Süddeutsche Zeitung

Bundesregierung:Der Problemgipfel

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Die Ampelkoalition hat einen Berg ungelöster Fragen und Konflikte angehäuft. Am Sonntag will sie damit beginnen, ihn abzutragen. Leicht wird das nicht.

Von Markus Balser, Michael Bauchmüller, Georg Ismar, Paul-Anton Krüger und Henrike Roßbach, Berlin

Ohne Zweifel hat diese Koalition schon bessere Wochen erlebt als die vergangene. Der Berg ungelöster Aufgaben ist zuletzt nicht geschrumpft, sondern gewachsen. Sozialdemokraten, Grüne und Liberale allerdings gehen neuerdings der Frage nach, wer wann welchen Gesetzentwurf durchgestochen hat - seit Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) in einem Fernsehinterview die schlechte Arbeit der eigenen Regierung angeprangert hat. Düstere Vorzeichen für den Koalitionsgipfel sind das, zu dem sich die Spitzen der drei Parteien an diesem Sonntag treffen wollen - oder aber die Chance, den Rest der Republik mal wirklich zu überraschen. Doch dazu müssten sie Knoten durchschlagen, an denen der phrygische König Gordios seine helle Freude gehabt hätte. Ein Überblick.

Die Stimmung in der Koalition

Redet man mit Regierungsmitgliedern oder deren Mitarbeitern, ist die Stimmung gar nicht so schlecht, wie es die öffentliche Wahrnehmung oder Habecks Wutausbruch vermuten ließen. Man habe auch am folgenden Tag konstruktive und sachliche Gespräche miteinander geführt, heißt es. Zudem seien viele Vorhaben wie das Weiterbildungsgesetz oder eine neue Regelung zur Fachkräftezuwanderung auf gutem Weg - nur eben weniger beachtet. Allerdings seien die Vorstellungen zu Finanzierung oft wenig konkret, klagen die Liberalen, oder Fragen wie die Umsetzung durch die Verwaltung offen. Und wie so oft im Leben bekommt die harmonischen Stunden kaum wer mit. Je öfter es dagegen kracht, desto mehr verfestigt sich ein anderer Eindruck: Die können nicht miteinander. Im Grunde wissen alle Drei, dass ihnen das nicht hilft.

"Der Einigungsdruck ist groß", heißt es denn auch bei den Sozialdemokraten. Und die Grünen klagen, es habe zuletzt zu viele Blockaden gegeben. In der FDP bekennt man sich zum Fortschritt, nur glaubten die Grünen, dass alleine ihre Ideen einen Beitrag leisten würden. In der SPD-Fraktion ist man genervt, dass es immer mehr Kopplungsgeschäfte gibt, sachfremde Gesetzesvorhaben miteinander verknüpft werden, das Entgegenkommen der einen Seite gekoppelt wird an die eigene Bewegung bei anderen Vorhaben. Dadurch wird das Geflecht an blockierten Vorhaben stetig größer.

Die Grünen wiederum fordern mehr Führung von Kanzler Olaf Scholz (SPD): "Wir bekommen immer wieder das Gefühl vermittelt, dass Klimaschutzmaßnahmen ein Zugeständnis an uns sind", heißt es aus der Parteispitze. Die gute Stimmung, die das Kabinett zu Beginn des Monats in Meseberg zur Schau stellte, scheint jedenfalls erst einmal verflogen zu sein.

Neue Autobahnen

Das liegt vor allem an Themen wie dem beschleunigten Fernstraßenbau. In der Koalition haben einige Freude gefunden am "neuen Deutschland-Tempo", das sie etwa bei der Installation schwimmender Flüssigerdgas-Terminals vorlegen konnte. So viel Freude, dass Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) es am liebsten auch auf neue Autobahnen anwenden würde. Auch einen entsprechenden Gesetzentwurf hat er schon vorbereitet, er würde viele der Fernstraßen-Projekte des Bundes mit dem Prädikat des "überwiegenden öffentlichen Interesses" adeln. Schwierige Abwägungen, etwa mit Belangen des Umwelt- oder Naturschutzes, würden den Behörden dann leichter fallen - zu Gunsten von Autobahnen und Bundesstraßen.

Doch während die SPD Wissings Idee einiges abgewinnen kann, sind die Grünen auf den Barrikaden. In Zeiten von Klimaschutz und Verkehrswende lasse sich der Bau neuer Autobahnen schwer begründen, argumentieren sie, und noch weniger dessen Beschleunigung. Für die Bahn oder marode Brücken sind sie mit mehr Tempo dagegen einverstanden. Dummerweise gibt es das beim Eisenbahnbau aber nicht, solange der Streit um die Autobahnen gärt. Eine weitere Verschiebung dieses Streits kann sich die Koalition kaum leisten. Schon im Januar sollte sich der Koalitionsausschuss den Streit ausräumen, doch er vertagte sich: auf diesen Sonntag.

Heizungen

Fast auf den Tag genau ein Jahr ist es her, da befasste sich schon einmal ein Koalitionsausschuss mit Deutschlands Heizungen. Unter der Überschrift "Verbrauch senken und Energieeffizienz steigern" beschlossen die drei Partner seinerzeit, schon von 2024 an die Regeln zu verschärfen, nicht erst 2025. In Neubauten sollten möglichst nur noch Heizungen installiert werden, die mindestens 65 Prozent erneuerbare Energien nutzen. Für herkömmliche Gas- und Ölkessel wäre damit Schluss. Auch wollte man den Rahmen dafür schaffen, dass Eigentümer "ihre über 20 Jahre alten Heizungsanlagen austauschen", inklusive einer Art Abwrackprämie. Doch seit ein Gesetzentwurf den Abschied von fossilen Heizungen skizziert, brennt es lichterloh. Und das auch jenseits der Frage, wer ihn nun kürzlich an Medien durchgestochen hat.

Das liegt vor allem daran, dass er zwar Ziele benennt, nicht aber den Weg dorthin. Völlig unklar etwa ist, wie etwa Eigentümer unterstützt werden, wenn sie ihren Heizkessel zum Beispiel gegen eine elektrische Wärmepumpe austauschen. Denn deren Installation kostet deutlich mehr. Wirtschaftsminister Habeck etwa schweben Investitionszuschüsse für Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen vor, plus zinsgünstige Kredite oder Steuerabschreibungen für jene mit mehr Geld.

Finanzieren ließe sich dies aus dem milliardenschweren Klimatransformationsfonds, in dem Mittel umgeschichtet werden müssten. Die genaue Höhe werde gerade beraten, heißt es aus Regierungskreisen. Der Koalitionsausschuss könnte dies beschleunigen, zumal die Nervosität wächst. Das Heizungsthema müsse rasch geklärt und besser kommuniziert werden, heißt es aus der SPD - die Bürger seien hier stark verunsichert.

Klimaschutz

Eigentlich trägt es ein "Sofort" im Namen, aber das "Klimaschutz-Sofortprogramm" zählt zu den Dauerbaustellen dieser Koalition. Es sollte quer durch alle Ministerien den Kampf gegen die Erderwärmung forcieren und - wie auch eine Novelle des Klimaschutzgesetzes - schon im vorigen Jahr fertig werden. Doch die Koalition schiebt beides vor sich her. Dabei geht es mal wieder um Mobilität: Seit es das Klimaschutzgesetz gibt, hinkt der Verkehrsbereich hinterher. Erst vorige Woche veröffentlichte das Umweltbundesamt die jüngste Klimabilanz. Doch rund um die Fortbewegung emittierten die Deutschen im vorigen Jahr nicht weniger klimaschädliche Emissionen, sondern mehr. Und viel mehr, als es das Klimaschutzgesetz zulässt.

In solchen Fällen muss das zuständige Ministerium reagieren, Volker Wissing müsste ran. Der aber verweist auf die Schwierigkeiten, Autofahrer mal eben zu geringeren Emissionen zu bewegen - und verlangt eine Lockerung der Vorgaben aus dem Klimaschutzgesetz. Schon fordert eine Petition der Fridays for future den Rücktritt Wissings. Für eine Koalition, die den Klimaschutz zur "obersten Priorität" erklärt hat, ein zunehmend misslicher Disput. Und damit wie geschaffen dafür, bei eine Koalitionsgipfel aus der Welt geräumt zu werden.

Finanzen

Es gibt allerdings auch Themen, die zwar nicht auf der Tagesordnung stehen, die Koalitionsspitzen aber dennoch beschäftigen könnten. Meist drehen sie sich um Geld, viel Geld. Allen voran: die für 2025 geplante Kindergrundsicherung, die schon jetzt in den Finanzplan eingearbeitet werden muss. Die zwölf Milliarden Euro teuren Eckpunkte von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hält Finanzminister Lindner für unfinanzierbar.

Überhaupt versteht die FDP unter der Kindergrundsicherung vor allem die Zusammenlegung und Vereinfachung bisheriger Leistungen. Entscheidend sei eine Vereinfachung, damit am Ende alle Familien, die einen Anspruch haben, die Hilfen auch beantragen. Das sei derzeit eben oft nicht der Fall. Die dadurch entstehenden Mehrkosten sind nicht strittig, die von Paus darüber hinaus geplanten Leistungsausweitungen dagegen schon. Kritiker werfen der Ministerin zudem vor, noch kein Konzept zu haben, wie die Kindergrundsicherung überhaupt administriert werden soll.

Ohnehin wird am Sonntag über allem der Haushalt schweben: Aus Kreisen des Finanzministeriums war zuletzt von einer Finanzierungslücke von 14 bis 18 Milliarden Euro die Rede, durch höhere Zinskosten und bereits beschlossene Mehrausgaben wie etwa das Bürgergeld, die Wohngeldreform, die Flüchtlingshilfen für die Länder oder die Anpassung des Steuertarifs an die Inflation. Eigentlich hätten die Ressorts ihre Vorstellungen für den Haushalt 2024 dementsprechend nach unten korrigieren müssen - stattdessen haben sie so viele Zusatzforderungen angemeldet, dass Lindner den Kabinettsbeschluss zu den Eckwerten verschieben musste. Das weitere Vorgehen: noch zu klären.

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