Süddeutsche Zeitung

Kinofestival:Tiktok und Rock'n'Roll

Lesezeit: 3 min

Zum Auftakt ein Beitrag über Mick Jaggers angeblichen Sohn Olaf und neue digitale Wege: Die Hofer Filmtage überraschen in ihrer 56. Ausgabe mit Skurrilem und Neuem. Vieles aber bleibt, wie es ist.

Von Josef Grübl, Hof

In der Frankenmetropole Hof geschehen derzeit Dinge, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, aber trotzdem in direkter Beziehung zueinanderstehen. Als da wären: ein junger Mann, der lustige Videos fürs zappelige Jungvolk dreht. Ein alter Mann, der Bilder von einstmals zappelnden Filmemachern zeigt. Ein Frauenkollektiv, das einen toten Filmprovokateur ehrt. Eine Oberbürgermeisterin, die Kinotickets verkauft. Oder ein deutscher Fernsehkomiker mit Sinn für Genealogie und Rock'n'Roll-Geschichte.

Letzterer löst auch dieses seltsame Beziehungsgeflecht auf: Am Dienstag, 25. Oktober, werden die 56. Hofer Filmtage mit der Mockumentary "Olaf Jagger" eröffnet. Darin glaubt der Fernsehkomiker Olaf Schubert, dass er der leibliche Sohn von Mick Jagger sei: Olaf Jagger eben. Er trifft Rockstars, Moderatoren und Stasi-Unterlagen-Verwalterinnen, er reist nach England, in ein französisches Schloss und zum "Rolling Stones"-Museum in Bautzen. Das ist lustig, vor allem wegen des pseudodokumentarischen, quasi-authentischen Anstrichs.

Authentizität ist ohnehin überbewertet, vor allem bei Filmfestivals. Auch das Hofer Publikum will gut inszenierte Geschichten sehen, in fremde Welten abtauchen, mit offenen Augen träumen und Traumtänzern folgen. Das funktioniert bei "Olaf Jagger" ebenso wie beim restlichen Filmprogramm, insgesamt werden an sechs Tagen 125 Kurz-, Dokumentar- und Spielfilme aus 28 Ländern aufgeführt. Es gibt vieles zu entdecken, auch aus bisher unbekannten Filmnationen wie den Falklandinseln, aus Zypern, Palästina oder Kuba.

Zudem werden viele neue deutsche Filme gezeigt, Stars wie Nastassja Kinski, Ulrich Matthes, Anna Maria Mühe oder Annette Frier haben ihr Kommen angekündigt. Spannende Dokumentarfilme wie "Acht Geschwister" feiern ebenso Premiere wie die dritte Staffel der Fernsehserie "Servus Baby". Freuen darf man sich auch auf neue Hollywoodproduktionen wie "The Menu" (mit Ralph Fiennes in der Hauptrolle) oder den potenziellen Oscar-Kandidaten "Empire of Light". Der neue Film des Briten Sam Mendes feiert die Magie des Kinos, das Knistern des Zelluloids - und ist damit in Hof genau richtig. Denn auch wenn im Central Kino oder dem Scala Filme digital aufgeführt werden, gibt es bei den Filmtagen noch analoge Projektionen, von Hof-Klassikern wie "Sin Nombre" oder "Night of the Living Dead".

"Das ist ein ziemlicher Aufwand", erzählt Thorsten Schaumann ein paar Tage vor Festivalbeginn bei einem späten Frühstück in München. Filme auf Zelluloidrollen seien heute nur noch schwer zu bekommen, die Infrastruktur dafür fehlt, fast alle Kinos sind digitalisiert. "Im Regina Kino in Hof gibt es aber noch einen Projektor und auch einen Mitarbeiter, der diesen Projektor bedienen kann", sagt Schaumann.

Seit 2017 ist er künstlerischer Leiter der Filmtage; er übernahm, nachdem der Festivalgründer und jahrzehntelange Chef Heinz Badewitz im Jahr 2016 verstorben war. Unter dessen Leitung hatte Hof eine Art Alleinstellungsmerkmal, nahezu alle deutschen Filmemacher waren irgendwann einmal da, die Filmtage wurden zur "Herbstschau des deutschen Kinos", zum "Home of Films" mit Familientreff-Atmosphäre und Fachgesprächen am Bratwurststand. An diese Tradition knüpfte Schaumann an, gleichzeitig veränderte er viel, etablierte neue Reihen, Veranstaltungen und Gesprächsformate. Denn auch ein Festival muss mit der Zeit gehen, sich öffnen und neue Publikumsschichten ansprechen.

Die wohl augenfälligste Veränderung hat ausgerechnet mit der Pandemie zu tun: Seit 2020 finden die Hofer Filmtage hybrid statt. Neben den Vorführungen in den Hofer Kinos besteht also auch die Möglichkeit, einen Großteil der Filme über die On-Demand-Plattform der Filmtage abzurufen - und das sogar bis 6. November. Es seien eigentlich zwei Festivals, die er und sein Team organisieren würden, sagt Schaumann, eins vor Ort und eins im Internet. Das war anfangs den Corona-Auflagen geschuldet, als man nicht wusste, ob das Festival in seiner gewohnten Form überhaupt stattfinden konnte. Das Online-Angebot wurde aber angenommen und soll fortgeführt werden. Oder wie der künstlerische Leiter lachend sagt: "Wir haben jetzt zwei Jahre lang geübt."

Er sehe sich als Geburtshelfer für all die Filme und wolle ihnen den bestmöglichen Start ermöglichen. Dafür müsse man eben die Infrastruktur erweitern, sagt er, sie sichtbar machen. Das funktioniert bei der täglichen Late Night Talk Show, die in der Bürgergesellschaft Hof stattfindet - und gleichzeitig im Netz. Das soll aber auch das zappelige Jungvolk ansprechen: Die Filmtage sind seit kurzem bei Tiktok, ein Filmstudent von der HFF München dreht vor Ort kurze Videos. Ob er damit Aufmerksamkeit bei jener Altersgruppe schaffen kann, die nur noch selten ins Kino geht und lieber auf Handys starrt, wird sich zeigen.

In Hof stehen eben ganz viele Dinge in Verbindung zueinander: Dazu gehören nicht nur Streaming-Angebote oder Tiktok-Videos, sondern auch die Hommage an den kürzlich verstorbenen Filmprovokateur Roland Reber und sein Frauenkollektiv, das traditionelle Fußballspiel oder die Ausstellung "Fassbinder/Schygulla/Ballhaus" in der Freiheitshalle Hof. Dort werden Fotos von Michael Friedel gezeigt, der in den Siebzigerjahren die Filmfamilie rund um Rainer Werner Fassbinder mit seiner Kamera begleitete. "Hof bleibt doof, da helfen keine Filme", maulte der vor 40 Jahren verstorbene Regisseur einmal, ganz vorbei an den Filmtagen kam aber auch er nicht. Ganz sicher vorbeikommen will dagegen die Hofer Oberbürgermeisterin: Eva Döhla gehört seit 1987 zum Filmtage-Team und verkaufe heute noch mitunter Kinokarten, wie Schaumann zu berichten weiß. Und auch das ist ein Alleinstellungsmerkmal, ganz klar.

56. Internationale Hofer Filmtage, Di., 25., bis So., 30. Okt., Streaming bis 6. Nov., Infos und Tickets: www.hofer-filmtage.com

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5680612
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.