Süddeutsche Zeitung

Wahlkampf in Deggendorf:Warum die CSU um ihre Hochburg bangen muss

Lesezeit: 6 min

Am Sonntag wird im Landkreis Deggendorf ein neuer Landrat gewählt - früher aus Sicht der Christsozialen reine Formsache. Doch Ex-Wissenschaftsminister Bernd Sibler muss seine Konkurrenten von den Freien Wählern und der AfD fürchten.

Von Andreas Glas und Johann Osel, Deggendorf

Endlich, ein Moment der Ruhe. Es ist spät geworden, das Buffet schaut etwas zugerichtet aus. Bernd Sibler (CSU) hat noch Brot ergattert, gegrillte Auberginen, jetzt steht er da, in der Ecke, mit einem Teller in der Hand und sagt: "Das Thema ist, meiner Wahrnehmung nach, nicht mehr so wichtig." Er meint das Gerede bei den Leuten, die jetzt lästern, dass die CSU meint, sie könne von München aus die Erbfolge hier in Deggendorf regeln, quasi monarchistisch. Hat sich alles wieder gelegt, sagt Sibler. Wirklich?

Sibler, 51, ist ins Kloster Metten gekommen, um dafür zu werben, dass die Leute ihn am Sonntag zum Deggendorfer Landrat wählen. Für die CSU ist der Landkreis in Niederbayern so etwas wie ein Versuchslabor für die Landtagswahl 2023. Kaum irgendwo sonst verdichten sich die Schwierigkeiten der Partei so sehr wie hier. Zuletzt, bei der Bundestagswahl, kam die CSU im Wahlkreis Deggendorf auf magere 33 Prozent - während ihre Konkurrenz rechts der Mitte, Freie Wähler und AfD, zusammen auch fast 30 Prozent holte. Dabei hat die CSU im ländlichen Raum mal ihre konservative Kernklientel verortet: Kirche, Vereine, Bauern, die einfachen Leute, wie man sagt. Bei der Wahl 2023 will die CSU vor allem deren Stimmen zurückholen, das ist das Ziel von Parteichef Markus Söder. Wenn man so will, ist die Landratswahl eine erste, kleine Generalprobe.

Ein Dreikampf also, CSU, Freie Wähler, AfD - wenn auch mit klarem Favoriten: Sibler. Die AfD hat in Deggendorf eine Hochburg, hier sehen die Partei längst nicht alle als Rechtsaußen-Krawallbande, eher als rechtere CSU. Dass die Wahl überhaupt nötig ist, hat eben mit der Landespolitik zu tun. Im Februar hat Söder den Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter nach München geholt, als Bauminister. Eine Personalie, die vor allem auf den CSU-Wahlkampf 2023 zielt. Denn für Söder verkörpert Bernreiter all das, was der CSU auf dem Land verloren zu gehen scheint: Er ist nah bei den Leuten, kennt deren Sorgen. Neuer Landrat soll nun ausgerechnet Bernd Sibler werden, Ex-Wissenschaftsminister, der auch wegen Bernreiter aus dem Kabinett flog.

"Ich bin skeptisch", sagt einer, "ich habe ein komisches Gefühl", sagt ein anderer aus dem Sibler-Fanlager, wenn man im Kloster Metten nach den Chancen ihres Favoriten fragt. Die Sache mit dem "Stühlerücken", heißt es da, die Rochade mit Bernreiter, so was bediene bei einigen dieses Bild einer Spezl-Partei, das die Leute von der CSU forttreibe. Und dann sind da ja die CSU-Mautaffäre, die CSU-Maskenaffäre, dazu die Rücktritts- und Plagiatsaffären um Ex-Generalsekretär Stephan Mayer und den neuen General Martin Huber. Die CSU stand schon besser da.

Freie Wähler kritisieren Posten-Geschacher

Einer, der in Deggendorf davon profitieren will, ist Stefan Achatz, Kandidat der Freien Wähler. "Als Bürgermeister an der Basis nimmt man so viele Erfahrungen mit, die man in der Landespolitik gar nicht sammeln kann", stichelt Achatz gegen Sibler. "Ich als Vertreter der kommunalen Familie", auch solche Sätze sagt er gern. Die Freien Wähler kommen von unten, das war immer das Narrativ dieser Partei. "Die da oben", in diese Rolle stopft Achatz lieber die CSU. Und damit Bernd Sibler.

Achatz, 41, ist seit 2014 Bürgermeister der Gemeinde Bernried, zuvor war er lange Verwaltungswirt dort. "Damit kann man punkten", glaubt er, "die Bürger schätzen das." Was sie nicht schätzen? "Posten-Geschacher", er meint Sibler und Bernreiter und deren möglichen Ämtertausch. Man trifft Achatz in einem Deggendorfer Wirtshaus, auf ein schnelles Weißbier. Auf dem Stadtplatz hat er gerade ein Grußwort gesprochen, bei der Maikundgebung des Gewerkschaftsbundes. Gleich geht's weiter, Maibaumaufstellen in Edenstetten. Er stehe für die "Freie-Wähler-Mentalität", sagt Achatz: mit den Bürgern "schmaatzen", alle Interessen mit gesundem Menschenverstand zusammenführen. Diese Fähigkeit fehle der CSU zunehmend, "ein hausgemachtes Problem".

Hört sich alles sehr nach Hubert Aiwanger an, dem FW-Chef, der sich als Experte für Bodenständigkeit sieht und früher, bevor er Wirtschaftsminister wurde, keine Gelegenheit ausließ, der CSU "Filz" zu attestieren. Über Aiwanger hört man in München, dass seiner Ansicht nach mit dem "zupackenden Bürgermeister" "was gehen" könne in Deggendorf. "Die CSU denkt, das ist ein Selbstläufer. Wird es nicht", sagt Achatz. Er wolle "die CSU nach 44 Jahren ablösen und einen Minister a. D. schlagen. Damit die Leute sehen: Es geht auch ohne CSU". Und: "Natürlich hat die Wahl landespolitische Bedeutung."

Na ja, meint Sibler, "es ist schon eine Persönlichkeitswahl in erster Linie". Und natürlich ist da was dran. Würden die Leute streng nach Parteipräferenz wählen, hätte etwa Heinrich Trapp (SPD) nie Landrat in Dingolfing sein können, fast drei Jahrzehnte lang. Trotzdem, die Konkurrenz durch die FW spürt die CSU besonders in der Kommunalpolitik. Von 71 Landrätinnen und Landräten stellen die Freien Wähler immerhin 14. Bald 15? Dass die Konkurrenz nun das Bild vom Minister a. D. zeichnet, der nach Jahren in München plötzlich den Platzhirsch markiert, das will Sibler nicht stehen lassen. "Ich war nie weg."

"Näher bei den Menschen", steht auf seinen Flyern, der CSU-Slogan. In Siblers Fall ist das nicht geflunkert. Wer ihm in Metten zuschaut, sieht einen Mann, der gern unter den Leuten ist. Er duzt fast jeden, schüttelt Hände, klopft Schultern, er kann nicht anders. In den Jahren als Staatssekretär und Minister habe er daheim immer Bürgersprechstunden angeboten, jeden Monat, er mache das seit 25 Jahren. Selbst als Sibler dann Minister wurde, konnte ihn jeder direkt anrufen, seine Handynummer steht im Telefonbuch. So was macht niemand, dem die Leute lästig sind. Sein stattliches Erststimmenergebnis (48,2 Prozent) bei der Landtagswahl 2018 sieht Sibler als Beleg für Bodennähe, die ihm die Konkurrenz abspricht. Sicher ist es auch Beleg für seine Bekanntheit.

"Kabinettsumbildungen kommen vor"

Rasch bekannt zu werden, das ist ein wunder Punkt von Stefan Achatz. Nicht nur in Bernried, Lalling und Hunding, auch auf der anderen Seite der Donau, in Plattling, in Osterhofen. Ein Problem, das AfD-Kandidatin Katrin Ebner-Steiner nicht hat. Als "Populistin im Dirndl" lockte sie im Bundestagswahlkampf 2017 Reporterscharen nach Deggendorf, setzte voll aufs Thema Flüchtlinge, das die Region sehr bewegte - und die AfD holte aus dem Stand 19,2 Prozent. Das Dirndl trägt sie als Landtagsabgeordnete seltener, meist Rock und Bluse. Geblieben sind seit 2017 die relativ starken AfD-Wahlergebnisse in Deggendorf. All der Streit in der Landtagsfraktion, die schrillen Töne und rechtsradikalen Eklats der Bayern-AfD haben "unserer Katrin", wie sie ihre Parteifreunde hier nennen, offenbar wenig geschadet.

Kaum zur Bekanntheit des FW-Bewerbers Achatz beitragen dürfte besagte Mai-Kundgebung des DGB. 47 Menschen stehen im Deggendorfer Nieselgrau. 45, als rasch die Polizei abzieht, es gibt nichts zu sichern. Fast alle Gäste sind Gewerkschafter, Stadträte oder Honoratioren. Das Mobilisierungspotenzial des DGB wäre aber ein anderes Thema. Achatz sagt jedenfalls in aller Kürze, als Personalrat in der Gemeinde habe er viel gelernt. Danke. Später geht er erneut auf die Bühne, lobt die "wertvolle Arbeit" der Gewerkschaft. Denn die anderen haben viel länger geredet, auch Sibler, vor allem zur Bildungspolitik der Staatsregierung. Politprofi, gelernt ist gelernt.

Ebner-Steiner ist beim DGB nicht eingeladen, sie macht am selben Tag eine eigene Maikundgebung. Gut 90 Leute sind da, "ordentlich", sagt Ebner-Steiner. Wobei ihre Helfer erst mal den Pavillon Richtung Bühne rücken, um das Ganze größer wirken zu lassen. Im Netz, dem Kampfplatz der AfD, wird gestreamt. Ebner-Steiner hat für diesen Wahlkampf Kreide gefressen, man mag da fast an Marine Le Pen denken. Dass zu Zeiten von Franz Josef Strauß "die Welt noch in Ordnung" gewesen sei, sagt sie. Dass die CSU die zweithöchsten Schulden aller Landkreise verantworte, das Amt kein "Versorgungsposten für gescheiterte CSU-Funktionäre" sein dürfe. Nichts, das den Verfassungsschutz aufschreckt. Damit das Thema Flüchtlinge ja nicht vergessen wird, hat sie ihre Clique aus dem Landtag mitgebracht. Christoph Maier warnt vor "Migrationskult", da bleibe kein Geld mehr für deutsche Familien. "Unsere Katrin" erzählt lieber, wie "erfüllt" sie sei von der Kommunalpolitik.

Tags darauf sitzen sie dann alle auf dem Podium der Deggendorfer Zeitung, Sibler, Achatz, Ebner-Steiner, auch die Kandidaten von SPD und Grünen, Thomas Müller und Maren Lex. Letztere machen einen engagierten Eindruck, echte Chancen in der strukturkonservativen Region sehen Beobachter indes nicht. Es geht um Lokalpolitik, um Infrastruktur, damit junge Leute nicht länger Reißaus nehmen nach München. Bei Fragen der Leser gerät Sibler in die Defensive - es geht, mal wieder, um den Anlass der Wahl. Mei, "Kabinettsumbildungen kommen vor", man habe ja "nicht ausgemacht, wir tauschen jetzt, weil's so lustig ist".

Entscheidend sei doch, sagt Sibler: Wer habe das "Rüstzeug" fürs Amt? Nur das hätten die Wähler zu entscheiden - in demokratischer Wahl wohlgemerkt, nicht als Abnicken einer Vorgabe aus München. Dort, in den CSU-Kreisen der Landeshauptstadt, glaubt man fest daran, dass das klappt mit Sibler. Wegen seiner Qualitäten, sagen die meisten. Manche hoffen auf einen "Mitleidsbonus" nach dem unverschuldeten Aus im Kabinett. Ist die CSU echt schon auf Mitleid angewiesen? Sieg im ersten Wahlgang, "das ist das Ziel", sagt Sibler. Die Freien Wähler nimmt er ernst, der AfD rechnet er keine großen Chancen aus. Wegen der "Querelen, die sie auf Landesebene haben". Deggendorf und die Landespolitik, es hängt halt doch alles zusammen.

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