Süddeutsche Zeitung

Irak:Besuch in Abrahams gemartertem Land

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Der Papst reist dorthin, wo das Christentum entstand. Der IS hat Orte und Kirchen der christlichen Minderheit verwüstet, ihre Angehörigen getötet oder in die Flucht gejagt. Zurück wagen sich die wenigsten.

Von Moritz Baumstieger und Paul-Anton Krüger, München

Der Klang der Glocken war das Zeichen der Befreiung. Nach 26 Monaten Herrschaft der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) läuteten sie wieder in Bartella; es war der 22. Oktober 2016. Ein Soldat zog auf dem Kirchturm das Seil, das irakische Staatsfernsehen sendete die Szene: Ein Zeichen des Sieges - aber zurück blieb Zerstörung. Die Dschihadisten hatten die Kreuze der assyrischen Matthäuskirche heruntergerissen, den Heiligenfiguren die Köpfe abgeschlagen. Die Liederbücher lagen zerfleddert zwischen den hölzernen Bänken, der Altarraum war schwarz von Ruß, der Friedhof geschändet.

Etwas mehr als vier Jahre später ist die Kirche teils wiederhergestellt, doch Bartella ist nicht wieder zu der Stadt geworden, die sie einmal war. Weniger als die Hälfte der christlichen Bewohner seien zurückgekehrt, berichten Mitarbeiter des christlichen Hilfswerks Capni der SZ. Die Schlacht gegen den IS sei geschlagen, das Denken der Dschihadisten in der Gegend aber immer noch präsent - und viele Täter seien frei. In Bartella tobe zudem weiter eine Schlacht, aber eine leise: Die ebenfalls in der Gegend siedelnde Minderheit der Schabak nutze das Machtvakuum, um immer größere Teile Bartellas zu übernehmen.

Und so wird der Ort, der 2016 symbolträchtig für den ersten Sieg über die Dschihadisten stand, unbeachtet bleiben, wenn ein Gast zu einem nicht minder symbolträchtigen Besuch im Irak erwartet wird: Schon bevor die zweite Welle der Corona-Pandemie rollte, kündigte der Vatikan an, dass seine erste Post-Covid-Reise Papst Franziskus in das Geburtsland von Urvater Abraham führen soll. Nun aber fährt Franziskus nicht nach, sondern trotz Corona - und auch neuerliche Raketenangriffe auf Stützpunkte von US-Verbündeten im Westirak halten das Oberhaupt der katholischen Kirche nicht ab. Er habe sich lange gewünscht, die Menschen in dem Land kennenzulernen, die so viel gelitten hätten, sagte Franziskus am Mittwoch in Rom bei der Generalaudienz. Er wolle sie nicht enttäuschen.

Und die Euphorie im Land ist groß: In der Hauptstadt Bagdad, in der Franziskus am Freitagmittag landen und von den Spitzenpolitikern des Landes empfangen wird, entstehen Graffiti und Wandgemälde - auf Betonmauern, die zum Schutz gegen Anschläge errichtet wurden, steigen nun Friedenstauben neben dem Abbild des 84-Jährigen auf. In Nadschaf, dem heiligen Pilgerort der Schiiten, erwartet Großayatollah Ali al-Sistani den Papst am Samstag, ein Gipfeltreffen der theologischen Schwergewichte. In Ur, Geburtsort Abrahams, wird ein Tempel der Sumerer für ein interreligiöses Gebet vorbereitet.

Im biblischen Zweistromland wurden Kirchen zum Trainingsplatz der Dschihaddisten

Am Sonntag dann wird Franziskus in den Norden reisen. In Erbil, der Hauptstadt der kurdischen Autonomiezone, üben sie seit Tagen, wie eine Messe mit 10 000 Gläubigen in einem 40 000 Menschen fassenden Stadion unter Wahrung von Abstandsregeln ablaufen kann. Die symbolträchtigsten Bilder sind jedoch aus Mossul zu erwarten, der Metropole, deren Altstadt bei der finalen Schlacht gegen den IS fast vollkommen zerstört wurde - und aus einem Städtchen in der Ninive-Ebene, die sich im Osten anschließt.

Die Gegend war einst das wichtigste Siedlungsgebiet von Christen im biblischen Zweistromland. Hier liegen einige der ältesten Gemeinden, die Wiege des Christentums. Noch vor 20 Jahren zählte der Irak geschätzt 800 000 bis 1,5 Millionen Christen, die vor allem der chaldäisch-katholischen Kirche angehören. Anerkannt sind heute 14 christliche Konfessionen. Schon im Bürgerkrieg nach der US-Invasion 2003 wurden viele von ihnen wie auch andere ethnische und religiöse Minderheiten zum Ziel islamistischer Extremisten - heute ist die Zahl der Christen im Land Schätzungen zufolge auf 300 000 bis 250 000 gesunken.

Als die Dschihadisten des IS im Frühjahr 2014 den Nordirak und Teile Syriens überrannten, malten sie den arabischen Buchstaben Nun mit Spraydosen auf die Türen der Christen - N wie Nazarener, ein abfällig benutzter Begriff für Christen. Diese wurden vor die Wahl gestellt, zum Islam zu konvertieren, die Dschizya zu zahlen, eine Steuer für Nichtmuslime - oder den Tod zu gewärtigen. Die meisten entschieden sich für Flucht. Die Terroristen verwandelten Kirchen in Trainingszentren für Kämpfer, im September 2014 sprengten sie sogar das älteste Kloster im Irak, Sankt Elias, das ein Mönch im sechsten Jahrhundert auf einem Hügel über dem Tigris-Tal gegründet hatte. Sie plünderten Dörfer der Christen und anderer Minderheiten, enteigneten deren Häuser. Im Juli 2014 erklärte der IS die Stadt Mossul für christenfrei - das erste Mal nach 1800 Jahren.

Die meisten Christen des Nordirak retteten sich in die angrenzenden Kurden-Gebiete. Sie fanden Zuflucht in den Christenvierteln Erbils, viele kehrten dem Irak für immer den Rücken. Denn die Dschihadisten taten alles, um ihnen die Rückkehr so schwer wie möglich zu machen. Sie brannten christliche Orte nieder, bevor sie zurückwichen. Und sie mordeten weiter: Allein in Bartella sollen IS-Kämpfer vor dem Abzug 250 Menschen getötet haben. Heute bewachen christliche Milizen teils leer stehende Orte - in der Hoffnung, die einstigen Bewohner zur Rückkehr bewegen zu können.

Doch das ist bislang nicht wirklich gelungen - viele Geflohene trauen dem bleiernen Frieden nicht. Das Örtchen Tel Keppe etwa, das vor einigen Jahren noch etwa zu einem Drittel von Christen bewohnt war, sei nun rein arabisch-sunnitisch, sagen Mitarbeiter einer dort engagierten christlichen Hilfsorganisation. Man habe zwar mit internationaler Unterstützung 46 ehemals von Christen bewohnte Häuser wiederhergestellt - doch man finde einfach keine Familien, die zurückkehren wollen. Die Bewohner der Stadt Bartella, die den Schritt zurück in die alte Heimat gewagt haben, behielten laut den Helfern ihre Wohnungen in den Kurdengebieten als Rückversicherung, um jederzeit schnell wieder fliehen zu können. Ähnlich hielten es die etwa 40 bis 50 Familien, die nach Mossul zurückgegangen seien.

Man bringt Kathedralen auf Hochglanz für Bilder der Hoffnung mit dem Pontifex

Wenn der Papst dort am Sonntag auf dem Hosh al-Bieaa für die Opfer des Krieges beten wird, werden beeindruckende Bilder erwartet. Der Platz hat seinen Namen von vier Gotteshäusern, die dort stehen: eine syrisch-katholische Kirche, eine syrisch-orthodoxe, eine armenisch-apostolische und eine chaldäisch-katholische. Bis heute sind die alten Mauern von Spuren des Krieges gezeichnet. Die Wände sind mit Einschusslöchern übersäht, jahrhundertealte Gewölbe eingestürzt, Betonbrocken hängen an Bewehrungsstahl. Gleichzeitig zeigen sich hier erste Erfolge des Wiederaufbaus - und so soll der Besuch des Papstes zu einem Beleg der Widerstandskraft der christlichen Gemeinden werden.

Doch in keiner der vier Kirchen werden heute regelmäßig Gottesdienste gehalten. Um dennoch vorösterlich eine Wiederauferstehung feiern zu können, wird Franziskus am selben Tag in den 25 Kilometer südöstlich liegenden Ort Karakosch reisen - per Hubschrauber, der Vatikan sieht bei der gesamten Reise des Papstes eine "besondere Gefährdung" gegeben. In Karakosch ist die Zahl der Rückkehrer am größten, die christliche Präsenz sei zudem nicht von Landraub durch andere ethnische oder religiöse Gruppen bedroht, sagen Mitarbeiter des Hilfswerks Capni. Und so könnte die Stadt mit ehemals 50 000 Einwohnern jene Bilder der Hoffnung liefern, die viele irakischen Christen ersehnen.

Die zurückgekehrten Bewohner der Stadt zumindest tun das Ihrige, wie auf aktuellen Videos und Fotos aus der Stadt zu sehen ist: Seit Tagen werden die Marmorböden der Kathedralen poliert, Glaskünstler bemalen neue Kirchenfenster, Nonnen klettern auf Sakralbauten, um schmiedeeiserne Kruzifixe frisch zu lackieren. Doch auch die Straßenarbeiter sind aktiv, pflastern Gehwege neu, errichten Laternen, pflanzen Bäume - um einen Ort wieder lebenswert für seine ehemaligen Bewohner zu machen, braucht es weit mehr als symbolisch erklingende Glocken.

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