Süddeutsche Zeitung

Zorc-Abschied in Dortmund:Große Liebe für den ewigen Borussen

Lesezeit: 5 min

Am 34. Spieltag werden auch zwei Größen der Bundesliga verabschiedet: Michael Zorc bekommt in Dortmund eine monumentale Choreografie, Rudi Völler klettert in Leverkusen auf den Zaun.

Von Javier Cáceres und Milan Pavlovic

Der ewige Borusse

Es gibt seit 2015 einen Preis für Loyalität, er wird von Athletic Club de Bilbao vergeben. "One Club Award" nennt er sich, vergangene Woche erhielt ihn der Argentinier Ricardo Bochini, Weltmeister von 1986 und Legende bei CA Independiente de Avellaneda. Aus Deutschland hat den Preis einmal Sepp Maier bekommen, für treue Dienste für den FC Bayern, und nun kann man die Uhr danach stellen, wann er Michael Zorc überreicht wird.

Am Samstag verabschiedete sich der Dortmunder im alten Westfalenstadion, auf deren Südtribüne der 59-Jährige vor einem halben Jahrhundert selbst gestanden hatte, ehe er Kapitän der ersten Mannschaft wurde, die Vitrinen der Borussia mit einer Meisterschale, einem DFB-Pokal, einer Champions-League-Trophäe und einem Weltpokal füllen half, bevor er schließlich auf der VIP-Tribüne landete, als Manager, und seinen Teil zu drei Meistertiteln und drei Pokalsiegen beitrug.

"Ich hatte Schiss vor diesem Tag", bekannte Zorc: Liebe kann überwältigen, hilflos machen, so sehr Außenstehende auch meinen können, man habe sie verdient. Vor der Partie weinte Zorc, und nicht erst als er sich vor der Kurve verneigte, die ihm eine monumentale Choreografie darbot, die aus nur vier Buchstaben bestand, und alles sagte: ZORC. Und auch nicht erst, als der Präsident Hans-Joachim Watzke salbungsvolle Worte sprach. Später, nach der Partie, wagte Zorc, der Fleisch vom Fleische der Borussia ist, war und bleiben wird, sich ans Mikrofon und richtete sich an die Südtribüne. Das Schönste seien die Ausflüge an den Borsigplatz gewesen, "am Tag nach Erfolgen in eure Augen zu sehen". "Nur der BVB!", rief er, der mutmaßliche One-Club-Man-Award-Gewinner in spe, der 44 Jahre im Dienst der Borussia gewesen sein mag, aber nun einen Tag erlebte, an dem er von unzerstörbarer, ewiger Liebe durchströmt wurde.

König des Werksklubs

Bayer Leverkusen ist inzwischen so lange in der Bundesliga dabei (43 Jahre, ununterbrochen, was sonst nur der FC Bayern und der BVB von sich behaupten können), dass es schon mutig ist, die Werkself nicht als Traditionsklub zu bezeichnen. Trotzdem tut sich der Verein im Umgang mit seinen Legenden schwer. Erinnert sich jemand an den Abschied von Reiner Calmund, der den Verein einst groß gemacht hatte? Eben, es gab keinen. Und plötzlich wollte der Klub nichts mehr von den mitunter grenzwertigen Calmundschen Geschäftsideen wissen. Am Samstag erlebte Rudi Völler - der 1994 von Calmund nach Leverkusen gelotst worden war - seinen letzten Tag als Geschäftsführer von Bayer 04.

Alle lieben den Weltbürger aus Hanau, selbst gegnerische Fans und Verantwortliche huldigen ihm, auch am Samstag standen sie Schlange, besonders herzlich fiel die Umarmung mit Christian Streich aus, der später frischesten Lorbeer kranzte: "Wie schön, dass ich bei seinem Abschied dabei sein durfte", schwelgte Freiburgs Trainer, "Rudi ist einfach ein wahnsinnig cooler Trainer." Trainer war er in Wahrheit aber schon viele Jahre nicht mehr.

Es ging dann vielversprechend weiter, die Fans rollten Transparente aus, auf denen acht der etwa 8000 zitierfähigen Ein- bis Dreizeiler des ehemaligen Profis und Nationaltrainers standen, zum Beispiel: "Im Endeffekt sind Regeln dazu da, gebrochen zu werden." Dann allerdings folgte der offizielle Teil der Zeremonie, und diese war an Fipsigkeit kaum zu unterbieten, inklusive der Einspielung des von Völler selbst bekanntlich nicht sonderlich geschätzten Gassenhauers "Es gibt nur ein' Rudi Völler". In der Halbzeit folgte ein weiterer merkwürdig hingekleckerter Programmpunkt, irgendwas mit einem gelben Bötchen und Schokolade, Völler wurde sogar eine Kapitänsmütze verpasst. Man war dann froh, dass doch der Fußball die Regie übernahm und dem Gefeierten in der siebten Minute der Nachspielzeit einen Abschiedssieg schenkte.

Nach dem Abpfiff dann: eine Ehrenrunde mit den Spielern und ein verlängerter Aufenthalt in der Kurve, wo der 62-Jährige zu den Fans kletterte und als Zaunkönig erstmals den Animateur gab ("Humba humba tätärä"), nicht ganz text- und melodiesicher zwar, aber herzlich. Dann ging der Kapitän von Leverkusen von Bord. Zum Glück ohne Mütze.

Fünf Minuten Hoffnung

Es war am Samstag kurz nach 17 Uhr, als es im Gästeblock richtig laut wurde. In Leverkusen war gar kein Tor gefallen - Bayer 04 führte mit 1:0 -, dafür aber in Ostwestfalen. Als bekannt wurde, dass der designierte Absteiger Arminia Bielefeld 1:0 gegen den Tabellenvierten Leipzig führte, wussten alle Freiburger, dass der SC doch noch in der Champions League landen könnte: mit einem Sieg in Leverkusen. Freiburg erzielte tatsächlich das 1:1; und Bayer, das mehrmals die Entscheidung verpennt hatte, wackelte bedenklich. Der Gästeblock bebte - und auch wenn am Ende ein scheinbar gewöhnliches 2:1 (0:0) für den Werksklub auf dem Zettel stand, so hatte die Partie eine der wildesten Endphasen dieser Spielzeit geliefert.

"Die Jungs haben wieder alles reingeworfen", lobte Gästetrainer Christian Streich mit heiserer Stimme. Das Zwischenergebnis aus Bielefeld habe "noch einmal Energien gegeben". Aber es reichte nicht. Vom Leipziger Ausgleich auf der Alm "wusste ich nichts", sagte Streich später.

Die Saison wollte er sich aber auf keinen Fall schlechtreden lassen - auch wenn die Freiburger sich hatten verabschieden müssen von den ganz großen Träumen. "Es ärgert mich, dass jemand an uns vorbeigezogen ist; aber ich bin froh, dass wir in der Europa League sind. Wenn das vor der Saison jemand gesagt hätte, hätte ich gesagt, der spinnt. Ich sehe einige Teams mit großen Namen, die hinter uns stehen." Das stimmt, aber kurz nach Ostern hatte die Welt in Freiburg bekanntlich noch rosiger ausgesehen. Da hatte sich der SC wieder auf einen Champions-League-Platz vorgerobbt, aller Streichschen Tiefstapeleien zum Trotz. Es folgte jedoch am 33. Spieltag das 1:4 daheim gegen Union Berlin, und nach zuletzt zehn Gegentoren in drei Bundesliga-Partien ging es für Freiburg - eine Woche vor dem finalen Pokal-Duell mit RB Leipzig - vornehmlich darum, in der Defensive besser zu stehen.

"Und dann schießt du den Ausgleich und bist nur ein Tor von der Champions League weg ...", sagte Streich. "Und dann verlierst du, weil der Torwart alles wagt" - und Leverkusens Palacios von der Mittellinie über Keeper Mark Flekken hinweg ins leere Tor traf (90.+7). Tabellenfünfter oder -sechster, das ist wegen der TV-Gelder ein wichtiger Punkt für einen Verein wie Freiburg, der der Champions League vielleicht nie wieder so nahe kommen wird.

Der nächste Umbruch

An Abschiede sind sie bei Union einigermaßen gewöhnt; es hat noch in jedem Jahr einen sogenannten Umbruch gegeben. Auch vor und im Laufe dieser Saison, unter anderen gingen im Winter Vizekapitän Marvin Friedrich (Mönchengladbach) und Max Kruse (VfL Wolfsburg). Auf ihre Abschiede folgten erst fünf Niederlagen, ein Remis und nur ein Sieg. Als die Mannschaft akzeptiert hatte, dass man auch ohne Kruse zurechtkommen kann, schaffte sie es, die Europa-League-Qualifikation anzupeilen; am Sonntag gelang dies durch ein 3:2 gegen den VfL Bochum.

"Ich kann Ihnen die Stimmungslage sagen: Man muss sich kneifen, um es zu glauben", sagte Manager Oliver Ruhnert, der nun den nächsten Umbruch moderieren muss. Eine Reihe von Ergänzungsspielern wurde verabschiedet, Goalgetter Taiwo Awoniyi gilt als Wechselkandidat, Grischa Prömel hat schon Tschüss gesagt. Er hatte vor fünf Jahren bei einem Zweitligisten unterschrieben und verlässt nun eine Mannschaft, die es wieder nach Europa geschafft hat. Prömel geht nach Hoffenheim und bittet dort jetzt schon um freie Tage - wenn Union in der Europa League "ein geiles Los" erwischen sollte, würde er gern mal zuschauen.

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