Süddeutsche Zeitung

Boykott:Adidas, Nike und H&M bekommen Chinas Wut zu spüren

Lesezeit: 4 min

Bekannte westliche Marken sind in China Zielscheiben staatlich gesteuerter Boykott-Aktionen geworden. Das könnte sie empfindlich treffen.

Von Lea Deuber und Uwe Ritzer, Peking/Nürnberg

Eine junge Frau steht inmitten eines chinesischen Einkaufszentrums und hält ein Protestschild in den Händen. Sie will ihre Wut ausdrücken: Boykott, jetzt! Was wie ein außergewöhnlicher Akt des Widerstands im stark kontrollierten China wirkt, ist politisch sogar von höchster Stelle gewollt. Am Mittwoch haben die Jugendorganisation der Kommunistischen Partei und die chinesische Armee die Boykott-Kampagne selbst angestoßen, die sich mit Unterstützung der Staatsmedien gegen internationale Bekleidungshersteller richtet.

Erste Zielscheibe war die schwedische Kleidungskette H&M, nachdem Internetnutzer eine undatierte Ankündigung des Unternehmens teilten, in der dieses erklärt hatte, keine Baumwolle mehr aus Xinjiang zu beziehen, um mögliche Zwangsarbeit nicht zu unterstützen. In der Folge traf auch andere westliche Marken der Zorn, allen voran die US-Sportartikelmarken Nike und New Balance, sowie die deutschen Hersteller Adidas und Puma.

Man zeige sich "zutiefst besorgt über die Berichte von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Medien, die unter anderem Vorwürfe der Zwangsarbeit und der Diskriminierung von ethno-religiösen Minderheiten", beinhalteten, hieß es in der Erklärung von H&M. Der Jugendverband der KP reagierte mit einer Drohung. "In China Geld verdienen wollen, während man falsche Gerüchte streut und Baumwolle aus Xinjiang boykottiert? Wunschdenken!", schrieb die Organisation in einem Blogbeitrag auf dem sozialen Netzwerk Weibo. Die Volksbefreiungsarmee nannte H&M "ignorant" und "arrogant".

In der Region Xinjiang, wo laut der Vereinten Nationen mehr als eine Million Menschen in Lagern interniert wurden, werden etwa 85 Prozent der chinesischen Baumwolle angebaut. Mehr als ein Fünftel der weltweiten Produktion. Regierungsdokumente legten 2020 nahe, dass ein Großteil der Baumwolle unter Zwang von muslimischen Arbeitern gepflückt werden, vor allem von Uiguren. Zahlreiche Unternehmen, sowie die Initiative Better Cotton, zu deren Gründungsmitgliedern H&M und Adidas gehören, hatten reagiert und angekündigt, ihre Lieferketten zu überprüfen und auf Baumwolle aus der Region zu verzichten.

Die staatlich orchestrierte Eskalation, die Peking nun mit einiger Verspätung lostrat, deutet daraufhin, dass das Regime den wachsenden internationalen Druck in Sachen Menschenrechte spüren dürfte. Das Timing dürfte kein Zufall sein. Am Montag hatten die Außenminister der 27 EU-Mitgliedstaaten abgestimmt mit Großbritannien, den USA und Kanada Sanktionen gegen vier Behörden und Parteivertreter, sowie eine Einrichtung in Xinjiang verhängt. Sie alle werden für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht.

Peking hatte noch am selben Tag ungewöhnlich hart reagiert und neben dem bekannten Xinjiang-Forscher Adrian Zenz, acht Abgeordnete, ein weiterer Wissenschaftler und vier Institutionen aus EU-Länder sanktioniert. Innerhalb Europas waren die Maßnahmen als "nicht nachvollziehbar" und "disproportional" beschrieben wurden. Mehrere europäische Länder bestellten die Botschafter Chinas ein.

Einher damit begann in China der Protest. Nach der Kritik der KP-Jugendorganisation schlossen sich tausende chinesische Nutzer im Netz an und attackierten H&M online. Einige Menschen protestierten auch in Läden und veröffentlichten Videos davon im Netz. Die bekannten Werbegesichter, die Sängerin Victoria Song und der Schauspieler Huang Xiang, kündigten an, nicht mehr mit H&M zusammenzuarbeiten. Der Schauspieler Wang Yibo distanzierte sich von Nike und erklärte, er werde immer gegen ein Verhalten sein, dass China Schande bringe.

Chinesische Kleidungsfirmen wie Anta Sports Products und Hongxing Erke Sports Products kündigten wiederum an, ausdrücklich weiter Baumwolle aus der Region beziehen zu wollen. Der Aktienwert der Unternehmen stieg daraufhin rasant. "Wir können nicht akzeptieren, dass irgendwelche Kräfte die reine und makellose Baumwolle aus Xinjiang beschmutzen oder beschämen", sagte ein Sprecher des Handelsministeriums am Donnerstag. "Chinesische Konsumenten reagierten auf die so genannte Geschäftsentscheidung getroffen durch einige Firmen auf der Grundlage falscher Informationen. Wir hoffen, dass entsprechende Firmen die Gesetze des Marktes respektieren, falsche Praxen korrigieren und vermeiden, kommerzielle Probleme zu politisieren."

Peking versucht länger, Unternehmen zum Schweigen zu bringen

Folgenreich dürfte auch die Entscheidung der großen Onlinehändler im Land sein, sämtliche Waren der Hersteller von ihren Plattformen zu nehmen. Denn vor allem für die Sportartikelindustrie ist China der dynamischste Wachstumsmarkt. Eine Adidas-Sprecherin wollte am Donnerstag die Boykottaufrufe in China nicht kommentieren, Puma reagierte auf eine Anfrage nicht. Adidas erwartet 2021 ein Wachstum in China zwischen 20 und 30 Prozent; 2020 erwirtschaftete der Konzern ein Drittel seines Umsatzes, insgesamt 6,5 Milliarden Euro, in Asien und dabei hauptsächlich in China. Auch für Nike, Puma und andere Sportartikelhersteller ist das Land von enormer Bedeutung. In absehbarer Zeit wird China Nordamerika als größter Sportartikelmarkt ablösen. Zudem wird ein Großteil der weltweit verkauften Sportschuhe und -textilien in China gefertigt.

Wobei der europäische Marktführer Adidas gar kein Garn aus der Region Xinjiang bezieht und dort nie produzieren ließ. Das Unternehmen aus dem fränkischen Herzogenaurach hat sich mehrfach in der Vergangenheit gegen Zwangsarbeit und Gefangenenarbeit positioniert und pocht bei Zulieferern auf entsprechende Garantien.

H&M, Nike, Adidas und Co. sind nicht die ersten Firmen, die Pekings Wut zu spüren bekommen. Die Führung dort nutzt seit einigen Jahren seine Marktmacht, um Unternehmen und ganze Staaten zum Schweigen zu bringen. Als Australien 2020 eine unabhängige Untersuchung zum Ursprung des Coronavirus forderte, überzog Peking das Land mit Wirtschaftssanktionen. Auch die Nachbarn Japan und Südkorea sind immer wieder von heftigen Boykotten betroffen.

Mehrfach hat China seine Verteidigungsstrategie im Umgang mit den Vorwürfen in Xinjiang geändert. Während es zunächst die Existenz jeglicher Lager abstritt, erklärte es später, es handele sich um Ausbildungszentren, wo plötzlich alle "Auszubildende" einen Abschluss gemacht hätten. Seit kurzem verweisen Staatsmedien auf Menschenrechtsverstöße und historisches Unrecht in anderen Ländern. Diese Woche veröffentlichte Chinas Staatsmedium Global Times eine Übersicht, indem es als Reaktion auf die EU-Sanktionen unter der Überschrift "Übeltaten der EU bei den Menschenrechten" unter anderem den Holocaust, Gewalt gegen Frauen und mangelnde Corona-Schutzmaßnahmen in Flüchtlingsheimen aufzählte.

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