Süddeutsche Zeitung

Gillamoos in Abensberg:"Zwei Ministerpräsidenten gleichzeitig, das war noch nie der Fall"

Lesezeit: 3 min

Die große Politik kehrt zurück ins Bierzelt. Zum Gillamoos werden neben Markus Söder und NRW-Regierungschef Wüst auch Kevin Kühnert und Anton Hofreiter erwartet. Dessen Auftritt sorgt bereits für Sticheleien.

Von Johann Osel, Abensberg/München

Die Vorfreude sei riesig, sagt der Kelheimer CSU-Kreisvorsitzende, Landrat Martin Neumeyer, er selbst freue sich "sakrisch" darauf. "Bierzelt, die Menschen und Politik, das gehört in Bayern einfach zusammen" - unkompliziert, "ohne Krawatte" zu entscheiden, in ein Zelt zu gehen und sich die Reden anzuhören.

Es geht um den Gillamoos im niederbayerischen Abensberg, den Jahrmarkt mit mehr als 700-jähriger Tradition, der am Abschlussmontag beim Frühschoppen zur landespolitischen Bühne wird. Und der nach zwei Jahren Corona-Pause jetzt wieder regulär stattfindet. "Für die Mentalität der Bayern ist das schon wichtig", sagt Neumeyer und freut sich als Gastgeber der CSU-Veranstaltung über eine Besonderheit: "Zwei Ministerpräsidenten gleichzeitig, das war noch nie der Fall."

Markus Söder und der nordrhein-westfälische Regierungschef Hendrik Wüst (CDU) werden am kommenden Montag im Hofbräu-Zelt sprechen. "Das wird spannend", glaubt Neumeyer, da die zwei ja auch für die Interessen ihrer Bundesländer aufträten. "Und weil man da die Chance hat, anders zu reden als im ZDF-Sommerinterview."

Als die örtliche CSU die Personalie für dieses Hochamt des politischen Schlagabtauschs vor einigen Wochen verkündete, ging gleich ein Raunen durch die Presse: Ist das ein Hinweis, wen man aus der CDU gern als künftigen Kanzlerkandidaten hätte? Nun gut, am liebsten sähen wohl große Teile der CSU nach wie vor einen gewissen Markus Söder in der Rolle. Aber ohnehin winkt Neumeyer ab: "Noch lange hin, in zwei, drei Jahren kann sich so viel verändern, dass man nichts vorhersagen kann." Was er aber sagen könne: die Schwesterparteifreunde an Rhein und Ruhr seien beschwingt seit der Einladung an Wüst. Es sei nicht so, "dass halb Düsseldorf oder Essen ruft: ,Sensation'" - aber viele in NRW hielten den Auftritt schon "für etwas Besonderes, weil sie so etwas noch nie erlebt haben".

Endlich wieder politischer Gillamoos also. Wobei es sich die CSU vergangenes Jahr, kurz vor der Bundestagswahl, nicht nehmen ließ, eine Schmalspurvariante mit begrenzter Gästezahl und Hygieneregeln abzuhalten. Da warnte Söder noch mal vor einem Linksrutsch und einer "verdünnten Linkssuppe" in Form einer Ampel und ließ Videos davon in die wahlkämpfende Partei schicken. Gebracht hat's nichts, wobei vielleicht doch: Zwischenzeitlich stand die CSU in Umfragen sogar unter 30 Prozent, was gehörig am Selbstbewusstsein nagte - am Ende erreichte sie 31,7 Prozent und gewann alle Wahlkreise außer einem direkt. Kurz vor der Landtagswahl 2018 oder der Bundestagswahl 2017 war der Gillamoos-Montag immer ein bundesweit beachtetes Spektakel.

Funktioniert das Konzept überhaupt richtig ohne anstehende Wahl? "Die Stimmung ist vielleicht ein bisschen eine andere", sagt Neumeyer. Aber am Interesse etwa der Medienanfragen zeige sich das nicht: hoch wie gewohnt. Dass das Schaulaufen für die Landtagswahl 2023 längst begonnen hat, ist jedenfalls kein Insider-Wissen. Geringer ist heuer aber die Dichte überregionaler Gäste, das zeigen die Festprogramme der im Landtag vertretenen Parteien. Neumeyer zählt auf: Hendrik Wüst, bei der SPD der Generalsekretär Kevin Kühnert. Pause. Und Anton Hofreiter, Hauptredner bei den Grünen? Eher ein Grenzfall zwischen Bayern und Berlin, findet er - wobei Hofreiter mit seiner "eigenen Meinung" durchaus Spannung erwarten lasse.

Tatsächlich stellt sich im politischen München mancher die Frage: Gilt Hofreiter als bundespolitischer Gast, wo er doch im Freistaat fest etabliert ist und 2021 als Spitzenkandidat im Duo mit Claudia Roth Dutzende Auftritte quer durchs Land hatte? Warum ist nicht einer der laut Umfragen beliebten grünen Bundesminister geladen? Oder wieso nutzt nicht die neue Parteiführung im Bund den Termin zum Einstand und es reden Ricarda Lang und Omid Nouripour?

Bei den Grünen hört man dazu: Also wenn der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag kein Gast aus der Bundespolitik sei, "wer bitte dann?" Hofreiter sei "die erste Wahl", weil er "oft genug bewiesen hat, dass er Bierzelt sehr gut kann". Nouripour werde zudem wenige Wochen später beim Parteitag in Landshut zu Gast sein. Da soll übrigens das Spitzenpersonal für die Wahl 2023 bestellt werden - die Fraktionschefs Katharina Schulze und Ludwig Hartmann sprechen auch beide in Abensberg.

Bei der SPD wird eben Generalsekretär Kühnert erwartet. "Er schätzt Bayern sehr und redet politisch Klartext", sagt Landeschef Florian von Brunn, der auch selbst sprechen wird. Kühnert indes ist kein Novize auf dem Gillamoos, er war 2019 schon da: damals aber noch als Juso-Chef, der zuvor mit einer Aussage zur Kollektivierung von BMW Aufsehen erregt hatte - was wiederum bei der politischen Konkurrenz in den anderen Zelten harsch erörtert wurde. Zeiten ändern sich und Rollen, jetzt jedenfalls, sagt Arif Taşdelen, General der Bayern-SPD: Kühnert übernehme "die ernsthafte Politik, während sich Volksfestminister Söder und sein Stellvertreter Aiwanger vermutlich übers Feiern und Kuhfladen streiten dürfen".

Ein Seitenhieb auf Hubert Aiwangers Auftritt auf einer Kuhweide im Landkreis Weilheim-Schongau kürzlich. Der Wirtschaftsminister wird am Montag mit Fraktionschef Florian Streibl auftreten. 2021 hatten sich die Freien Wähler als Gillamoos-Ersatz in der Pandemie ein Online-Format ausgedacht. Die FDP schickt Landeschef Martin Hagen als Hauptredner ins Rennen. Die AfD hält ihren Frühschoppen im Schloßgarten neben dem Festplatz ab, unter anderem mit Landeschef Stephan Protschka. Dass für sie kein Zelt mehr frei war, als sie gegründet wurde - damit hadert die AfD. Das ändere sich aber, meint Protschka, wenn seine Partei Regierungsverantwortung nach der Landtagswahl übernehme. Diese hatte er neulich auf Twitter angekündigt - wozu selbst in der AfD einige sagten, die Zeiten seien zu ernst für derart grobe Satire.

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