Süddeutsche Zeitung

AKW-Streit:Der Streckbetrieb des Markus Söder

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Auf den ersten Blick ist das Atom-Machtwort von Bundeskanzler Scholz ein Rückschlag für die CSU - die geforderte Laufzeitverlängerung bis 2024 kommt nicht. Warum sich die konservativen Wahlkämpfer dennoch die Hände reiben.

Von Andreas Glas, München

Man könnte sich Erwin Huber jetzt als glücklichen Mann vorstellen. Er war der erste namhafte CSU-Politiker, der dafür warb, die drei verbliebenen deutschen Atommeiler laufen zu lassen, darunter das Kraftwerk Isar 2 bei Landshut. Im Februar war das, gemeinsam mit Ex-CSU-Wirtschaftsminister Otto Wiesheu. Der Krieg gegen die Ukraine war da noch gar nicht losgebrochen. Nun, acht Monate später, erfüllt sich Hubers Wunsch. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat ein Machtwort gesprochen: Die drei Meiler sollen am Netz bleiben, bis Mitte April 2023. Er freue sich, sagt Huber am Dienstag auf SZ-Nachfrage. Der Ex-Parteichef sagt aber auch: "Aus Sicht der CSU ist das nicht zufriedenstellend."

Die CSU hätte die Meiler ja am liebsten bis Ende 2024 am Netz gehalten, mindestens. Ist das Scholz-Machtwort also eine Niederlage für die CSU, die seit Monaten für eine mehrjährige Laufzeitverlängerung trommelt? Ja, findet Katharina Schulze. "Der Kanzler hat jetzt endlich beendet, was die Pro-Atomkraft-Lobby durchsetzen wollte: den Ausstieg aus dem Ausstieg", sagt die Fraktionsvorsitzende der Landtagsgrünen, aus deren Sicht die CSU zur Atom-Lobby zählt. Doch aus CSU-Perspektive ist das Scholz-Machtwort keineswegs eine Niederlage. Eher ein Glücksfall, strategisch betrachtet.

Man versteht das am besten, wenn man sich vorstellt, dass der Kanzler keinen Streckbetrieb verfügt hätte, sondern die Maximalforderung der Union: eine Laufzeitverlängerung bis mindestens Ende 2024. Dann hätte CSU-Chef Markus Söder sich zwar als Triumphator inszenieren können, doch wäre ihm schlagartig ein Thema verloren gegangen, das er als Wahlkampfschlager identifiziert hat: die Kernenergie als Schutz gegen den Blackout, einen großflächigen Stromausfall. Der Streckbetrieb dagegen gibt der CSU die Möglichkeit, auch ihre Trommelei für eine längerfristige Laufzeitverlängerung bis weit ins Wahljahr 2023 hinein zu strecken.

Dass Söder von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird, legt schon der Tweet nahe, den er kurz nach dem Kanzler-Machtwort abgesetzt hat: "Ist das alles? Was für eine Enttäuschung: Das Problem ist nur vertagt. (...) Die Gefahr eines Blackouts im kommenden Jahr bleibt bestehen." Die Bemerkung, dass im kommenden Jahr gewählt wird in Bayern, kann sich jeder dazu denken.

Nicht, dass Söder sich die Energiekrise als Wahlkampfthema herbeigewünscht hätte. Und natürlich gibt es etliche CSU-Mitglieder, die ehrlich von der Kernkraft überzeugt sind, siehe Erwin Huber. Aber wenn die Krise schon mal da ist, weiß das einer wie Söder strategisch zu nutzen. "So gesehen stimmen da sachliche und taktische Zielsetzungen der CSU voll überein", sagt Huber, der Ex-Parteichef.

"Ich würde mir wünschen, dass er jetzt aufhört, das tote Pferd Atomkraft zu reiten"

Die Grünen, erklärte Hauptgegner der CSU, appellieren derweil an Söder, die Kernkraft als Wahlkampfthema zu begraben. "Ich würde mir wünschen, dass er jetzt aufhört, das tote Pferd Atomkraft zu reiten", sagt Landtagsfraktionschefin Schulze. "Stattdessen lade ich Markus Söder ein, in den Wettstreit der guten Ideen einzusteigen, wie wir die erneuerbaren Energien in Bayern schneller ausbauen können." Allerdings: Es deutet wenig darauf hin, dass sich Schulzes Wunsch erfüllt. "Die CSU muss den Druck für den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke aufrecht erhalten, muss ihn sogar noch verstärken", sagt Erwin Huber.

Statt sich an den Grünen in Bayern abzuarbeiten, hat die CSU zuletzt ja vor allem die Grünen in Berlin attackiert, quasi stellvertretend. Dieser Stellvertreterkrieg könnte nach dem Kernkraft-Machtwort des Kanzlers erst recht weitergehen - und den Landtagswahlkampf 2023 bestimmen. Sie habe da "null Angst", sagt Grünen-Fraktionschefin Schulze. "Pure Verzweiflung", nennt sie die Kernkraft-Offensive der CSU. "Weil Markus Söder keine eigenen Ideen für die Energieversorgung der Zukunft hat, klammert er sich an Ideen aus der Mottenkiste." Der Ton des Wahlkampfs, er ist längst gesetzt.

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