Süddeutsche Zeitung

Bundestagswahl:Christian Lindner sieht Rot

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Seit Wochen legt sich der FDP-Chef auf einen Wahlsieg von Armin Laschet und ein Bündnis mit der Union fest. Der Höhenflug des SPD-Kandidaten Olaf Scholz und die Diskussion über eine mögliche Ampelkoalition stellen ihn jedoch zunehmend vor Probleme.

Von Daniel Brössler, Berlin

Einige Wochen ist es her, der Wahlkampf war noch jung, da ist für Christian Lindner die entscheidende Frage der Bundestagswahl eigentlich schon geklärt gewesen. "Ich glaube, dass in Wahrheit die Frage, Schwarz oder Grün im Kanzleramt, entschieden ist zugunsten der CDU/CSU", erläuterte der FDP-Chef zu Beginn seiner Wahlkampftour den zuhörenden Touristen im Ostseebad Zingst. "Ob Sie das gut finden, ob ich das gut finde, will ich gar nicht jetzt diskutieren. Ich würde die CDU nicht wählen", heimste Lindner ein paar Lacher ein. So sei das nun mal, fuhr er fort. Es laufe auf ein schwarz geführtes Kanzleramt hinaus.

So einfach stellte Lindner das nicht nur in Zingst dar, sondern überall, wo er hinkam. Es gehe nur noch darum, ob Laschet mit den Grünen alleine regieren könne oder die FDP brauchen werde für ein Jamaika-Bündnis. "Wenn man Armin Laschet mit den Grünen alleine regieren lässt, dann sage ich Ihnen: Der große Integrator Armin Laschet wird das komplette Programm der Grünen in ein Regierungsprogramm integrieren", warnte Lindner. Es war eine Botschaft, mit der Lindner vor allem Spekulationen über eine Ampel mit SPD und Grünen bremsen wollte. Die FDP als Mehrheitsbeschafferin einer grünen Kanzlerin Annalena Baerbock war eine Vorstellung, die Lindner gründlich auszuräumen gedachte.

Das Problem mit dieser Botschaft zeigt seit geraumer Zeit ein Blick auf die Umfragen: Zwar ist eine Kanzlerschaft der Grünen Baerbock tatsächlich schon länger kaum noch ein wahrscheinliches Szenario, dafür aber verstetigt sich der Höhenflug von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Mit jeweils 22 Prozent lagen Union und SPD am Freitag im ZDF-Politbarometer gleichauf. In einer Forsa-Umfrage hatte Scholz zuvor sogar erstmals die Nase vorn. So fragt man sich mittlerweile, wie lange Lindner auf seine immer wieder erneuerte "Prognose" bauen kann, "dass CDU und CSU die stärkste Fraktion werden und den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten". Zumal es einen solchen Auftrag im deutschen System formell gar nicht gibt.

Charme-Offensive des SPD-Kandidaten

Zu tun hat es Lindner nicht nur mit der veränderten Umfragelage, sondern auch mit einer Charme-Offensive des SPD-Kandidaten. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung hat Scholz versucht, einen Nerv bei Lindner zu treffen. Zwar kritisierte er erwartungsgemäß als "verantwortungslos", dass die FDP sich 2017 einem Jamaika-Bündnis verweigert habe. Zur Wahrheit gehöre aber auch, "dass sich Union und Grüne zuvor nicht sehr viel Mühe gegeben hatten, ein echtes Dreierbündnis zustande zu bringen". Sie hätten "letztlich untereinander verhandelt und der FDP nur eine Nebenrolle zugedacht". Damit hat Scholz eins zu eins die Begründung der FDP für das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen übernommen.

So etwas hätte Lindner vor einigen Jahren vermutlich gern gehört. Zum jetzigen Zeitpunkt würde er darauf wohl lieber verzichten. Im Unterschied zu Baerbock provoziert Olaf Scholz als möglicher Kanzler nicht alle liberalen Abwehrreflexe. Die Avancen des Sozialdemokraten konterkarieren gerade deshalb Lindners Versuch, die Ampel als Phantasterei abzutun, sehr viel stärker als irgendwelche Angebote von Seiten der Grünen es könnten. Genau das kann dem FDP-Chef aus einem ganzen Strauß an Gründen nicht recht sein.

Vor allem würde Lindner tatsächlich am liebsten mit Armin Laschet regieren. Ihn kennt und schätzt er als Koalitionspartner in Nordrhein-Westfalen. Das trifft auch die Stimmung bei den allermeisten Liberalen. Nur wenige sehen ausreichende Schnittmengen mit den Sozialdemokraten, die von ihnen mehrheitlich deutlich weiter links verortet werden als Olaf Scholz. Wahltaktisch kommt die Furcht vor der lauter werdenden Ampel-Kampagne der Union hinzu. Wer FDP wähle, müsse "in Kauf nehmen, dass er am Ende mit Saskia Esken und Kevin Kühnert am Kabinettstisch aufwacht", hatte etwa jüngst CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak im Spiegel gewarnt.

"Es geht nicht um Farbenspiele"

Was Laschet angeht, steckt Lindner im Dilemma. Er ringt mit ihm um Stimmen, muss eine zu große Laschet-Schwäche aber fürchten. Schon jetzt rächt sich Lindners Mantra vom Auftrag der Regierungsbildung, der an Laschet gehen werde. Was, wenn die SPD unter Scholz tatsächlich stärkste Kraft würde? Könnte Lindner Ampel-Verhandlungen dann verweigern? Festgelegt hat sich die FDP bisher nicht. "Es geht nicht um Taktik, es geht nicht um Farbenspiele", steht im Wahlprogramm. Interessanterweise ist aus der FDP neuerdings zu hören, den Kanzler müsse ja nicht zwingend die stärkste Partei stellen.

Zu spüren jedenfalls ist eine starke Abwehr gegen die Ampel, was auch Gründe hat, die tief in der Parteigeschichte begründet liegen. Als sich die FDP 1969 für eine sozial-liberale Koalition entschied, verprellte das viele Wähler und Mitglieder, die zu dem Zeitpunkt alles andere als sozialliberal gesinnt waren. Das wiederholte sich 1982 beim Wechsel zur Union und Helmut Kohl. Zwar regiert die FDP in Rheinland-Pfalz in einer Ampel. Auf Bundesebene würde eine Mitte-links-Koalition aber einiges an Überzeugungsarbeit erfordern.

Zumindest Vize-Parteichef Wolfang Kubicki hält das nicht von vornherein für abwegig. "Es ist keine Frage, dass die Person Olaf Scholz keine unüberbrückbare Koalitionshürde für die Freien Demokraten wäre", sagte er der SZ. Es sei "schön, wenn Herr Scholz jetzt immerhin kleine Schritte in eine vernünftigere und pragmatischere Richtung gehen will - anders, als seine Genossen es bisher wollten". Allerdings sei ein Ampel-Bündnis "dennoch extrem unwahrscheinlich, weil vor allem in der Steuerpolitik die Vorstellungen sehr weit auseinandergehen". Entscheidend sei, "was tatsächlich in einem Koalitionsvertrag steht".

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