Verkehr:Warum sich die Ampel nicht zwischen Straße und Schiene entscheiden kann

Verkehr: Eine Autobahn - hier die A 72 in der Nähe von Leipzig - wird gebaut. Das dauert.

Eine Autobahn - hier die A 72 in der Nähe von Leipzig - wird gebaut. Das dauert.

(Foto: Jan Woitas/picture alliance/dpa)

Seit Monaten schon arbeitet die Bundesregierung an ihrem Plan, wichtige Infrastrukturprojekte zu beschleunigen. Aber sie kommt nicht voran. Jetzt soll endlich eine Entscheidung fallen.

Von Markus Balser, Michael Bauchmüller und Oliver Klasen, Berlin

Was sich mit Beton alles machen lässt, das haben nun auch die Klimaaktivisten der "Letzten Generation" entdeckt. Am Mittwoch schütteten sie Beton auf eine Brücke im Berliner Zentrum. Diesen führe man so "einem sinnvolleren Zweck zu als dem Neubau klimaschädlicher Autobahnen", proklamierten die Aktivisten. Und ehe die Polizei die Stelle räumen konnte, war er auch teilweise schon ausgehärtet. So schnell kann das gehen.

Tatsächlich hat die Bundesregierung ganz anderes vor mit dem Beton, und Tempo spielt auch hier eine Rolle. Stromtrassen, Windräder, Bahnstrecken - all das soll ausgebaut werden, und zwar schneller als bisher. Reihenweise sollen alte Autobahnbrücken saniert werden, und das alles am besten zügig: Die Dauer von Genehmigungsverfahren will die Ampelkoalition halbieren. Aber gilt das auch für den Neubau von Autobahnen?

Die FDP will Gesetze entsprechend ändern, die Grünen sind vehement dagegen. Ein erster Koalitionsgipfel mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) Ende Januar sollte den Streit schlichten - vergeblich. Nun soll nach Angaben aus Regierungskreisen bei einem Koalitionsausschuss im März die Entscheidung fallen. Es werde viel gesprochen, man suche nach einem Termin, um den Streit endgültig zu beenden. Nur wie? Die Süddeutsche Zeitung beantwortet die wichtigsten Fragen.

Warum ist die Beschleunigung überhaupt wichtig?

An der Dauer von Genehmigungsverfahren arbeiten sich deutsche Regierungen seit 30 Jahren ab. Rund um den Bau von Stromtrassen rankt sich mittlerweile ein halbes Dutzend an Beschleunigungsgesetzen. Dennoch dauern viele Verfahren immer noch sehr lange. Allein die Baupläne eines Windrades liegen im Schnitt zwei Jahre lang in verschiedenen Behörden, ehe sie genehmigt werden.

Doch nun hat der Bau schwimmender Flüssigerdgas-Terminals alle Maßstäbe verschoben: Binnen acht Monaten waren nicht nur die nötigen Anleger und Leitungen fertig, sondern auch die Genehmigungen. Dabei half eine Festlegung, die der Gesetzgeber auch für Ökostrom-Anlagen und Stromnetze getroffen hat: Sie liegen im "überragenden öffentlichen Interesse" und dienen "der öffentlichen Sicherheit". Das soll den Behörden die Entscheidung für ein Projekt erleichtern. Und genau diesen Weg möchte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) nun auch bei Fernstraßen des Bundes wählen - jedenfalls bei Vorhaben, die der Bundesverkehrswegeplan als "vordringlich" betrachtet.

Warum ist mehr Tempo auch beim Neubau von Autobahnen so umstritten?

Bei den Plänen prallen die unterschiedlichen Verkehrskonzepte von Grünen und FDP aufeinander. Während die FDP den Ausbau von Bahn und Fernstraßen forcieren will, wollen die Grünen die Beschleunigung vor allem für die Bahn. Die Lage verkompliziert, dass sich beide Seiten wegen schwammiger Formulierungen auf unterschiedliche Stellen im Koalitionsvertrag berufen können.

Zuletzt machte das Verkehrsministerium eine neue Rechnung auf, die den Weg ebnen soll. Laut einer neuen Verkehrsprognose steigt der Güterverkehr auf der Straße bis 2051 im Vergleich zu 2019 um 54 Prozent - der größte Teil des Wachstums lande hier, sagt Minister Wissing voraus. Der Ausbau von Autobahnen sei deshalb zwingend. Die Grünen argumentieren dagegen, wer alles beschleunige, beschleunige am Ende nichts. Tatsächlich arbeiten Straßenbaubehörden bereits am Limit. Für weitere Neubauprojekte fehlten die Kapazitäten, warnt ein Landesverkehrsminister, oder sie gingen auf Kosten der wichtigen Sanierung. Dieselbe Sorge treibt Freunde der Bahn um. "Beim beschleunigten Ausbau konkurrieren Schiene und Straße um ein- und dieselben Fachkräfte", sagt Dirk Flege, Chef der Allianz pro Schiene. "Mehr Autobahnbau bedeutet also weniger neue Schienenstrecken." Dies widerspreche den Klimazielen im Verkehr.

Ob freilich das Klimaargument gegen neue Autobahnen zieht, ist ebenfalls umstritten. Schließlich soll im Laufe des kommenden Jahrzehnts auch der Straßenverkehr in Deutschland weitgehend emissionsfrei werden. Viel früher werden auch viele der neuen Straßen nicht fertig.

Bedeutet das "überragende öffentliche Interesse", dass Belange von Natur, Umwelt oder Anwohnern ausgehebelt werden?

Eine Genehmigung ist in Teilen immer auch Ergebnis einer Abwägung. Werden durch ein Projekt andere sogenannte "Schutzgüter" so sehr beeinträchtigt, dass es keine Genehmigung erhalten kann? In dieser Abwägung verschöben sich durch die Festlegung die Gewichte. "Damit wird kein absoluter Vorrang festgelegt, sondern ein relativer", sagt der Würzburger Umweltrechtler Frank Sailer, der sich bei der Stiftung Umweltenergierecht mit dem Ausbau erneuerbarer Energien befasst. "Das bedeutet nicht, dass Umweltstandards abgesenkt werden." Aber Behörden bekämen mehr Sicherheit bei der Entscheidung.

Umgekehrt muss bei einer Entscheidung gegen das öffentliche Interesse vor Gericht nicht mehr der Antragsteller beweisen, warum die Behörde falsch liegt - sondern die Behörde, warum sie andere Schutzgüter für wichtiger hielt. "Ich bin absolut sicher, dass Planungsverfahren dadurch spürbar beschleunigt werden könnten", sagt auch Allianz-pro-Schiene-Mann Flege.

An welchen Stellen gibt es den größten Ausbau- und Sanierungsbedarf in der Infrastruktur?

"Knotenpunkte in den Ballungsräumen, Brücken und Schleusen", das sind für Florian Eck vom Deutschen Verkehrsforum die neuralgischen Stellen in Deutschland. "Die Schleusen stammen teilweise noch aus der Kaiserzeit, genauso wie manche Stellwerke der Deutschen Bahn." Viele Experten sehen das genauso. Allein die Sanierungskosten verschlingen einen Großteil der Budgets, für neue ambitionierte Projekte fehlt das Geld.

Den von den Grünen angedachten Weg, Autobahnen langsamer und Schienenwege dafür schneller zu bauen, hält Eck aber für zu kurz gegriffen. Zwar sei eine klare Priorisierung der Bauprojekte nötig. Aber der Abbau bürokratischer Hürden müsse alle Verkehrsträger umfassen. "Momentan fehlt der Politik eine Vision, wie Mobilität 2030, 2040, 2050 aussehen kann und eine Bestandsaufnahme, was bis dahin möglich ist und was wir bezahlen können", sagt Eck.

Wie viel Geld steht überhaupt zur Verfügung und wie sind die Mittel zwischen Straße, Bahn und Wasser verteilt?

Knapp 270 Milliarden Euro sind im auf 15 Jahre ausgelegten Bundesverkehrswegeplan für die Infrastruktur vorgesehen, grob 50 Prozent für Fernstraßen, 40 Prozent für die Schiene und zehn Prozent für Wasserstraßen. Das Problem: Alles basiert auf Preisen von 2016 oder noch früher. Allein in den vergangenen beiden Jahren, so Verkehrsexperte Eck, sind aber die Baukosten um 20 Prozent gestiegen. Etwa vier Milliarden Euro an zusätzlichem Finanzbedarf bedeutet das.

Außerdem sei der Bundesverkehrswegeplan viel "Wunsch und Wolke". Wie die Projekte dann konkret finanziert werden, steht dort nicht. Dafür gibt es ein weiteres Regelwerk: den auf mehrere Jahre angelegten Investitionsrahmenplan des Verkehrsministeriums. Letztlich aber hängt es von den Etatverhandlungen zwischen Verkehrs- und Finanzministerium ab, wie viel Geld jährlich zur Verfügung steht. Etwa 16,5 Milliarden Euro sind es derzeit, für alle Verkehrsträger zusammen.

Hinzu kommt, dass die Kosten für neue Verkehrsprojekte regelmäßig viel zu optimistisch geschätzt werden. "Ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl der Projekte auf politischer Ebene ist eben, dass die Projekte nicht zu teuer sein dürfen. Es gibt also einen Anreiz, die Kosten kleinzurechnen", sagt Urs Maier vom Thinktank Agora Verkehrswende.

Wie regeln andere Länder den Infrastrukturausbau?

Österreich geht gerade den gegenteiligen Weg, so will es der Mobilitäts-Masterplan: Jedes Infrastrukturprojekt wird darauf untersucht, ob es Österreichs Klimaziele verletzen könnte. "Die Hürden für neue Autobahnprojekte werden damit natürlich höher. Denn viele stehen den Klimazielen entgegen, weil sie mehr Verkehr verursachen", sagt Günther Lichtblau vom österreichischen Umweltbundesamt. Tatsächlich plant die Regierung in Wien bis 2040 den privaten Pkw-Verkehr um 25 Prozent zu reduzieren. Autobahnneubauten sind künftig zwar nicht ausgeschlossen. Aber Planer müssen nachweisen, dass das Mobilitätsbedürfnis der Bevölkerung nicht anderweitig befriedigt werden kann.

Die deutschen Grünen dürften also neidisch nach Österreich schauen, denn dort liegen Klimaschutz und Verkehr in einer Hand - bei der grünen Ministerin Leonore Gewessler. Sie hat etliche laufende Neubauprojekte im Straßensektor gestoppt, bis diese den Klima-Check bestanden haben.

Wie könnte ein Kompromiss in dem Streit aussehen?

Als wahrscheinlich gilt, dass beide Seiten aufeinander zugehen müssen und etwa nur eine kleine Liste von Autobahnprojekten priorisieren. Zudem könnte der Streit Teil eines Lösungspakets werden. Denn auch bei zusätzlichen Klimamaßnahmen im Verkehr ist die Koalition uneins. So will Verkehrsminister Wissing die Klimagesetze abschwächen - die ihn bisher regelmäßig zu mehr Klimaschutz im Verkehr zwingen. Im März sind weitere Gespräche geplant, nun unter erschwerten Bedingungen: Nach der Schlappe bei der Berlin-Wahl will die FDP ihr Profil schärfen. Das macht Kompromisse nicht einfacher.

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