherheits-und Außenpolitik auf die Konkurrenz mit dem strategischen Rivalen China.

Kadhimi hat sein Ziel erreicht, die US-Truppenpräsenz zu erhalten

Kurz vor der Amtseinführung Barack Obamas im Jahr 2009 war Biden noch als Senator in die Region gereist und mit großer Skepsis gegenüber den Erfolgsaussichten der US-Einsätze als Vizepräsident im Weißen Haus eingezogen. Damals aber konnte er sich mit seinem Werben für einen baldigen Abzug nicht durchsetzen. Jetzt führt er als Präsident das militärische Engagement dem Ende entgegen.

Kadhimi, dessen Rolle an der Spitze der Regierung in Bagdad vom Ausgang der für Oktober angesetzten vorgezogenen Parlamentswahl abhängt, kann für sich in Anspruch nehmen, die Souveränität des Landes gestärkt zu haben. Er kommt damit zumindest ein Stück weit einer Forderung des scheidenden Parlaments entgegen.

Die Abgeordneten hatten den Abzug aller ausländischen Truppen verlangt, nachdem der damalige US-Präsident Donald Trump per Drohnenangriff im Januar 2020 am internationalen Flughafen von Bagdad den iranischen Revolutionsgarden-General Qassim Soleimani hatte töten lassen und mit ihm Abu Mahdi al-Muhandis, einen der wichtigsten Milizenführer im Irak.

Zugleich hat der irakische Premier sein eigentliches Ziel erreicht, die US-Präsenz in seinem Land zu erhalten, die er nicht nur für die Bekämpfung der wieder erstarkenden Terrormiliz IS für erforderlich hält. Zwar ist geplant, den Kampfeinsatz zu beenden, der bereits seit dem Sommer des vergangenen Jahres nur noch eine untergeordnete Rolle spielt - aber offenbar nicht, das Kontingent der US-Truppen im Irak deutlich zu reduzieren.

Die US-Präsenz - Gegengewicht zum wachsenden Einfluss Irans

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte jüngst, die dort stationierten Soldaten könnten eine Vielzahl von Rollen ausfüllen - nun sollen sie sich auf die Beratung der irakischen Streitkräfte konzentrieren. Von der Militärhilfe profitieren vor allem Spezialeinheiten zur Terrorbekämpfung, die wiederum direkt dem Premierminister unterstellt sind. Allerdings hatten die USA im Juli 2020 noch 5200 Soldaten im Irak - mehr als die Hälfte sind also bereits abgezogen worden.

Die US-Präsenz stellt auch ein Gegengewicht zum wachsenden Einfluss Irans dar. Die Revolutionsgarden unterhalten enge Beziehungen zu einer Reihe schiitischer Milizen und den mit ihnen verbundenen politischen Parteien. Sie unterstützen diese bewaffneten Gruppen teils mit Geld, Waffen und Geheimdienst-Informationen, die diese wiederum für Angriffe auf die US-Truppen im Irak einsetzen. Sie haben schon angekündigt, sich mit nichts außer dem kompletten Abzug der Amerikaner zufriedenzugeben.

Kadhimi versucht, die Balance zwischen Teheran und Washington zu wahren, sich für beide Seiten unentbehrlich zu machen. Und er ist bemüht, den Milizen Grenzen zu setzen, die das Gewaltmonopol des Staates untergraben, inzwischen aber auch als wirtschaftliche Akteure ihre militärische Macht nutzen, um Konkurrenten zu verdrängen. Das hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Irans Rolle im Irak zunehmend unpopulär ist und selbst viele Schiiten angesichts der von Teheran reklamierten Rolle als Führungs- und Schutzmacht ihre politische und religiöse Eigenständigkeit betonen.

Offen blieb, ob die USA Kadhimi die gewünschte Zusage machten, künftig auf Vergeltungsangriffe gegen Milizen im Irak zu verzichten, mit denen sowohl Trump als auch Biden regelmäßig auf deren Attacken auf US-Stützpunkte und die US-Botschaft in Bagdad sowie andere Einrichtungen reagiert haben. Um die Angriffsfläche zu reduzieren, haben die USA inzwischen ihre Truppen auf Stützpunkte bei Bagdad, in Anbar und nahe Erbil konzentriert, der Hauptstadt der autonomen Kurdengebiete.

Von der Präsenz im Irak ist die Stationierung mehrerer Hundert US-Soldaten in Nordsyrien abhängig, die Iran ein Dorn im Auge ist. Die Truppen dort unterstützen Kurdenmilizen, die an der Seite der USA gegen den IS gekämpft haben und sich ohne die Amerikaner kaum gegen das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad halten könnten. Sie sind aber auch ein Hindernis für Irans Revolutionsgarden und deren Verbündete auf dem Weg nach Syrien und Libanon.

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