Süddeutsche Zeitung

Politik in Bayern:Söders beste Wahlkampfhelfer

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Die Ampel-Opposition im Freistaat kommt in Umfragen zusammen auf keine 30 Prozent. Das liegt auch an hausgemachten Problemen.

Von Andreas Glas, Johann Osel und Klaus Ott

Martin Runge ist dran. Er darf jetzt löchern, bohren, grillen, so ein Untersuchungsausschuss ist ja ein Genuss für einen Oppositionspolitiker. Und was macht Runge, mal wieder? Er löchert nicht, bohrt nicht, grillt nicht. Er doziert über Schlitzwandboxen, Versteinerungsklauseln, Lozierungen. Er hält dem Zeugen ein Papier vor. Der Zeuge sagt, er kenne das Papier nicht. Runge sagt: "Gut. Sie kennen das Schreiben nicht. Gut. Dann ist das eine gute Antwort." Alles gut?

Runge, 65, sitzt für die Grünen im U-Ausschuss zur Kostenexplosion bei der zweiten Münchner S-Bahn-Stammstrecke. Eines von vier solchen Gremien in dieser Landtagsperiode, Runge ist einer von vielen Fragestellern. Aber, wenn man so will, steht dieser eine Mann sinnbildlich für das große Ganze. Die Stammstrecke wird viel später fertig als angekündigt, viele Milliarden Euro teurer. Die Indizien sprechen dafür, dass die Staatsregierung nicht gerade verantwortungsvoll mit Bayerns größter und wichtigster Baustelle umgegangen ist. Man könnte da meinen, dass die CSU jedes Mal schwitzt, wenn eine Ministerin oder ein Amtschef auf dem Zeugenstuhl Platz nimmt. Doch wer der Regierung den Puls fühlt, hat nicht den Eindruck, dass diese Ampel-Opposition irgendwen nervös macht.

Laut jüngstem BR24-Bayerntrend ist gut jeder Zweite zufrieden mit der Koalition aus CSU und Freien Wählern. Heißt auch: Fast die Hälfte der Menschen in Bayern ist unzufrieden. Trotzdem, ein Regierungswechsel ist in weiter Ferne, wenn im Herbst ein neuer Landtag gewählt wird. Warum? Wer das analysieren will, kommt auf viele Aspekte, die man Grünen, SPD und FDP in Bayern nicht direkt ankreiden kann. Aber auch auf hausgemachte Probleme, weshalb die Umfragen gut vier Monate vor der Wahl so aussehen wie im Bayerntrend. Oder kürzlich in einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der SZ. Da landete die CSU bei 41, die FW erhielten zehn Prozent. Weit dahinter Grüne (15), SPD (10) und FDP, die mit vier Prozent aus dem Landtag flöge. Die AfD käme auf zehn Prozent, ist aber heute wie wohl künftig Solitär im Landtag - nicht relevant für die Regierungsfrage.

Klar, es gibt äußere Umstände für das Dilemma. Vor allem die Ampel im Bund, die nicht gerade Rückenwind gibt, sich inzwischen fast gegenseitig zerfleischt - und speziell bei den Grünen die Zustimmung dämpft, die einige wegen der Heizungspläne in Berlin mal wieder als "Verbotspartei" sehen -, was die CSU gern ausschlachtet. Mit der Wahlreform für den Bundestag zulasten der CSU hat die Ampel Söder sogar ein Wahlkampfgeschenk gemacht hat. Er kann mit seiner These vom "Bayern-Gen", das den Roten und Grünen fehle, munter durch die Bierzelte tingeln. Ansonsten schweigt Söder die bayerische Ampel am liebsten tot, arbeitet sich nur an Habeck, Scholz und Co. ab. "Florian von Dings", sagt er etwa über SPD-Chef Florian von Brunn, wenn er das bayerische Ampel-Personal überhaupt mal beim Namen nennt.

Nicht förderlich ist zudem, dass Grüne, SPD und FDP ihre mauen Perspektiven offenbar einsehen. Alle drei buhlen mehr oder weniger offensiv um die Junior-Partnerschaft anstelle von Hubert Aiwanger und dessen FW - auf die sich Söder indes schon festgelegt hat. Die Grünen kämpfen dafür, "so stark zu werden, dass niemand an uns vorbeikommt" - gemeint ist die CSU, mit der man eine Regierung bilden könnte, die nicht "für ein Weiter-so steht". So sagte es Spitzenkandidat Ludwig Hartmann bei der Präsentation des Wahlprogramms, das zufällig ein grünes Deckblatt mit schwarzer Rückwand hatte. Bei der SPD war auf dem Parteitag in Augsburg neulich öfters vom schwarz-roten Bündnis die Rede. Und die FDP wirbt demonstrativ für ein "Update" bei Wirtschaft und Bildung, ausgerechnet zwei Ministerien der FW. Kein Zweifel, dass man sich lieber an der Seite der CSU sähe.

Von einer "Bayern-Ampel", über die nach der Bundestagswahl 2021 Grüne und Sozis - manche offensiv, manche verdruckst - gesprochen hatten, ist nichts mehr zu hören. So viel Realismus muss sein. Laut Bayerntrend favorisieren 51 Prozent der Befragten die Fortsetzung von Schwarz-Orange. Ein Bündnis der CSU mit der FDP erhält immerhin 33 Prozent Zustimmung. Sogar eine Koalition aus CSU und SPD fände mit 27 Prozent mehr Anklang als Schwarz-Grün (23 Prozent).

Dazu kommt die hausgemachte Malaise. Oft verheddert man sich in Detailfragen. Der Bayern-Ampel gelingt es nicht, zwei, drei große Themen für den Wahlkampf zu setzen, eine Erzählung für eine Wechselstimmung. Ansätze sind da, man sucht wohl nach der zündenden Idee. Vor einigen Monaten sprach der Grüne Hartmann, der mit Katharina Schulze Spitzenkandidat ist, von der Landtagswahl als "Volksabstimmung zur Energiezukunft Bayerns" - ein Denkzettel also für den Windrad-"Blockierer" Söder. Und SPD-Frontmann Brunn bemüht bei jeder Gelegenheit das "Bayern-Tempo", das bei Energie, Wohnen oder Mobilität nötig sei, wo seiner Ansicht nach die Defizite der Staatsregierung zutage treten. Analog zu einem "Deutschland-Tempo", das Brunn bei der Ampel und vor allem SPD-Kanzler Olaf Scholz ausmacht. Verfangen hat das bislang nicht.

Was auch an der Bekanntheit des Spitzenpersonals liegen dürfte. Die Studienautoren des Bayerntrends schreiben von "sichtbaren Bekanntheitsproblemen". Es geht da sicher auch um die Frage von bekannten oder markanten Figuren, die im ländlichen Raum - und dort sind immer noch die meisten Stimmen zu holen - bekannt oder sogar verwurzelt sind. Oder ist die Opposition am Ende einfach zu brav, um eine Wechselstimmung zu erzeugen?

In Reihen der bayerischen Ampel finden sich viele fleißige Abgeordnete, die oft mehrere Ausschüsse fachkundig besetzen, aus dem Stand über Gesetzesinitiativen und Statistiken referieren können. Aber reicht Fleiß allein? Wie bei Martin Runge, Gründungsmitglied der Grünen, seit 1996 mit Unterbrechung im Landtag, Vorsitzender des Innenausschusses. Für den U-Ausschuss Stammstrecke ist er als wandelndes Lexikon in Sachen S-Bahn und Nahverkehr eigentlich geeignet wie kein anderer. Doch was bringt das, wenn er das offenkundige Versagen von Söder und der CSU nicht auf den Punkt bringt? Wenn es ihm nicht gelingt, den früheren Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) festzunageln. Obwohl Scheuer nun wahrlich nicht zu wenig Angriffsflächen bietet.

Bezeichnend: In manchen Sitzungen erweist sich U-Ausschusschef Bernhard Pohl vom CSU-Koalitionspartner FW als härtester Fragensteller. Die Regierungsmehrheit macht sich ihre Opposition dann eben selbst, bevor es gar keine gibt. Wobei sich in den U-Ausschüssen zur Maskenaffäre rund um die CSU und zum Nürnberger Zukunftsmuseum die Opposition als weitaus bissiger erwiesen hatte - was sich aber auch nicht in den Zustimmungswerten auszahlt.

Die Schwäche der bayerischen Ampel überdeckt sogar Söders Schwäche. Die CSU liegt ja in Umfragen nur ein paar Prozentpunkte über den 37,2 Prozent bei der Wahl 2018. Mehrere CSU-Leute rechnen vor, dass das peinliche Erscheinungsbild der Berliner Ampel und deren Wahlkampfhilfe längst mit fünf Prozent plus zu Buche schlagen müsste. Vom "Söder-Effekt" sei also nichts erkennbar, wird dem Parteichef in den eigenen Reihen angelastet. Aber natürlich nur inoffiziell, namentlich lässt sich damit niemand zitieren. Die Opposition kann das natürlich erst recht nicht sagen in ihrer Ausgangslage.

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