Süddeutsche Zeitung

Ampelkoalition:Mehr Asphalt, mehr Verkehr?

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Rund um den Aus- und Neubau von Fernstraßen haben sich Grüne und FDP heillos zerstritten. Die Umweltlobby warnt vor dem Unsinn neuer Autobahnen, doch ein Kompromissvorschlag vom Koalitionspartner SPD könnte genau diese ermöglichen.

Von Markus Balser und Michael Bauchmüller, Berlin

Da wäre zum Beispiel die A3. Zwischen Köln und Leverkusen zählt sie zu den meistbefahrenen Autobahnen Deutschlands, weswegen sie hier mittlerweile auf acht Spuren ausgebaut ist. Nur die erhoffte Entlastung für die Umgebung hat der Ausbau nicht gebracht. Das jedenfalls legen Daten nahe, die die Umweltorganisation Greenpeace am Freitag vorgelegt hat. Demnach lief der Verkehr auf umliegenden Straßen nach Fertigstellung der Großbaustelle nicht flüssiger - er verlangsamte sich sogar. Ähnlich sieht das auch bei der A6 bei Nürnberg oder beim Münchner Autobahnring A99 aus. "Die Attraktivität der Autobahn-Nutzung entwickelt eine Sogwirkung und lässt auch auf angrenzenden Straßen zusätzlichen Verkehr entstehen", urteilt die Greenpeace-Analyse. Statt Probleme zu lösen, würden neue geschaffen.

Die Zahlen sind Munition in einem Streit, der seit Wochen zwischen Grünen und FDP, zwischen Umwelt- und Verkehrsministerium tobt: Sollen auch Autobahnen in Deutschland beschleunigt aus- und neugebaut werden, damit mehr Verkehr rollen kann, wie es Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) glaubt? Und braucht es überhaupt neue Autobahnen im Land?

Schon am Donnerstag hatten Umweltverbände neue Schätzungen über die Klimawirkung der geplanten Fernstraßen vorgelegt, Ergebnis: Sie sei fast doppelt so hoch wie vom Verkehrsministerium bisher taxiert. "Die Klimaziele im Verkehr wären damit unerreichbar", sagt Antje von Broock, Chefin des Bundes für Umwelt und Naturschutz. Der gesamte Bundesverkehrswegeplan, der die geplanten Bauvorhaben des Bundes festhält, basiere auf falschen Annahmen.

Engpass-Liste mit 144 Projekten

Die Umweltverbände erhöhen den Druck, denn auf politischer Ebene kommt offenbar Bewegung in die festgefahrenen Beschleunigungspläne. Vor allem die SPD versucht, in dem Streit der Koalitionspartner zu vermitteln. "Wir suchen jetzt einen Kompromiss zwischen alles bauen und nichts bauen", sagt SPD-Fraktionsvize Detlef Müller. Er hat mittlerweile einen Katalog an Kriterien erarbeitet, mit dem sich die Engpass-Liste von bislang 144 Projekten verkleinern ließe - als Grundlage für weitere Gespräche. Am Ende könnte es dann um ein, zwei Dutzend Kernvorhaben gehen, die beschleunigt werden könnten.

Umweltschützer sehen aber selbst reduzierte Pläne äußerst kritisch. "Jede neue Autobahn ist eine zu viel", heißt es im Lager der Umweltverbände. Vor allem für die Grünen wird ein solcher Kompromiss zum Drahtseilakt. Als Erfolg könnten sie ein Einlenken nur verkaufen, wenn sie an anderer Stelle bei den vielen Koalitionsstreitpunkten viel heraushandeln - etwa viel mehr Geld für die Bahn.

Kein Beschluss vor Ende März

Die Kompromissfindung sei schwierig, heißt es in der Ampelkoalition. Ein Koalitionsausschuss zu dem Thema blieb Ende Januar ergebnislos. Eine neue Runde war eigentlich für den 1. März geplant, soll nun aber erst Ende März stattfinden. Auch bei der Kabinettsklausur in Meseberg Anfang März sei noch kein Beschluss zu erwarten.

Der Streit läuft seit Monaten. Dreimal schon saßen Verkehrsminister Wissing und Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) mit Kanzler Olaf Scholz zusammen, um einen Kompromiss zu finden, dreimal ohne Erfolg. Wissing möchte auch neue Autobahnen beschleunigt bauen, mit ähnlichen Regeln wie für Windräder oder Flüssigerdgas-Terminals. Lemke ist gegen diese Beschleunigung

Das Verkehrsministerium hatte sich zuletzt auf Gutachten berufen, die bis 2050 deutlich steigenden Verkehr voraussagen. So soll der Personenverkehr um 12,8 Prozent, der Güterverkehr gar um etwa 50 Prozent wachsen. Dafür seien neue Fernstraßen nötig. Verkehrsforscher sehen solche Prognosen allerdings kritisch und argumentieren mit ganz anderen. "Für die nächsten 25 bis 30 Jahre wird der Verkehr in Deutschland eher stagnieren", sagt Andreas Knie voraus, Leiter der Forschungsgruppe Digitale Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Er zieht einen ganz anderen Schluss: "Wir müssen über ein Moratorium beim Bau neuer Fernstraßen sprechen."

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