Süddeutsche Zeitung

CSU-Parteitag:Söder eilt voraus - und nicht jeder kommt mit

Lesezeit: 3 min

Von Roman Deininger und Wolfgang Wittl, München

In den guten alten Zeiten der CSU waren Parteitage staatstragende Veranstaltungen. Doch die CSU ist eine Partei im Umbruch, und der Parteitag, der am Freitagnachmittag in der Münchner Olympiahalle beginnt, fühlt sich zunächst mal an wie eine Fernsehshow. Die Vize-Parteichefin Melanie Huml springt als Feldreporterin über die Tribüne und interviewt enthusiasmierte Parteifreunde, die Gespräche werden auf der Großleinwand übertragen. Die ganz kritische Introspektion ist da natürlich eher nicht zu erwarten. Ein älterer Herr vom Tegernsee sagt wie bestellt, es sei wirklich sehr beachtlich, was Markus Söder seit seiner Wahl zum Parteivorsitzenden im Januar alles geleistet habe.

Noch sehr viel beachtlicher ist, was sich etwa eineinhalb Stunden später zuträgt - genau zwischen Söders Rede und seiner Wiederwahl als Parteichef. Es ist der Moment, in dem ein einzelner Delegierter die sorgfältig geplante Choreografie dieses Reformparteitags aushebelt. Niklas Stadelmann heißt der junge Mann, er kommt aus dem oberfränkischen Lichtenfels. Er tritt ans Mikrofon und stellt im Grunde das Prinzip in Frage, nach dem Söder in den vergangenen Monaten Land und Partei geführt hat: "Die CSU sollte nicht sagen: Was denkt die Bevölkerung, das machen wir uns zu Eigen. Wir haben selbst einen klaren Wertekompass."

Söder hat zuletzt bemerkenswerte Entschlossenheit bei allerlei Kurskorrekturen demonstriert, aber er hat Teilen seiner Partei damit auch einiges zugemutet. Er hat das Artenschutz-Volksbegehren übernommen und auch sonst die rapide Ergrünung der CSU eingeleitet. Er hat die Parteizentrale organisatorisch ganz auf sich zugeschnitten und die mythenumtoste Parteizeitung Bayernkurier einfach abgeschafft. Söder will, dass die CSU digitaler wird, jünger und weiblicher. Auf dem Parteitag soll nun also die Frage beantwortet werden, ob die Delegierten Söders Entschlossenheit wirklich teilen.

91,34 Prozent der Delegiertenstimmen erhält Söder schließlich bei der Wahl. Das ist ein bisschen mehr als die 87,4 Prozent, die er im Januar bei seiner Wahl zum Nachfolger von Horst Seehofer bekommen hatte. Es ist das Ergebnis, das Söder braucht. Und dennoch zeigt es bei näherer Betrachtung auch, dass der mutige Delegierte Stadelmann nicht allein ist: Etwa 770 Stimmberechtigte sind in der Halle, aber es werden nur 735 Stimmen abgegeben. Von diesen sind wiederum 31 ungültig. Auf Söder entfallen 643 Stimmen. Das klingt nicht mehr ganz so imposant wie 91,34 Prozent.

Die CSU wirft sich ihren Frontleuten gern an den Hals

Das Ganze hat ja ohnehin etwas Wundersames: Der Ministerpräsident Söder wurde für das historisch schlechte Ergebnis der CSU bei der Landtagswahl 2018 auch noch mit dem Chefsessel der Partei belohnt. Inzwischen ist immerhin klar, was die CSU in ihm gesehen hat. Sie ist eine Partei, die starke und straffe Führung schätzt. Sie wirft sich ihren Frontleuten an den Hals, und erst, wenn sie nach einer Weile nicht liefern, hinterfragt sie ihre Loyalität. Die Mitglieder wissen zu schätzen, dass endlich wieder einer mit der Fahne in der Hand vorausrennt. Auch wenn manche Mühe haben, hinterher zu kommen.

Als Söder am Freitag die Wahl annimmt, tut er das deshalb im Bewusstsein, dass er gerade keine Konkurrenz hat in der CSU. Vor nicht mal einem Jahr hätte der Europapolitiker Manfred Weber den Zugriff auf den Parteivorsitz gehabt; er verzichtete mit Blick auf seine Spitzenkandidatur bei der Europawahl im Mai. Heute ist Weber nur noch Nebendarsteller, allerdings einer, dem die Parteibasis große Liebe angedeihen lässt: Mit 93,4 Prozent erreicht der Niederbayer das beste Ergebnis aller fünf stellvertretenden Vorsitzenden. "Wir vergessen dir deinen Einsatz nicht", sagt Söder zu Weber, "vergelt's Gott." Die Delegierten erheben sich zum Applaus. Weniger gut kommt Dorothée Bär weg: Sie bekommt bei ihrer Wiederwahl als CSU-Vize nur 71,6 Prozent.

Die CSU, sagt Söder in seiner Rede, sei noch vor einem Jahr in einer Existenzkrise gewesen. Inzwischen sehe er die Partei im Aufwind: "Wir sind auf dem richtigen Weg." Er bittet die Delegierten um Unterstützung bei seinen Reformen: "Es ist alles noch auf dünnem Eis, es ist alles ein zartes Pflänzchen, das wächst." Die Christsozialen müssten "Pioniere der Zukunft" sein. Man lebe "heute in einer anderen Welt als früher. Ich bin fest überzeugt: So leicht gibt es kein Zurück mehr in die gute alte Zeit."

Zwei Stunden nach seiner Wiederwahl wirft sich Söder zum ersten Mal mit dem Gewicht des frisch gewählten Parteichefs in die Beratungsschlacht. Die Junge Union fordert, die Kanzlerkandidatin oder der Kandidat der Union solle künftig in einer Urwahl entschieden werden. "Es ist mir schon ein Anliegen, dass wir bestimmen können, wer die Nummer eins in Deutschland wird", interveniert Söder. Eine Mitgliederabstimmung würde das Vetorecht eines CSU-Chefs aushebeln. Und überhaupt, sagt Söder: "Wie wirkt das auf unseren Gast morgen?" Da kommt CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer nach München, auch sie lehnt eine Urwahl ab. Die Mehrheit der Delegierten folgt Söder.

Eine große Debatte gibt es aber; sie nimmt mit diesem Parteitag ihren Anfang und wird die CSU vermutlich lange beschäftigen: Wie halten es die Christsozialen mit den Grünen? Viele in der Partei sprechen über sie schon als künftige Partner im Bund. Sogar der frühere Parteichef Erwin Huber, eigentlich als Grünenfresser bekannt. Söder versucht, die Grünen als Gegner zu brandmarken: "Die Grünen haben mehr Moral als wir, sie haben sogar eine Doppelmoral." Grün-Rot-Rot in Berlin, sagt Söder, "wäre ein schwerer Schaden für das Land".

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Quelle:
SZ vom 19.10.2019
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