Süddeutsche Zeitung

Krieg in Syrien:Macron und May wollen Chemiewaffeneinsatz nicht unbeantwortet lassen

Lesezeit: 3 min

Von Cathrin Kahlweit, London, und Tobias Zick

Theresa May stimmt ihre Landsleute auf Luftschläge gegen Militäreinrichtungen in Syrien ein, und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron tut das auf seine Weise auch. Beides geschieht am Donnerstag, im Abstand von Stunden. Macron spricht am Mittag. Der französische Fernsehsender TF1 überträgt ein Interview live aus dem Klassenzimmer einer Grundschule in Berd'huis, einem Ort mit 1118 Einwohnern in der südlichen Normandie. Vor der Kulisse bunter Kindergemälde geht es gleich um die Abgründe in der Weltpolitik. In der vergangenen Woche, sagt Macron, seien in Syrien Chemiewaffen verwendet worden. "Wir haben den Beweis dafür." Zweifel hat er nicht: "Zumindest Chlor wurde eingesetzt, vom Regime Baschar al-Assads". Man werde deshalb "beizeiten Entscheidungen treffen müssen".

Entscheidungen? Beizeiten? Welche Entscheidungen das sein könnten und wann, sagt er im Detail nicht. Aber dass nun etwas passieren wird, daran lässt Macron keinen Zweifel. Er telefoniere regelmäßig mit Russlands Präsident Wladimir Putin, zudem stimme er sich seit Anfang dieser Woche intensiv mit US-Präsident Donald Trump über ein mögliches Eingreifen ab: "Unsere Teams arbeiten eng zusammen." Man werde "Regimes, die meinen, sich alles erlauben zu können", keine freie Hand lassen. Zugleich gelte es, "die Stabilität in der Region" zu sichern. Frankreich werde "keine Eskalation zulassen", versichert Macron. Man müsse auch an das "Syrien von morgen" denken; das Land brauche eine Regierung, "in der alle Minderheiten vertreten sind", nur so könne es dauerhaft Frieden geben. Das lässt Spielraum für Interpretationen. Macron sagt nicht, dass Assad sofort weg muss.

May: Großbritannien führt Gespräche mit seinen Verbündeten

Auch Theresa May gibt sich entschlossen. Noch am Mittwoch hatte sie offengelassen, ob sich das Königreich an der Strafaktion mit den USA, Frankreich und einigen arabischen Staaten beteiligen solle. Es brauche noch mehr Beweise dafür, dass Assad die jüngsten Gasattacken befohlen habe, wurde sie zitiert. Bei einem Besuch in Dänemark stellte May aber später fest, es gehe nicht nur um Assad: "Es geht auch um die Unterstützer des Regimes, und natürlich ist Russland einer dieser Unterstützer." Großbritannien führe Gespräche mit seinen Verbündeten darüber, "welche Maßnahmen notwendig sind". Der Einsatz von Chemiewaffen dürfe nicht ohne Antwort bleiben. Am Donnerstag kam dann die Meldung, dass die britische Marine U-Boote für einen Militärschlag in Stellung gebracht habe. May soll befohlen haben, dass sie sich für einen Angriff mit Tomahawk-Marschflugkörpern bereithalten.

Ihr Büro teilte am Abend mit, das Kabinett stimme überein, dass die Premierministerin weiter mit den USA und Frankreich an einer koordinierten Reaktion arbeiten müsse.

Schon vorher wurde heftig diskutiert über den möglichen Militäreinsatz und die Gefahr, dass er zu einer Ausweitung des Konflikts führen könnte. In der BBC sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Tom Tugendhat, die Angriffe müssten eine gezielte und begrenzte Operation bleiben. Sie dürften einzig darauf zielen, Assads Chemiewaffenarsenal zu eliminieren. Die Russen würden nicht automatisch in die Auseinandersetzung hineingezogen. Nachfragen, ob das realistisch sei, begegnete er mit der Aussage, es sei weniger wichtig, darauf zu schauen, was Moskau tue, sondern darauf zu schauen, was "wir tun". Großbritannien reagiere auf eine Verletzung des Genfer Protokolls über das Verbot biologischer und chemischer Waffen von 1925 und nutze die 2005 im Völkerrecht verankerte "responsibility to protect", die internationale Schutzverantwortung, mit der schwere Menschenrechtsverletzungen unterbunden werden sollen.

Offenbar will May ohne die Genehmigung des Parlaments handeln

Die Opposition reagierte prompt und empört auf die Pläne der Regierung. Denn offenbar will die Premierministerin für die Beteiligung an der Militärkoalition nicht die Genehmigung des Parlaments einholen - was sie laut Gesetz auch gar nicht muss. Im Jahr 2013 hatte es eine vergleichbare Debatte und einen vergleichbaren Angriffsplan gegeben. Damals legte Premier David Cameron dem Parlament freiwillig den Vorschlag vor, dass sich die britische Armee an einem US-geführten Einsatz in Syrien beteiligen solle, nachdem bei einem Giftgasangriff auf Damaskus Hunderte Syrer umgekommen waren. Er wollte sich eine möglichst breite öffentliche Rückendeckung sichern, weil zuvor zwei Einsätze der britischen Streitkräfte Empörung in der Bevölkerung hervorgerufen hatten: die Beteiligung am Sturz des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi 2011 und die - mit manipulierten Beweisen begründete - Teilnahme am Irakkrieg 2003. Cameron räumte 2013 ein, die Menschen seien "skeptisch gegenüber einem weiteren Krieg in Nahost", weil das Vorgehen seines Vorgängers Tony Blair 2003 die "Quelle der öffentlichen Meinung vergiftet" habe. Erwartungsgemäß stimmten die Abgeordneten mehrheitlich gegen den Syrien-Einsatz.

Befürworter eines gemeinsamen Vorgehens kritisierten damals, dass mit der britischen Weigerung nicht nur die "special relationship" zu den USA, sondern auch US-Präsident Barack Obama geschwächt worden seien, der - auch aufgrund mangelnder internationaler Unterstützung - von seiner berühmten "roten Linie" gegen Assad abrückte. Abgeordnete beider Parteien in Westminister warnen heute, Großbritannien dürfe sich nicht wieder einer gemeinsamen Militäraktion entziehen, die dazu führen könne, den Einsatz von Chemiewaffen zu ächten.

Als eines der wenigen Regierungsmitglieder hatte sich Brexit-Minister David Davis vor der entscheidenden Sondersitzung des Kabinetts am Donnerstag skeptisch gezeigt. Er habe schon 2013 mit gutem Grund gegen Camerons Plan gestimmt: "Wir hatten nicht genügend Beweise, und die Angriffspläne waren nicht durchdacht." Diese Fragen müssen jetzt eindeutiger und besser beantwortet werden.

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SZ vom 13.04.2018
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