Süddeutsche Zeitung

Antisemitisches Flugblatt:Söder bestellt Aiwanger zu Sondersitzung ein

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Bayerns Ministerpräsident fordert von seinem Stellvertreter eine umfassende Erklärung zu dem antisemitischen Flugblatt aus dessen Schulzeit.

Von Katja Auer, Sebastian Beck und Johann Osel

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gibt sich mit den bisherigen Erklärungen seines Stellvertreters Hubert Aiwanger zu einem hetzerischen Flugblatt aus dessen Schulzeit nicht zufrieden und erhöht den Druck auf den Koalitionspartner. Für diesen Dienstag hat Söder eine Sondersitzung des Koalitionsausschusses einberufen und die Freien Wähler vor einer regulären Sitzung des Kabinetts dazu einbestellt. Dies teilte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) am Montag mit. Aiwanger müsse sich über seine schriftliche Stellungnahme vom Samstag hinaus umfassend erklären, forderte Herrmann: "Es geht um das Ansehen Bayerns."

Freie-Wähler-Chef Aiwanger hatte am Samstagabend schriftlich zurückgewiesen, als Minderjähriger im Schuljahr 1987/88 ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die Süddeutsche Zeitung erstmals am Freitagabend berichtet hatte. Ein Schriftgutachten im Auftrag der SZ war zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Facharbeit Aiwangers und das belastende Flugblatt "sehr wahrscheinlich auf ein und derselben Schreibmaschine geschrieben worden sind". Gleichzeitig räumte Aiwanger aber ein, es seien damals "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden, er sei in der Schule als Urheber bestraft worden. Angeblich fälschlicherweise, denn später bekannte sich Aiwangers älterer Bruder als mutmaßlicher Verfasser.

Dennoch hat Hubert Aiwanger über Tage gelogen. Dass er überhaupt mit dem Flugblatt in Verbindung steht, hatte der Minister vor den ersten Medienberichten bestritten, indem er sämtliche "Behauptungen zu seiner Schulzeit" zurückwies. Die SZ hatte ihn unter anderem konkret mit dem Fund in der Schultasche und der Bestrafung konfrontiert, basierend auf den Erinnerungen mehrerer Zeugen. Insgesamt gab es bis zur ersten Veröffentlichung drei Presseanfragen der SZ an Aiwanger binnen elf Tagen, viele Möglichkeiten also zur Stellungnahme oder zur Darstellung der vermeintlich wahren Umstände.

Ebenfalls am Samstagabend gestand Aiwangers älterer Bruder, das Pamphlet geschrieben zu haben, das in einem fiktiven Wettbewerb etwa "einen Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz" bewarb. "Ich war damals total wütend, weil ich in der Schule durchgefallen war", sagte Helmut Aiwanger der Mediengruppe Bayern. Er ergänzte am Montag, sein Bruder Hubert Aiwanger habe womöglich damals die Flugblätter wieder eingesammelt, um zu "deeskalieren".

"Wir haben die Erklärung zur Kenntnis genommen. Aber es bleiben viele Fragen offen. Diese kann nur Hubert Aiwanger persönlich beantworten", sagte Staatskanzleichef Herrmann. "Die Vorwürfe sind zu ernst, als dass sich ein stellvertretender Ministerpräsident nur schriftlich äußert und entscheidende Fragen unbeantwortet lässt." Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dringt auf umfassende und sofortige Aufklärung, wie Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner in Berlin sagte - der Fall müsse aus Sicht des Kanzlers "dann gegebenenfalls auch politische Konsequenzen haben".

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