Süddeutsche Zeitung

Konjunktur:Die goldenen Jahre sind definitiv vorbei

Lesezeit: 3 min

Von Caspar Busse, Harald Freiberger und Alexander Hagelüken

Am Freitag früh kam wieder so eine Nachricht, die zur allgemeinen Beunruhigung beiträgt: Der Automobilkonzern Daimler erwartet nun für 2019 deutlich weniger Gewinn als im Vorjahr; bisher war er von derselben Größenordnung ausgegangen. Die Gründe sind zum Teil hausgemacht: Rückruf von Airbags, drohende Strafen für Dieselautos. Doch auch einen allgemeinen Grund gibt es: die "Wachstumsschwäche der Automobilmärkte".

Solche Meldungen großer deutscher Unternehmen häufen sich derzeit. Der Chemiekonzern BASF teilte gerade mit, dass die Gewinne 2019 nicht um zehn Prozent steigen werden, sondern um 30 Prozent fallen. Für Experten war das besonders alarmierend, weil BASF die Grundprodukte für die Industrie liefert und als Vorbote gilt. Die Deutsche Bank kündigte einen radikalen Umbau an und streicht weltweit 18 000 Jobs. Auch Bayer, VW und Thyssenkrupp sparen, wo es geht, und bauen Tausende Arbeitsplätze ab.

Die Nachrichten verdichten sich zu der Erkenntnis, dass Deutschland bereits mitten drinsteckt in der Konjunkturkrise. Das wirft bange Fragen auf: Wie schlimm wird es noch? Droht vielleicht sogar eine tiefe Rezession mit Massenentlassungen?

Die Antwort fällt gemischt aus: In der Tat ist die Lage schwierig, die goldenen Jahre sind definitiv vorbei. "Wir haben aktuell mindestens eine Delle", sagt Gabriel Felbermayr, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, sieht die deutsche Wirtschaft irgendwo zwischen "markanter Abschwächung und Rezession". Er nehme diesen Abschwung "recht ernst". Andererseits gibt es aber auch Hoffnungszeichen. Die meisten Experten gehen davon aus, dass der Abschwung bei Weitem nicht so rasant ausfallen wird wie vor zehn Jahren in der Finanzkrise. "Ich rechne nicht mit einem drastischen Abfall. So dramatisch wie 2008 wird es nicht", sagt Stefan Schaible, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Roland Berger.

Die vergangenen Monate waren jedoch sehr schwierig. Aufträge blieben aus, Gewinne brachen ein. Ökonomen sprechen von einem "katastrophalen zweiten Quartal", in dem die Wirtschaft wahrscheinlich leicht schrumpfte. Auch im laufenden Quartal könnte das Wachstum negativ ausfallen, damit wäre man laut Definition in der Rezession. Für das Gesamtjahr rechnen die meisten Konjunkturforscher aber mit einem positiven Wachstum. Für das kommende Jahr gehen sie von einem Plus um mehr als ein Prozent aus.

Die Exportstärke Deutschlands ist in der gegenwärtigen Situation ein Problem. Besonders leiden Automobilindustrie und Maschinenbau. Hauptursache ist der von US-Präsident Donald Trump losgetretene Zollstreit. "Handelskonflikte richten massiven Schaden an", sagt Bernhard Mattes, Präsident des Automobilverbandes VDA. Viele Manager sagen, die Ungewissheit sei das Schlimmste. Wer nicht weiß, wohin die Reise geht, investiert nicht.

Das größte Risiko ist deshalb, dass sich die Handelskonflikte weiter verschärfen. "Nach dem Burgfrieden mit China wettert Trump nun gegen Deutschland und Frankreich", sagt Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Gefährlich werde es für die Konjunktur, wenn der Streit um Strafzölle eskaliert. Hinzu kommen die unsichere Lage im hoch verschuldeten Italien und die Gefahr eines harten Brexit. Jedes Risiko für sich kann Zehntelpunkte beim Wachstum kosten und den Abschwung verschärfen.

"Wir rechnen nicht mit Massenentlassungen breit über die Industrie"

Auf der anderen Seite die positiven Dinge: "Die deutsche Wirtschaft ist von der Struktur her sehr solide", sagt Fratzscher. Die Unternehmen seien sehr wettbewerbsfähig, der Arbeitsmarkt so gut wie seit Jahrzehnten nicht. Im Mittelstand werden weiter Fachkräfte gesucht. "Wir rechnen nicht mit Massenentlassungen breit über die Industrie", sagt Felbermayr.

Was kann die Politik tun, um die Lage zu entschärfen? Fratzscher findet es am wichtigsten, eine gute Antwort auf Trump zu finden, die EU brauche eine gemeinsame Haltung im Handelsstreit. Die Bundesregierung sollte ein Investitionsprogramm auflegen, "nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist". Felbermayr plädiert für mehr Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und Bildung, dazu Steuersenkungen für Firmen und Normalverdiener. Konjunkturpakete lehnt er ab: "Wenn der Schock vor allem aus der Handelspolitik kommt, ist das schwer zu kontern, der Staat kann ja schlecht Autos kaufen."

Und dann gibt es noch einen wichtigen Punkt: die Psychologie. Wenn sich Verbraucher und Unternehmer zu sehr in die Krise hineinsteigern, steigt die Gefahr, dass sie dadurch verschärft wird. Natürlich könne alles kippen, wenn die Konjunktur noch stärker abstürze, aber er rechne nicht damit, sagt Felbermayr: "Wir sollten keine Ängste schüren."

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SZ vom 13.07.2019
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