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Politik in Bayern:Landesvater, Landesmutter - Landesonkel?

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Parlamentspräsidentin Ilse Aigner bezeichnet sich in einem Interview als "Landesmutter". Wie viel Verwandtschaft steckt noch in der bayerischen Politik? Höchste Zeit für ein Familientreffen.

Glosse von Thomas Balbierer, München

In einem Interview mit Zeit Online hat Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner soeben einen Satz gesagt, der die Fantasie anregt. In dem Gespräch wurde die CSU-Politikerin unter anderem zu ihren Ambitionen nach der Landtagswahl 2023 befragt und ob sie sich auch eine andere Position vorstellen könnte als den Chefsessel im Maximilianeum. Zunächst antwortete Aigner wie aus dem Handbuch für politische Phrasen: Man wisse nie, was noch passiert, Parlamentspräsidentin sei eine tolle Aufgabe, das Amt passe zu ihr - alles ziemlich erwartbar. Doch dann schob sie einen Satz hinterher, der Assoziationen weckt, die im Kopf ein wildes Eigenleben entwickeln. "Als Landesmutter fühle ich mich wirklich wohl."

Bedenkt man, dass Ministerpräsidenten wie Markus Söder in Deutschland inoffiziell den angestaubten Titel "Landesvater" tragen, entsteht vor dem inneren Auge folgendes Bild: Papa Markus und Mama Ilse umarmen ihre vielen kleinen Bayernkinder wie eine große Familie. Ohne allzu intim zu werden: Aber verhalten sich Aigner und Söder nicht wirklich wie ein altes Ehepaar? Sie sticheln und ätzen - im besagten Interview wirft Aigner ihrem Amtsgatten Fehler in der Energiepolitik vor - und am Ende bleiben sie doch zusammen.

Spinnt man den Gedanken weiter, geraten auch andere Landespolitiker in den Blick - welche Rolle hätten sie bei diesem Familientreffen? Hubert Aiwanger als schrulliger Landesonkel, der Genderwitzchen reißt und der vegan gestimmten Nichte eine Bratwurst auf den Teller knallt mit den Worten "Is doch scho tot"? Landesgroßvater Edmund Stoiber im Schaukelstuhl, der im Selbstgespräch darüber schimpft, dass das Neun-Euro-Ticket nicht auch für den Transrapid gilt? Für die Figur des streberhaften Landescousins im Akademikerformat gäbe es sogar zwei Anwärter: Wissenschaftsminister Markus Blume und Kultusminister Michael Piazolo. Innenminister Joachim Herrmann wäre als gemütlicher Landesschwager gesetzt, der den ganzen Abend Geschichten erzählt und gar nicht merkt, dass seine Zuhörer längst eingeschlafen sind. Für Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze wäre das alles kein Problem: Als Jüngste am Landesfamilientisch spricht sie lieber mit ihrem Handy und befüllt laufend ihren Instagram-Account - wenn sie den Anwesenden nicht gerade mit einer Moralpredigt über Massentierhaltung und Flugreisen auf die Nerven geht.

Wer so eine Familie hat, braucht jedenfalls keine Politiker mehr.

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