Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:Empörung über neues Abschiebe-Gefängnis in Niederbayern

Lesezeit: 3 min

Unter den Augen der politischen Prominenz wird in Passau der Grundstein für eine riesige Haftanstalt mit 450 Plätzen gelegt, 100 davon für abgelehnte Asylbewerber. Kritiker halten den Bau für völlig überzogen - und befürchten Schlimmes für Geflüchtete.

Von Deniz Aykanat, Passau

Ein Gelände von 70 000 Quadratmetern, eine 800 Meter lange und sechs Meter hohe Anstaltsmauer, mehr als 300 Mitarbeiter und Kosten von geschätzt um die 200 Millionen Euro: In Passau entsteht eine riesige Haftanstalt mit 450 Plätzen. Davon sind mindestens 100 vorgesehen für Menschen, die abgeschoben werden sollen. Die Bagger rollen schon seit einigen Monaten in der Königschaldinger Straße im Passauer Stadtteil Heining, am Montag war nun auch offizielle Grundsteinlegung. Für Ministerpräsident Markus Söder, Justizminister Georg Eisenreich und Bauminister Christian Bernreiter (alle CSU) Anlass genug, um höchstselbst nach Niederbayern zu kommen. Für die Grünen im Passauer Stadtrat ein "Zeichen für die verfehlte Flüchtlingspolitik in Bayern", wie Fraktionsvorsitzende Stefanie Auer sagt.

Beim Bayerischen Flüchtlingsrat blickt man ebenfalls kritisch auf den Mega-Bau - und mit einiger Sorge. "Wir haben ein neues Abschiebe-Gefängnis in Hof mit 140 Plätzen, in Erding und Eichstätt ebenfalls mit Hunderten Plätzen. Jetzt noch mal hundert in Passau - das ist völlig unverhältnismäßig", sagt Sprecher Stephan Dünnwald. Es werde von Behörden und Gerichten exzessiv zum Mittel der Abschiebehaft gegriffen. "50 Prozent der Fälle sind nicht rechtmäßig." Trotzdem seien schon die bestehenden Abschiebe-Anstalten, wie etwa die bis dato bayernweit größte in Hof, nicht ausgelastet, kritisiert Auer von den Grünen.

Beim Flüchtlingsrat befürchtet man, dass die neuen Kapazitäten dementsprechend zu noch mehr Abschiebungen führen werden. "Denn die Plätze sollen natürlich gefüllt werden." Aus Dünnwalds Sicht ist es auch kein Zufall, dass die großen Abschiebe-Anstalten in Hof und in Passau angesiedelt sind. "Geflüchtete, die aus Tschechien und Österreich über die Grenze kommen, sollen dann direkt in Haft kommen." So unterbinde man eine eingehende Prüfung der Fälle und eine gute Beratung der Flüchtlinge, sagt Dünnwald. Ob beispielsweise eine Geflüchtete Verwandte oder Familie in Deutschland habe, wie die Bleibeperspektive sei, inwiefern ein Geflüchteter in der Heimat in Gefahr sei. "Je größer die Anstalt, desto weniger spielt der einzelne Mensch eine Rolle." Das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführung buche inzwischen eigene Charterflüge für Abschiebungen. "Da hilft so ein Knast wie in Passau natürlich."

Ursprünglich ging es um reguläre Häftlinge im Strafvollzug. Der Neubau war notwendig geworden, weil die JVA an der Theresienstraße in der Passauer Innenstadt zu klein ist und nicht mehr den heutigen Standards entspricht. Im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 beschloss das bayerische Kabinett dann, neben Strafgefangenen auch Abschiebehäftlinge in dem Bau unterzubringen - ein solches Gefängnis wäre einmalig in Deutschland. Eigentlich müssen Strafvollzug und Abschiebehaft streng getrennt werden.

"Ich rate jedem, da mal vorbeizugehen. Es ist erschreckend beeindruckend"

Das Staatliche Bauamt Passau nennt das Gefängnis "Kombi-Anstalt". Was praktisch und pragmatisch klingt wie der berühmte DDR-Mufuti, der Multifunktions-Tisch, ist in den Augen von Dünnwald ein Euphemismus: "Das ist eine extrem schwierige Kiste." Man verspreche sich davon vermutlich Synergieeffekte, wenn etwa Personal in beiden Einrichtungen eingesetzt werden könne oder ärztliche Versorgung und Essensverpflegung zentral geregelt werden. "Damit wäre aber womöglich das Gebot der deutlichen Trennung aufgehoben. Wie will man immer klar die Strafhaft von der Verwaltungshaft trennen?"

Rechtsanwältin Auer hat dieselben Bedenken. "Ich lehne diese Konstruktion ab, und sie ist auch juristisch eventuell nicht einwandfrei." Aus den bisher vorgelegten Plänen sei nicht ersichtlich, wie man die ganz unterschiedlichen Sicherheits- und Unterbringungsstandards gewährleisten wolle. "Abschiebehäftlinge dürfen nicht im Zimmer festgehalten werden, können ihr Handy benutzen, haben keine vergitterten Fenster. Familien müssen zusammen untergebracht werden."

Beim Bauamt heißt es, für Strafvollzug und Abschiebehaft werde es jeweils separate Zugänge, Zufahrten und Gebäude geben, getrennt durch eine Mauer auch innerhalb der Anstalt. "Abschiebehäftlinge sitzen hinter Gefängnismauern und drinnen werden sie noch mal durch eine Mauer getrennt. So wird bei uns in Bayern mit Flüchtlingen umgegangen", sagt Auer.

Den Umgang mit der Natur sehen Kritiker ebenfalls gefährdet. "Der Flächenverbrauch ist gigantisch. Und das in einem wertvollen Naherholungsgebiet direkt bei der Stadt", sagt ÖDP-Stadtrat Urban Mangold. Besonders ärgert ihn, dass die Fläche für das Gefängnis nachträglich noch einmal vergrößert wurde. "Wegen einem riesigen Parkplatz." Eine Tiefgarage oder ein Parkhaus waren wegen Sicherheitsbedenken abgelehnt worden. "Welcher Häftling flüchtet bei einem Ausbruch denn bitte ins Parkhaus?" Mangolds Ansicht nach wäre ein Gefängnis in der Nähe einer Autobahnausfahrt besser aufgehoben gewesen.

Die Anwohner der Königschaldinger Straße müssen sich bis mindestens 2027 mit Baulärm und Dreck auseinandersetzen. "Die leiden", sagt Grünen-Stadträtin Auer, die sich dort schon umgesehen hat. "Ich rate jedem, da mal vorbeizugehen. Es ist erschreckend beeindruckend."

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