Süddeutsche Zeitung

Außenpolitik:Baerbock zu Antrittsbesuch in Moskau

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Ukraine-Konflikt, Nord Stream 2, Tiergartenmord - die deutsch-russischen Beziehungen gelten als belastet. Vor diesem Hintergrund trifft die neue Außenministerin ihren russischen Amtskollegen.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) reist zu ihrem Antrittsbesuch nach Moskau. Die deutsch-russischen Beziehungen werden zurzeit von vielen Themen belastet: unter anderem von der Ukraine-Krise, Nord Stream 2 und dem Urteil zum Tiergartenmord. Dennoch setzt Baerbock auf Dialog: "Als neue Bundesregierung wollen wir substanzielle und stabile Beziehungen mit Russland", sagte die Grünen-Politikerin vor ihrem Treffen mit ihrem russischen Kollegen Sergej Lawrow.

Nach einem Besuch der Ausstellung "Diversity United" in der Tretjakow-Galerie, wird die neue Außenministerin einen Kranz am Grab des unbekannten Soldaten niederlegen. Anschließend trifft sich Baerbock mit ihrem russischen Amtskollegen Lawrow. Im Anschluss an das Treffen geben die beiden eine gemeinsame Pressekonferenz. Baerbocks Rückflug nach Berlin ist für den Abend geplant.

Der 71-jährige Lawrow ist seit knapp 18 Jahren russischer Chefdiplomat und damit der am längsten amtierende Außenminister in Europa. Das russische Außenministerium bezeichnete Deutschland vor dem Besuch der neuen Außenministerin "als einen einflussreichen Akteur auf der internationalen Bühne". Moskau sei aber "enttäuscht" über den aktuellen Stand der russisch-deutschen Beziehungen. "Von deutscher Seite wird versucht, Einfluss auf die innenpolitischen Prozesse in Russland zu nehmen, in den deutschen Medien wird antirussische Propaganda betrieben", hieß es.

Erst Kiew, dann Moskau

Zuvor hatte die Grünen-Politikerin einen Stopp in Kiew eingelegt. Dabei sicherte die 41-Jährige Kiew diplomatische Unterstützung zur Lösung der Krise mit Russland zu. Deutschland sei hierbei bereit zum Dialog mit Russland. Waffenlieferungen an Kiew lehnte sie aber erneut ab. Für den CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen hat die Ministerin "ein wichtiges Zeichen der Solidarität mit der Ukraine" gesetzt, indem sie zuerst nach Kiew und dann nach Moskau reiste. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts erklärte, die Gespräche Baerbocks in Moskau seien nicht die Fortsetzung jener Beratungen über eine Deeskalation der Krise mit Russland, die in anderen Formaten geführt worden seien.

Teile der ostukrainischen Regionen Lugansk und Donezk werden seit 2014 von prorussischen Separatisten kontrolliert. Trotz eines in der belarussischen Hauptstadt Minsk unter deutsch-französischer Vermittlung ausgehandelten Friedensplans kommt der Konflikt nicht zur Ruhe. Die deutsche Außenministerin will die Verhandlung nun wieder in Gang bringen. Nach UN-Schätzungen sind bisher mehr als 14 000 Menschen in dem Gebiet getötet worden. Russland und die Ukraine werfen sich immer wieder gegenseitig Verstöße gegen den Friedensplan vor. Längst haben sich in den selbsternannten Volksrepubliken Lugansk und Donezk mit Hilfe Moskaus eigene Strukturen gebildet.

Die Themen, die die deutsch-russischen Beziehungen belasten, sind vielfältig

Zu weiteren Spannungen zwischen Russland und Deutschland führte zuletzt auch das Urteil im Tiergartenmord-Prozess. Nach dem Mord an einem Georgier tschetschenischer Abstammung im Berliner Tiergarten im August 2019 hatte vor einem Monat ein Gericht einen Russen verurteilt und Moskau "Staatsterrorismus" vorgeworfen. Beide Länder wiesen gegenseitig Diplomaten aus.

Deutschland macht Russland zudem für Hackerangriffe auf den Bundestag 2015 verantwortlich und für den Anschlag auf den Kremlgegner Alexej Nawalny mit dem international geächteten chemischen Kampfstoff Nowitschok. Zudem ist Moskau verärgert über den Sendestopp für das deutsche Programm seines Staatssenders RT.

Kurz vor Baerbocks Flug nach Moskau hat Russlands Außenministerium davor gewarnt, die ausgesetzte Zertifizierung der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 künstlich in die Länge zu ziehen. Die Grünen-Politikerin gilt als Skeptikerin. Dagegen sieht der Kreml wie auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Leitung als privatwirtschaftliches Projekt. Die fertige, aber noch nicht für den Betrieb freigegebene Pipeline soll künftig Gas von Russland nach Deutschland pumpen - in Umgehung der Ukraine. Präsident Wladimir Putin meinte, mit Nord Stream 2 werde Gas in Europa wieder billiger.

Seit Längerem beklagen außerdem Menschenrechtler zunehmende Repressionen gegen Andersdenkende in Russland. Mehrere unabhängige Medien und Organisationen mussten schon ihre Arbeit einstellen. Zuletzt sorgte die gerichtlich angeordnete Auflösung der international bekannten Menschenrechtsorganisation Memorial auch in Deutschland für Kritik. Im vergangenen Frühjahr erklärte Moskau zudem drei deutsche Nichtregierungsorganisationen für unerwünscht. Die deutsche Seite hat deshalb ihre Arbeit in dem 2001 gegründeten Petersburger Dialog eingefroren. Putin hatte die Verständigungsplattform für die Zivilgesellschaft beider Länder mit dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder ins Leben gerufen.

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