Finanzen:Regierung einigt sich auf Nachtragshaushalt
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Das Bundeskabinett stimmt dem Entwurf von Finanzminister Lindner für das Jahr 2023 zu. Nun soll der Bundestag erneut eine Notlage feststellen, weil die Verschuldung oberhalb der Schuldenbremse liegt. Der Fonds, aus dem bislang die Energiepreisbremsen finanziert werden, läuft zum Jahresende aus.
Von Markus Balser, Michael Bauchmüller, Georg Ismar, Paul-Anton Krüger und Henrike Roßbach, Berlin
Die Bundesregierung hat den Beschluss am Montag im Umlaufverfahren gefasst - und somit einen Tag vor der geplanten Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag. Laut dem Regierungsentwurf für den Nachtragshaushalt soll der Bundestag für 2023 noch einmal eine Notlage ausrufen, die eine Neuverschuldung oberhalb der Schuldenbremse erlaubt.
Die Bundesregierung begründet dieses Vorgehen mit den hohen Energiepreisen infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und mit der Flutkatastrophe im Ahrtal im Jahr 2021. Für beide Zwecke hatte der Bund jeweils Sondervermögen eingerichtet, um die Folgen für die Bürger zu mildern - beide Sondervermögen können nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aber nicht mehr in der bisherigen Form genutzt werden. Die Richter verlangen, dass Kredite aus Sondertöpfen der Regierung jährlich auf die Schuldenbremse angerechnet werden - und nicht nur in dem Jahr, in dem die Töpfe eingerichtet worden sind.
Direkt betroffen von dem Urteil ist der Klima- und Transformationsfonds (KTF) der Regierung; weil die Verschiebung von 60 Milliarden Euro aus alten Corona-Krediten in den Fonds für nichtig erklärt wurde, stehen diese Mittel nicht mehr zur Verfügung. Dennoch hieß es aus Regierungskreisen, dass der KTF für 2024 ausreichend Mittel habe, um geplante und rechtlich verbindliche Ausgaben zu tätigen. Mittelbar aber betrifft der Richterspruch auch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), mit dem bislang die Strom- und Gaspreisbremse finanziert wird. Die Ausgaben aus dem WSF für das laufende Jahr in Höhe von voraussichtlich 43,2 Milliarden Euro sollen deshalb - genau wie die 1,6 Milliarden Euro für den Wiederaufbau im Ahrtal - jetzt über den geplanten Nachtragshaushalt gedeckt werden, der noch diese Woche in erster Lesung im Bundestag beraten werden soll.
Laut Lindner ist die Neuverschuldung im Ergebnis geringer als geplant
Der Bund nimmt laut dem Entwurf für diesen Nachtragshaushalt dieses Jahr neue Schulden in Höhe von 70,6 Milliarden Euro auf; zulässig nach den Regeln der Schuldenbremse wären nur 25,8 Milliarden. Die zusätzlichen neuen Kreditermächtigungen - als Ersatz für die weggefallenen Kredite aus den Sondertöpfen - sollen über das Haushaltsfinanzierungsgesetz verankert werden. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) betonte, die Bundesregierung ziehe mit dem Nachtragshaushalt die Konsequenz aus dem Karlsruher Urteil. Der Bund nehme 2023 keine zusätzlichen Schulden auf, sondern im Ergebnis sogar weniger als ursprünglich geplant.
Zum Jahresende soll der WSF geschlossen werden. Sollte die Ampelkoalition die Strom- und Gaspreisbremse weiterführen wollen, wie es Vertreter von SPD und Grünen fordern, müsste das Geld dafür aus dem regulären Haushalt 2024 kommen. Eine Ausnahme aber gibt es: zwei Milliarden Euro für Härtefälle bei den Energiekosten von Krankenhäusern, für die rechtlich verbindliche Zusagen des Bundes bestehen. Dieser Betrag wird nun ebenfalls in den Nachtragshaushalt 2023 übernommen.
Umstritten bleibt derweil zwischen den Koalitionsparteien, ob der Bundestag für 2024 mit Blick auf den Ukrainekrieg dann ein weiteres Mal eine Notlage ausrufen soll, um die erlaubte Neuverschuldungsgrenze von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung überschreiten zu können. SPD-Chefin Saskia Esken forderte die FDP bereits auf, diesem Vorgehen zuzustimmen, um Spielraum für zusätzliche Investitionen zu haben. "Wir stecken in wirklich multiplen und schweren Krisen", sagte sie am Montag in Berlin. Da die bisher gewählten Instrumente "ganz offensichtlich nicht der Verfassung entsprechen", sei sie dafür, erneut eine Notlage festzustellen. Der Ukraine-Krieg erfordere dauerhaft weitere Hilfen, auch militärische Unterstützung. Zudem werde Deutschland im Frühjahr eine Wiederaufbaukonferenz ausrichten und müsse auch für diesen Bereich umfangreiche Mittel einplanen. Die Ausnahmeregelung für 2024 sei "dringend geboten".
Auf die Frage, ob der Kanzler im Bundestag die Vertrauensfrage stellen und Neuwahlen herbeiführen müsse, wie es der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gefordert hatte, sagte Esken, sie wolle sich "für die Ratschläge aus Bayern herzlich bedanken". Die Koalition werde eine Lösung finden.
Anders als der WSF kann der Klimafonds der Regierung bestehen bleiben, weil er über eigene Mittel verfügt, etwa Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung. Bund und Länder sind sich einig, dass sie auf die geplanten Industrie-Projekte, die über den Fonds finanziert werden sollen, nicht verzichten wollen. "Alle Projekte, die wir konzipiert haben, müssen möglich werden", sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nach einem Treffen mit den Energieministern der Länder. Bestehende Zusagen müssten eingelöst, versprochene Zusagen rasch gegeben werden.
Darunter fallen auch milliardenschwere Staatshilfen für die Ansiedlung von Chipfabriken. Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) sprach von einer "kalten Dusche", die Deutschlands Wirtschaft mit dem Urteil aus Karlsruhe getroffen habe. "Wir können auf diese Projekte nicht verzichten. So deutlich möchte ich das sagen im Namen aller Wirtschaftsminister." Auch der Co-Vorsitzende der Grünen, Omid Nouripour, warnte vor finanziellen Einschnitten. Kaputtsparen sei keine Option. Die Modernisierung des Landes müsse voranschreiten, Deutschland dürfe nicht an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.