Markus Söder auf dem Nockherberg

„Lassen Sie mich durch! Ich bin Söder“

Einst musste Markus Söder bangen: Wird er in der Fastenpredigt am Nockherberg überhaupt erwähnt? Die Sorge muss er als Ministerpräsident eigentlich nicht mehr haben - wäre da nicht Hubert Aiwanger. Söders Nockherberg-Karriere in Sprüchen.

28. Februar 2024 - 13 Min. Lesezeit

Bayern ist reich an Kultur und Tradition, gerne in Kombination mit Bier, mass-voll genossen. Es wird nicht nur über „die da oben“ gegrantelt, die Herrschaften bekommen direkt eingeschenkt: mit besonderem Genuss beim Starkbieranstich samt Politiker-Derblecken auf dem Nockherberg.

Wer gerade an der Reihe ist im Fegefeuer der Fastenpredigt, muss gute Miene zum bösen Spiel machen – besonders häufig Ministerpräsident Markus Söder. Das war früher nicht so selbstverständlich.

Ein Rückblick auf 14 Jahre Söder am Nockherberg in Sprüchen und wie aktuell sie heute noch sind - oder eine klare Fehleinschätzung waren.

2011

Gebrauchtwagenhändler auf Ritalin

Ministerpräsident Horst Seehofer und Umweltminister Markus Söder bei der Starkbierprobe auf dem Nockherberg, 2011
Ministerpräsident Horst Seehofer und Umweltminister Markus Söder bei der Starkbierprobe auf dem Nockherberg, 2011

2011 liest erstmals eine Frau die Leviten, Luise Kinseher als „Mama Bavaria“, die ihre missratene Kinderschar wirklich nicht durch eine rosarote Brille betrachtet. Schon gar nicht Markus Söder, 2011 als Umweltminister mit Ambitionen noch Satellit statt bayerischer Sonnenkönig: Im Zentrum dreht sich alles um Horst Seehofer.

An seiner Glaubwürdigkeit hat Markus Söder inzwischen hart gearbeitet, etwa mit einer Imagepolitur als härtester Corona-Krisenmanager zwischen Alpen und Nordsee. 2011 traut ihm Kabarettistin Kinseher höchstens ein Verkaufssegment beim fränkischen Autohändler zu:

Wenn du eine wegweisende Rede hältst, also jetzt mal rein hypothetisch, dann meint jeder, du willst ihm einen Gebrauchtwagen ohne Getriebe andrehen.

2012

Prinz Charles im Krötentümpel

Markus Söder, fokussiert aufs Geld: Diese Zwei-Euromünzen, die er fotofreundlich 2011 rieseln lässt, sind übrigens mit einem der größten Finanzdebakel in der Historie Bayerns bedruckt: Schloss Neuschwanstein.
Markus Söder, fokussiert aufs Geld: Diese Zwei-Euromünzen, die er fotofreundlich 2011 rieseln lässt, sind übrigens mit einem der größten Finanzdebakel in der Historie Bayerns bedruckt: Schloss Neuschwanstein.

Ein Jahr später hatte Markus Söder das Feld Umwelt & Co. hinter sich gelassen, um sich einem härteren Thema zu widmen: Geld. Ein Wandel zum Finanzminister, der den scharfen Augen von Luise Kinseher nicht entgangen war:

„Erst so leger als Umweltminister, dann plötzlich piekfein im perfekten Wallstreet-Look. Das war doch keine Metamorphose! Nein! Das war eine Spontanmutation! Typisch Markus, der hat sich gedacht, warum Metamorphose?

Warum soll ich wie die Kaulquappe wochenlang im Tümpel dümpeln. Tschakka! Ich mach euch gleich die Kröte! Und die sammelt jetzt die Kröten!“

Damals konnte der Herrscher der Kröten nur sein Ziel fest im Blick behalten – ähnlich wie ein anderer, allerdings offizieller Thronanwärter:

„Markus Söder fühlt sich im Moment als der zukünftig Zukünftigste. Aber das bildet sich der Prinz Charles auch immer noch ein. Markus Söder, der Prinz Charles der CSU, bloß mit schönere Ohrwaschel."

2013

Anrüchiger Armleuchter

Dass er sich als Finanzminister nicht am Ende der bayerischen Karriereleiter wähnt, war Fastenrednerin „Mama Bavaria“ klar. Nur Söders Aufstiegschancen unterschätzt sie auch im Jahr 2013 - vielleicht aber nicht die vielschichtigen Emotionen beim Politiker-Paar Horst Seehofer und Markus Söder:

Über ihn hat Horst Seehofer bereits alles gesagt. Zeit wird's, dass endlich einmal was nach ihm benannt wird. Seehofer ist auch dafür, er hat schon eine Kläranlage im Auge.

Wenn es damit nichts wird, dann darf es auch der Airport sein. Oder doch eine Nummer kleiner, dafür von Ikea?

(...) halt wenigstens den Nürnberger Flughafen: Söder Airport. Söder - das Tor zu Europa! Stattdessen benennt Ikea nach Dir einen Lampenschirm! Da ist Söder ein mäßig effizienter Armleuchter von mittlerer Lebensdauer.

2014

Nicht der Rede wert

Dies ist kein gutes Jahr für Markus Söder auf dem Nockherberg: Luise Kinseher schießt sich ganz auf Horst Seehofer ein, für Markus Söder bleibt da kaum Raum. Kein Wunder: 

Wir haben in Bayern alles ausprobiert, die Monarchie, die Anarchie, sogar die Demokratie - und halt jetzt die Horstokratie.

2015

Schlaue Luftnummer

Angemessene Fortbewegung: Markus Söder probt 2015 mit einer venezianischen Gondel am Schloss Nymphenburg den großen Auftritt.
Angemessene Fortbewegung: Markus Söder probt 2015 mit einer venezianischen Gondel am Schloss Nymphenburg den großen Auftritt.

Im fernen Berlin taugt der stagnierende Bau des Flughafens BER nicht mal mehr zur Lachnummer. Das wäre Finanz- und Heimatminister Markus Söder, auch damals schon PR-Meister in eigener Sache, nicht passiert. Der könne sogar fragwürdige Projekte gut rüberbringen, meint Luise Kinseher - nur bei der Bescheidenheit hapere es:

Am Nürnberger Flughafen, da landet keiner, da startet keiner! Aber der Markus Söder verkauft das als Fortschritt - beim Lärmschutz! 

In den ländlichen Regionen schrumpfen die Einwohnerzahlen! Und der Söder verkauft das als erfolgreiche Renaturierungsmaßnahme. [...] Viele sagen ja, Dir steigt der Ruhm schon in den Kopf! Platz genug wäre da!

2016

Intriganter Wolpertinger

Die Zeiten ändern sich auf dem Nockherberg: Die meisten giftigen Pfeile schießt „Mama Bavaria“ in Richtung Söder, bestimmt ein bitter-süßer Schmerz für den Finanzminister. Doch es bleibt Luft nach oben: Die anderen Politiker nimmt Kinseher härter ran. Aber Söder arbeitet daran:

Markus, wie oft habe ich dir schon gesagt: Es heißt integrieren, nicht intrigieren!

Immerhin erkennt „Mama Bavaria“ erste gesamtbayerische Attribute:

Integration kann gelingen! Markus Söder: Ein gesamtbayerischer Wolpertinger: halb Schäufele, halb Weißwurst!

Und auch andere Ambitionen werden immer augenfälliger:

Der kann es nicht erwarten! Da muss der Seehofer nur einen kleinen Schluckauf haben - schon ruft es von hinten: Lassen Sie mich durch! Ich bin Söder!‘“

2017

Ich bin kein Berliner

Nur selten stehlen Söder andere Schwergewichte die Show, wie hier auf dem Berchinger Rossmarkt 2018.
Nur selten stehlen Söder andere Schwergewichte die Show, wie hier auf dem Berchinger Rossmarkt 2018.

Manche Dinge bleiben im Lauf der Jahre doch gleich: etwa die Frage, ob Markus Söder nach Berlin geht oder nicht. Da fühlt sogar „Mama Bavaria“ mit:

Eigentlich müsste der Markus Söder derjenige in der CSU sein, der sich am ehesten in die Gefühlslage eines Flüchtlings kurz vor der Abschiebung hineinversetzen kann.

Dabei ist klar, dass ach!, auch noch eine Berliner Seele in Söders Brust keinen Platz mehr hat. Der Noch-Finanzminister fühlt sich laut Luise Kinseher nicht nur als Nürnberger, als Franke, sondern sogar als Münchner:

Bei so vielen Identitäten wundert mich, dass du überhaupt noch nach Bayern einreisen darfst!

Wer aber erst seit der Coronakrise glaubt, Markus Söder plötzlich überall zu sehen - das täuscht. Er war schon vorher omnipräsent:

Er sagt, er geht eh nur in einen Bruchteil der Talkshows, in die er eingeladen ist. Gut - 9/10 sind auch ein Bruch.

2018

Ministerpräsidenten-Mutante

Der mutierte Ministerpräsident? Nein, Stephan Zinner, Markus-Söder-Darsteller im Singspiel 2018
Der mutierte Ministerpräsident? Nein, Stephan Zinner, Markus-Söder-Darsteller im Singspiel 2018

Es ist das Jahr der Abschiede: Von Luise „Mama Bavaria“ Kinseher, die ihre achte und letzte Fastenpredigt hält und beim gar nicht leisen Abgang Horst Seehofer gleich mitnimmt. Das Ende des Machtkampfs um Bayerns Thron hat nach Kinsehers Meinung immerhin kaum Folgen für den Tourismus:

Friede in der CSU: das klingt für mich noch viel unheimlicher wie das Schweigen der Lämmer! (...) Diejenigen, die sagen, jetzt können wir endlich wieder nach Bayern in den Urlaub fahren, weil der Seehofer weg ist, halten sich exakt die Waage mit denen, die nicht mehr kommen, weil jetzt der Söder da ist.

Auch 2018 ist die Söder'sche Mutation Thema, und Kinseher liegt mit der Prognose abermals daneben – „drollig“ wird auch in Zukunft höchstens dann fallen, wenn Söder wieder mal eine Star-Trek-Tasse vor sich platziert:

Unser Markus! Wie er langsam zum Ministerpräsidenten mutiert - die angegrauten Schläfen, dieses mild durchwehte Lächeln, der gütige Blick, leichtes Übergewicht: es wird nicht mehr lange dauern, dann werden wir ihn drollig finden!

Immerhin wird 2018 Söders Wunsch wahr und er vom Satelliten zum Sonnenkönig:

Wir Bayern haben so viele Probleme, dass Du glauben könntest, die CSU war die letzten 60 Jahre in der Opposition! Dabei war bloß der Markus in der Opposition.

2019

Kässpätzle ohne Bodenhaftung

Mit Maxi Schafroth als Fastenprediger hat auch Markus Söder Premiere - er darf sich erstmals als Ministerpräsident am Nockherberg den Kopf waschen lassen. Doch Macht lässt selbst Franken etwas abheben. Damals hatte Söder noch Zeit, von einem Raumfahrtprogramm „Bavaria One“ zu träumen und diese „Mission Zukunft“ mit seinem Konterfei zu bewerben (nein, dies war nicht Teil des kabarettistischen Programms). Aber Prediger Schafroth erdet wieder:

Da hast du den kleinen Mann erreicht. Von Oberstdorf bis Buchloe fragen wir uns schon ewig: Wie verhalten sich Kässpätzle in der Schwerelosigkeit?

2020

Zwangspause, zur Sicherheit

In der Coronakrise bleibt nicht nur die Frage ungeklärt, wie sich bayerische Kalorienbomben im All verhalten - sondern auch, ob die Kritik an Söder im zweiten Ministerpräsidentenjahr schärfer ausgefallen wäre: Das Derblecken auf dem Nockherberg wird abgesagt.

Dabei hätte ein Astronauten-Luftikus, der als Krisenmanager eine PR-Punktlandung hinlegt, durchaus Stoff geboten.

2021

Don Juan der guten Nachrichten

Immerhin auf die Sticheleien müssen Publikum und Politiker 2021 nicht verzichten, nur das Singspiel fällt pandemiebedingt aus. Und die Adressaten der bayerischen Politik sind per Video zugeschaltet, geben aber trotzdem ihr Bestes, schenkelklopfend rüberzukommen.

Das fällt Markus Söder, den Maxi Schafroth zum „Don Juan de Corona“ kürt, in diesem Jahr leicht – zu scharf sind die Spitzen nicht. Auf den Boden der Tatsachen dürften sie Söder nicht geholt haben:

Für den Markus macht das keinen Unterschied, welcher Allmächtige den Verzicht verordnet. Markus, da müssen wir erst noch hinkommen, dass es den Leuten egal ist, ob du was sagst, oder ob's in der Heiligen Schrift steht.

Warum Söder selbst beim Derblecken so gut dasteht, erklärt der Fastenprediger gleich selbst:

„Auch wichtig, gell Markus: Gute Nachrichten, egal aus welchem Resort, immer selber verkünden! Natürlich hat man für jedes Ressort einen Minister. Weil's Vorschrift ist. Aber es ist auch Vorschrift, dass man im Auto ein Ersatzrad hat und deshalb fährt man ja nicht mit dem Ersatzrad rum! Merkt euch! Das Ersatzrad nur bei Pannen!

2022

Stille statt Satire

Wegen des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine verzichtet die Paulaner-Brauerei auf das Spektakel mit Singspiel und Starkbierrede. 

Also muss auch Ministerpräsident Söder ein Jahr warten, um am Nockherberg wieder im Mittelpunkt zu stehen. „Die Absage des Nockherbergs tut weh“, twittert er, jedoch auch: „Es ist aber die richtige Entscheidung in ernsten Zeiten.“ Er hoffe auf 2023, denn „der Nockherberg ist ganz großes bayerisches Schauspiel“.

Und eine große Bühne noch dazu.

2023

Söder, das überforderte Kühlaggregat

Putin wütet weiter in der Ukraine, und anderswo geht das Leben weiter - mit einem großen Trotzdem. Erstmals nach drei Jahren werden Politiker wieder von Angesicht zu Angesicht derbleckt. Doch den größten Applaus gibt es beim 70. Starkbieranstich auf dem Nockherberg für ernste Worte.

Denn Krise heißt Krieg, aber auch eine Gesellschaft in Deutschland, die sich spalten lässt. Bevor er aber für Meinungsfreiheit, Toleranz und Miteinander eintritt, verteilt Fastenprediger Maximilian Schafroth ein paar Watschn, über die er selbst sich offenbar am meisten freut.

Markus Söders Freude ist verhaltener, denn nicht der Ministerpräsident steht im Mittelpunkt der Sticheleien: Wieder einmal gelingt es Hubert Aiwanger, das Scheinwerferlicht auf sich zu ziehen. 

Der Hubert ist der außer Kontrolle geratene Brennstab, der Markus das überforderte Kühlaggregat. Markus, kleiner Tipp, hör auf zu kühlen, dann kannst du dem Hubert bei der Kernschmelze zuschauen.

Wenn Markus Söder nicht gerade mit unkontrollierbaren Reaktionsketten in Bayern zu tun hat, wendet er den Blick vom Gegner in den eigenen Reihen nach Berlin - und wird auch da ausgebremst:

Der Markus stand schon vorn am Bug, mit ausgebreiteten Armen wie die Kate Winslet: 'Welt ich komme!' Wir wissen alle, wie der Film ausgeht. Der Vergleich hinkt. Der Markus hat eher den Kopf aus der bayerischen Regionalbahn rausgestreckt und dann kam eine Ampel.

2024

Chucky und der Puppenspieler

Nach diesem Jahr mit Aiwangers Auftritt bei der Erdinger Heizungsdemo, die die Gemüter tatsächlich erhitzte, nach dem rechten Flugblatt-Skandal im Schulranzen und so engagierten Teilnahmen an Protesten, dass man dachte, er sei Stellvertreter im Bauernverband und nicht in Bayern, nach so einem Jahr war klar: 

Markus Söder mag auf dem Nockherberg in der Mitte platziert sein, doch im Mittelpunkt steht er nicht.

"Wenn das CSU-Kabinett die Puppenkiste ist, dann ist der Hubert die Puppe ohne Fäden. Vor der alle Angst haben. Hubert Chucky Aiwanger. Oder Markus Söders persönlicher Horrorfilm."

Maximilian Schafroth hält eine scharfe Bußpredigt, aber mit klarem Ziel - die pointierten Watschn sollen zur Besinnung bringen: statt weiter zu spalten, besser miteinander sprechen, und das respektvoll. Zuhören wäre auch nicht schlecht.

Offenbar fehle es aber am Korrektiv: Hätte sein Vater im Bierzelt so etwas von sich gegeben wie Söder am Aschermittwoch, hätte Schafroth senior in der Kälberbox genächtigt. Überhaupt, dieser fehlende Mut, Grenzen zu setzen, auch wenn es weh tut:

"Wenn die Staatskanzlei ein Wirtshaus wäre, was tut man dann, bevor einer im Rausch die Stimmung zum Kippen bringt? Man spielt einen Rausschmeißer. Den Rausschmeißer spielen hat der Markus sich aber nicht getraut."

Obgleich sich Söder sonst legendär wendig gibt, beim Koalitionspartner Aiwanger bleibt der Ministerpräsident streng linear:

"Immer alle Möglichkeiten offenhalten, Markus. Außer in Koalitionsfragen. Da lebt der Markus christliche Werte vor, die politische Monogamie."

Da mussten Markus Söder die Lacher gar nicht im Hals steckenbleiben, schließlich war ihm offenbar nicht mal zum Lächeln zumute.

Und noch einem war es eine Spur zu viel Aiwanger: Uli Hoeneß fand die Fastenpredigt zwar großartig, "nur eines nicht ganz gelungen: Aiwanger hat er viel zu wichtig genommen. Der ist nicht so wichtig."

Damit dürfte Markus Söder übereinstimmen, nur aus anderen Gründen.

Text & Storytelling: Katja Schnitzler, Redaktion: Lisa Sonnabend