Bundesregierung:Wer hat keine Angst vor Angela Merkel?
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Die FDP hat sie, die SPD hat sie, und die Gegner in der CDU haben sie schon lange: Alle fürchten sich, in der Regierungsarbeit mit der Kanzlerin zu verlieren. Das sagt viel aus, vor allem über ihre Gegner.
Von Stefan Braun, Berlin
Vieles ist dieser Tage für Angela Merkel unsicher geworden. Auf eines aber kann sich die Kanzlerin selbst jetzt noch verlassen: dass ihre politischen Gegner Angst vor ihr haben. Für das Scheitern der Jamaika-Sondierungen gibt es mehrere Gründe. Aber die Angst der FDP, sie könne neben der Kanzlerin verlieren, ja eingehen, ist bei den Liberalen besonders schwer im Rucksack gewesen. Kenntlich machte das Parteichef Christian Lindner früh. So spekulierte er zu Beginn der Sondierungen über ein baldiges Ende ihrer Macht. Das klang nicht nur merkwürdig zu Beginn solcher Gespräche; es legte offen, wo seine Wünsche und Hoffnungen in Wahrheit hinlaufen. Lindner sprach nicht positiv über die eigenen Stärken; er machte Merkel zum Thema. Warum nur?
Nicht anders fühlte sich Martin Schulz an, als er nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche mit Verve sein Nein zu Sondierungen über eine große Koalition unters Volk brachte und am Montagmorgen auch den eigenen Parteivorstand zu diesem Votum bewegte. Bloß nicht mit Merkel, nicht noch einmal, zu verheerend ist das Ganze für die SPD ausgegangen. Nach dem Motto: Der Frau darf man einfach nicht zu nahe kommen.
Warum kam er nicht auf die Idee, stolz an die eigenen Ziele im Wahlkampf zu erinnern - und sie als Bedingungen ins Spiel zu bringen? Weil er zu viel an die Angst dachte. Die Angst, als Umfaller zu gelten. Und die Angst, es wieder mit Merkel zu tun zu haben. Warum schaffte er es nicht, die neue große Chance zu erkennen, gerade jetzt von Merkel viel einfordern zu können?
Diese Form der politischen Urangst trifft allerdings nicht nur Liberale und Sozialdemokraten. Sie ist auch bei den Christdemokraten anzutreffen. Bei denen ist es, wenn man genauer hinschaut, seit mehr als einem Jahrzehnt nicht anders gelaufen. Schlichtweg keiner ihrer Kritiker, seien es am Anfang die Herren des Anden-Paktes gewesen oder während der Hochphase der Flüchtlingskrise die besonders scharfen CSU-Claqueure, haben sich getraut, offen und mit vollem Risiko in den Konflikt zu gehen. Sie haben gerufen und geschimpft und gewettert - und sich dann wieder zurückgezogen. Für Merkel ist das stets kurz unangenehm gewesen und danach eine Bestätigung, dass sich die Herausforderer am Ende eben doch nicht trauen. So wie Lindner jetzt und Schulz schon vorher.
Was also ist da los? Welche mythische Kraft muss die Kanzlerin besitzen, wenn sich Politiker der verschiedensten Parteien so sehr vor ihr fürchten? Die Antwort darauf liegt teilweise bei ihr und sehr viel mehr noch bei denen, die sich nicht trauen. Dass sie eine besondere Ausdauer besitzt und besonders gute Nerven, ist bekannt. Dass sie meistens ein feines Gefühl für Stimmungen hat und deshalb auch in Koalitionen wichtige Themen der Partner gerne für sich vereinnahmt, ist auch keine neue Erkenntnis. Neben diesen Stärken aber gibt es auch Schwächen, und die heißen: Sie scheut Leidenschaft in der politischen Auseinandersetzung. Und sie scheut politische Festlegungen, von denen sie nicht mehr los kommt.
Lässt sich daraus tatsächlich nichts machen? Es ließe sich - und weil das so ist, liegt Merkels Stärke nicht so sehr an ihr, sondern an der Schwäche ihrer Gegner.
... hat natürlich die Sorge, dass jedes neue Bündnis mit der Kanzlerin wieder in der Katastrophe enden würde. Als die Wähler sie 2013 aus dem Bundestag katapultierten, war das innerparteilich die große Erzählung: die Kanzlerin ist schuld, sie hat uns im Stich gelassen. Das war damals einfach, es tat nicht so sehr weh, es lenkte die Trauer in Wut um. Das Fatale daran ist nur, dass die Analyse falsch war und sich trotzdem ins Bewusstsein der FDP gegraben hat. So gesehen ist es nur logisch, dass die FDP von heute diese Lesart noch nicht los ist.
Falsch war die Analyse, weil sie so tut als habe die FDP das meiste richtig gemacht und die Kanzlerin sie quasi erdrückt im gemeinsamen Bündnis. Das aber stimmt so nicht. Die Kanzlerin und mit ihr die gesamte Union stellte sich quer, als die FDP trotz der Weltwirtschaftskrise und der damit verbundenen Sorgen bis in die Mitte der Legislaturperiode auf der vollen, großen Steuersenkung beharrte.
Und sie konnte sich besonders gut querstellen, weil es Guido Westerwelle abgelehnt hatte, selbst Bundesfinanzminister zu werden. Damit hatte er den einzig relevanten Hebel aus der Hand gegeben und glaubte anschließend trotzdem, auf seinem Baum bleiben zu können. Er tourte als Außenminister um die Welt und beharrte auf der Steuersenkung in voller Höhe, bis das im Kabinett alles und alle lähmte. Und das führte zu dem Urteil, die FDP wolle oder könne nicht mehr vernünftig regieren. Wer das Verhalten der Liberalen studierte, ahnte früh, dass die Sturheit und der Streit untereinander 2013 in einem miserablen Wahlergebnis enden würden.
Daraus freilich hätte die FDP den Schluss ziehen können, dass es an den eigenen Fehlern lag. Das tut zwar erst mal weh. Aber es öffnet danach den Blick, was man beim nächsten Mal besser machen sollte. Wie man sich selbstbewusster, klüger, gelassener verhält. Während des Wahlkampfs ist das Lindner gelungen; bei den Sondierungen dagegen ist er in die alte Malaise zurückgefallen. Was wäre gewesen, wenn er von Anfang an erklärt hätte, Jamaika sei schwierig, aber er wolle das, man könne daraus gutes entwickeln, er brauche dafür eben diese und jene Inhalte. Optimistisch, selbstbewusst, ohne die Brocken hinzuschmeißen - damit hätte er Merkel viel mehr Probleme bereitet als mit seinem Abgang.
... steckt fast in der gleichen Lage. Sie musste es sogar schon zweimal erleben, dass sie nach einem Bündnis mit Merkel fürchterlich schlecht aus Bundestagswahlen herauskam. Das war 2009 so, und es endete 2017 in einem schon fast Existenz-bedrohenden Ergebnis. Angesichts dessen soll man keine Sorgen haben? Doch. Die sind natürlich verständlich. Allein: Wie bei der FDP verstellt die Fokussierung auf Merkel den Blick auf das, was wirklich passiert ist.
2009 nämlich startete sie mit einem Kandidaten, der wenige Monate zuvor am Schwielowsee herbei geputscht wurde. Und das, obwohl er es gar nicht so recht wollte. Und ebendieser Kandidat Frank-Walter Steinmeier kämpfte im Wahlkampf nicht mit einer großen Idee, einem Herzensthema, sondern versuchte, sich als der bessere Allrounder zu präsentieren. So aber forderte er Merkel nicht heraus; er traf sie nicht an ihrer wunden Stelle. Er setzte ihr nicht eine eigene Leidenschaft entgegen (beispielsweise für das Megathema Kinder, Schule, Aufstiegschancen und Zukunft des Landes). Die Kampagne wirkte wie der Versuch einer Kopie. Damit stand Merkel bei jedem eigenen Auftritt mit im Raum, und das hatte fatale Konsequenzen.
Noch problematischer war der Wahlkampf 2017. Obwohl Martin Schulz zu Beginn als Person einen großen Vertrauensvorschuss erhielt, blieb er beim Wahlkampf nicht bei sich, sondern arbeitete sich immer häufiger und immer lauter an der Kanzlerin ab. Warf ihr einen Anschlag auf die Demokratie vor, weil sie sich nicht auf Debatten einlasse. Attackierte sie, weil sie nicht konkreter werde. Nur eines machte er kaum bis gar nicht: Er präsentierte keine eigene große Kampagne für mehr soziale Gerechtigkeit und gegen die wachsenden Spaltungen im Land. Auch Schulz schaffte es also nicht, sich von Merkel zu lösen. Das machte ihn nicht groß, sondern immer kleiner.
Dass danach alle Sozialdemokraten mit Schulz an der Spitze in den Seilen hingen, dass sie sich Ruhe und Neuanfang und Wiederaufbau in der Opposition wünschten, ist verständlich. Aber die Erzählung, wieder einmal sei Merkel so ziemlich an allem schuld gewesen, führte in die Irre. Es deckte die Schwächen der Kampagne zu, und es ignorierte, dass man nach einer Großen Koalition nicht plötzlich alles erreichte schlecht machen sollte. Und das ausgerechnet nach diesen vier Jahren, in denen die SPD nicht nur mit dem Mindestlohn wichtiges durchgesetzt hatte.
Eben dieser Gedanke, diese Leistung hätte Schulz im Übrigen auch an diesem Montag leiten können. Frei nach dem Slogan: Tue gutes und sprich darüber. Wie hätte es gewirkt, wenn er vor der großen Mahnung des Bundespräsidenten eine neue Nachdenklichkeit ganz selbstbewusst mit zentralen Zielen der Sozialdemokraten verbunden hätte? Was, wenn er Steinmeiers erwartbare Worte zur Unterstützung der neuen Nachdenklichkeit genutzt hätte? Es hätte nicht mehr an die Angst vor Merkel erinnert; er hätte gezeigt, dass es einen neuen Glauben an sich selbst gibt. Das ist es, was man bräuchte, wenn man Merkel auf Augenhöhe begegnen möchte. Wenn man also die eigene Angst vor ihrer scheinbar mythischen Kraft abschütteln will.
.... haben das bis heute freilich auch nicht wirklich hinbekommen. Seit 2002 traute sich keiner von ihnen, die Parteivorsitzende auf der offenen Bühne eines Parteitags oder im Berliner Kabinett herauszufordern. 15 Jahre sind das inzwischen; und es sind 15 Jahre, in denen die Kritiker lieber von Bord gingen, statt das Duell zu suchen. Trotz aller verbalen Angriffe aus Bayern gilt das auch für die CSU. Selbst Seehofer, der Merkel in der Flüchtlingskrise alles Mögliche vorwarf, scheute davor zurück, endgültig Nein zu rufen.
Ein CDU-Mann schilderte jüngst, wie Edmund Stoiber und einige andere CSUler im Frühjahr 2016 auch unter Christdemokraten für einen Sturz von Angela Merkel geworben hätten. Denen habe er gesagt, unter einer Bedingung würde er mitmachen: Wenn die CSU am Tag nach den für die CDU verheerenden Landtagswahlen in Rehinland-Pfalz und Baden-Württemberg ihre Minister aus dem Kabinett in Berlin abziehen werde. Es kam, wie er es ahnte: Es passierte an diesem 14. März 2016 rein gar nichts.
Dabei könnte nach dem historisch schlechtesten Wahlergebnis auch in der CDU der Ärger losbrechen. Dazu freilich scheint - wieder einmal - der Mut zu fehlen. Dass es Unmut gibt, steht dagegen außer Frage. Und Mitte der Woche sprach das einer aus, auf den sich die Blicke schon mal richten könnten: der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz. Er rechnete derart harsch mit Merkels Verhandlungsstil bei Jamaika und mit ihrer Flüchtlingspolitik ab, dass man sich schon fragen könnte: was kommt als Nächstes.