Süddeutsche Zeitung

Geburtshilfe:Bayern will Hebammen an der Uni ausbilden

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Von Anna Günther, München

Junge Mütter und Schwangere kennen die Geschichten einer zähen Hebammensuche zur Genüge - und nicht nur in Ballungsräumen. Auch abseits davon gibt es Regionen in Bayern, in denen Geburtshelferinnen keine Vor- und Nachsorge von Müttern und ihren Babys machen, um den Klinikbetrieb aufrechterhalten zu können. Mit der Akademisierung der Ausbildung soll Abhilfe geschaffen werden: Angehende Hebammen können in Bayern künftig an drei Hochschulen ihren Beruf studieren. Geplant ist, dass die ersten Studentinnen zum Wintersemester 2019 mit Hebammenkunde in München, Regensburg und Landshut beginnen.

Darauf festlegen will sich Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) wegen der "hohen Anforderungen und komplexen Strukturen" allerdings nicht. Bis zu 100 Geburtshelferinnen - Männer sind seltene Ausnahmen - sollen künftig jedes Jahr das Studium beenden. Vor zwei Monaten beschloss der Ministerrat die Akademisierung, kurz darauf wurden erst Landshut, nun auch Regensburg und München als Standorte präsentiert. Wie das Studium genau aussieht, muss allerdings erst erarbeitet werden. Und die Zeit drängt, wenn die Landshuter Hochschule für angewandte Wissenschaften, die Ostbayerische Technische Hochschule in Regensburg und die Katholische Stiftungshochschule in München im kommenden Herbst beginnen wollen.

Der bayerische Hebammenverband fordert seit langem die Akademisierung. Vom Hochschulabschluss verspricht sich die Vorsitzende Astrid Giesen im Kreißsaal ein Arbeiten auf Augenhöhe mit den Medizinern, eine höhere Bezahlung und mehr Interessierte. Von mehr Forschung zum Hebammenwesen würden nicht nur die Studentinnen profitieren, denn bisher gebe es kaum Studien zu natürlicher Geburt. "Wir brauchen Forschung, die belegt, dass eine Geburt zu 95 Prozent gut geht, wenn man den Dingen ihren Lauf lässt", sagt Giesen. Schwangere nur zu begleiten, bringe kein Geld. Die Vergütung im Gesundheitssystem basiert auf Eingriffen.

Bei der Konzeption des Studiums wollen die Hebammen mitwirken, denn neben der theoretischen Ausbildung an Kliniken sei der praktische Unterricht extrem wichtig. Schülerinnen sollten in Modulen lernen, erst die Theorie, dann im Labor üben und danach erfahrene Hebammen bei Voruntersuchung, Geburtshilfe und Wochenbettnachsorge begleiten. "Dafür muss es Betreuerinnen geben, es kann nicht sein, das die Studentinnen in Kliniken allein gelassen werden", sagt Giesen. Vom Ministerium wünscht sie sich deutlich mehr Interesse und gemeinsames Erarbeiten der Lehrpläne, denn obwohl der Zeitplan eng ist, sei sie bisher im Kultus- und Wissenschaftsministerium nicht durchgedrungen.

Zusätzlicher Druck kommt aus Brüssel: Eine Leitlinie der Europäischen Union fordert alle 28 Mitgliedstaaten auf, bis Januar 2020 die Geburtshilfe zu akademisieren. Nur in Deutschland ist Hebammenwesen laut Giesen noch nicht überall Studienfach. Auch andere Bundesländer sind Bayern voraus: In Osnabrück gibt es seit 2008 einen Bachelor-, in Hannover seit neun Jahren einen Masterstudiengang "Midwifery". In Bayern bilden Berufsfachschulen Hebammen aus. Diese sollen in die Konzeption der Studiengänge einbezogen werden, heißt es aus dem Wissenschaftsministerium. Das Kultusministerium will zudem prüfen, ob die Berufsfachschulen künftig parallel zum Studium laufen können.

"Zwei-Klassen-Hebammen" lehnt Giesen dagegen strikt ab. Das Studium sei der richtige Weg. Ohnehin hätten die meisten angehenden Geburtshelferinnen Fachhochschulreife, Abitur oder eine abgeschlossene Ausbildung. Sie wollen studieren und womöglich auch mal ins Ausland gehen, sagt Giesen. Das Examen werde aber nicht immer anerkannt, der Prozess sei aufwendig und schrecke Interessenten ab. Giesen spricht gar von einem "Wegbrechen der Bewerberinnen".

Mit der Akademisierung möchte die Staatsregierung eine Aufwertung des Berufs erreichen, sagt auch Minister Sibler. "Als zweifacher Vater habe ich selbst erfahren, welch wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe Hebammen für unsere Familien erfüllen. Daher wollen wir uns aktiv an der Nachwuchsförderung beteiligen." Faktisch muss sogar etwas geschehen: Die Zahl der Geburten steigt, Schwangere in ganz Bayern müssen länger nach Hebammen suchen, nicht mehr nur in München. Die hohen Versicherungspolicen sind nur ein Teil des Problems. Bisher wurden etwa in der Oberpfalz gar keine Hebammen ausgebildet.

Dementsprechend war der Hochschulstandort ebenso Auswahlkriterium für die drei Hochschulen wie die Zusammenarbeit mit einer Klinik. Weitere Hochschulen haben bereits Konzepte eingereicht. Bis erste Hebammen die Hochschulen verlassen, werden sicher fünf Jahre vergehen. Derweil versucht der Verband, erfahrene Hebammen in die Geburtshilfe zurückzuholen. Schätzungen zufolge arbeiten dort nur 52 Prozent der Freiberuflerinnen. Finanziert werden diese Projekte mit dem Hebammenbonus: Freiberuflerinnen bekommen 1000 Euro pro Jahr, wenn sie mindestens vier Geburten betreut haben.

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SZ vom 21.11.2018
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