Süddeutsche Zeitung

Sondierungsgespräche:Jamaika-Sondierung: Viel Streit und ein kleines Bekenntnis

Lesezeit: 3 min

Von Constanze von Bullion, Cerstin Gammelin und Mike Szymanski, Berlin

Als die Verhandler für ein Jamaika-Bündnis am Donnerstagabend nach bald elf Stunden auseinandergehen, haben sie keine Papiere an die Journalisten zu verteilen. Nach dem ersten Treffen hatte es noch ein DIN-A4-Blatt mit ein paar Spiegelstrichpunkten zur Finanz- und Haushaltspolitik gegeben. CDU, CSU, FDP und Grüne waren zufrieden, überhaupt so weit gekommen zu sein, sich auf Überschriften zu verständigen. Aber schon am nächsten Tag war der Streit über die Punkte so heftig, dass Horst Seehofer an diesem Donnerstag die Frage stellt, ob es denn überhaupt noch Sinn mache, Papiere zu schreiben. Am Nachmittag gibt es dann noch eines, verfasst zur Europapolitik. Am Abend, nachdem über die Flüchtlings- sowie die Klima- und Energiepolitik gesprochen wurde, gibt es nur ein paar Worte. Kurz vor dem Ziel sei man gescheitert, sagt CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer zu den Journalisten. Kein Papier, keine Einigung. Schon in der ersten Woche der Sondierungen zu Fachthemen sind die Jamaika-Parteien ins Stocken geraten.

Das Papier zur Europapolitik war noch zwei Seiten lang, aber längst nicht so konkret wie das zur Haushaltspolitik. Bis in den Nachmittag hatten sich die Verhandler damit gequält. Eigentlich habe man um elf Uhr damit fertig sein wollen, sagt Scheuer. EU-Beitritt der Türkei? Kein Ergebnis. Strittig ist, ob zu den gemeinsamen Positionen auch der Abbruch der Beitritts-Gespräche zur EU gehören soll. CDU-Chefin Angela Merkel sieht das kritisch, die Grünen lehnen es ab. FDP-Vize Wolfgang Kubicki erweckte am Morgen noch den Eindruck, alle seien sich einig: "Wir haben uns darauf verständigt, dass die Überlegung, wir brechen die Verhandlung ab, Deutschland isolieren würde, weil wir keine Mehrheit in Europa bekommen." Aber von einer Verständigung kann am Nachmittag keine Rede sein.

Europapolitik

Der Euro? Vermintes Gelände. Eurozonen-Budget? Antwort offen. Bankenunion? Ebenso. So reiht sich Dissens an Dissens. Alle wollen ein geeintes, starkes Europa, aber für wirklich viel mehr reicht es bisher noch nicht. Die FDP will Regeln einführen, die verhindern, dass Euro-Staaten notfalls einander retten. Parteichef Christian Lindner will durchsetzen, dass die deutschen Stabilitätsregeln überall eingehalten werden. Die Union ist nicht ganz so strikt. Sie will einen Europäischen Währungsfonds aufbauen, der in Krisen hilft, den Euro zu stabilisieren. Die Grünen sympathisieren mit den Plänen zur Neugründung Europas, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verfolgt.

Klimapolitik

Es habe teilweise heftigen Streit gegeben, heißt es aus Teilnehmerkreisen. Vor allem in der Klima- und Energiepolitik. Die Grünen forderten demnach verbindliche Maßnahmen zum Klimaschutz, die FDP hingegen habe darauf bestanden, eine neue Energiepolitik an bezahlbare Preise zu koppeln und daran, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gestärkt wird. Erreicht wurde ein gemeinsames Bekenntnis zu den Klimazielen 2020, 2030 und 2050. Aber die Meinungen gingen schon auseinander, ob man die Ziele erreichen wolle oder müsse. Die Verhältnismäßigkeit müsse gewahrt bleiben, notfalls seien die Ziele später oder über globale Zusammenarbeit zu erreichen. "Klima wird hart", hatte ein grüner Verhandler früh am Tag gesagt. Es wurde härter.

Die Grünen haben angekündigt, keinem Regierungsbündnis beizutreten, bei dem nicht konkrete Maßnahmen vereinbart werden, wie Deutschland die Klimaziele erreichen soll. Bis 2020 sollen klimaschädliche Treibhausgase demnach um 40 Prozent unter den Wert von 1990 gedrückt werden. In der ZDF-Sendung "Klartext" hatte Merkel im Wahlkampf zugesagt, an diesem Ziel festzuhalten - "das verspreche ich Ihnen". Nach den Gesprächen am Donnerstag meint Michael Kellner, der Bundesgeschäftsführer der Grünen, er habe heute einen "klimapolitischen Zickzackkurs erlebt." Es sei nicht gelungen, sich auf ein Papier zu einigen.

Steuern

Von der FDP kamen erhebliche Bedenken. Generalsekretärin Nicola Beer sagte, ihre Partei wolle "eine Neuausrichtung" der Politik, um die Ziele zu erreichen. Von Steuerungsmaßnahmen für die Industrie halten die Liberalen nichts. Dazu passt, dass sie die gesetzlich vereinbarte Förderung der erneuerbaren Energien abschaffen wollen. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter stellte kürzlich die Frage, wie Union und FDP ihre Bekenntnisse in die Tat umsetzen wollten. Nach Meinung der Grünen sind die Klimaziele nur erreichbar, wenn die 20 dreckigsten Kohlekraftwerke bis 2020 abgeschaltet werden. Zudem wollen sie, dass es ab 2030 keine Neuzulassung für Autos mit fossilem Verbrennungsmotor mehr gibt.

Die FDP sieht in solchen Vorhaben Verbotspolitik. Der Ausstieg aus der Kohle wird schwer mit der Union. "Wenn der Industriestandort Deutschland gefährdet wird, können wir keine Koalition machen", lässt der CDU-Vizevorsitzende und nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet die Verhandler wissen.

Migration

Beim Thema Migration geht am Donnerstag fast nichts. Die Unionsseite macht klar, dass sie kaum kompromissbereit ist. CDU und CSU hatten nach der Bundestagswahl ihren Streit über eine Obergrenze für Flüchtlinge zugunsten eines Richtwertes beigelegt, von dem weder Grüne noch die FDP etwas halten. Immerhin sagt CDU-Generalsekretär Peter Tauber, alle wollten sich übers Wochenende Zeit nehmen und vorstellen, die andere Seite könnte auch Recht haben.

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Quelle:
SZ vom 27.10.2017
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