Süddeutsche Zeitung

Energiekonzept:Bayern will grünen Strom bis 2030 verdoppeln

Lesezeit: 3 min

Ministerpräsident Söder kündigt an, die Erneuerbaren als "Heimatenergie" kräftig auszubauen - warnt bei der Windkraft aber vor einem "Spargelschock". Wie sich die Stromerzeugung im Freistaat verändern soll.

Von Johann Osel, München

Robert Habeck bekommt Post aus München, von 30 Seiten spricht Ministerpräsident Markus Söder (CSU), die "in diesen Stunden an den Bundeswirtschaftsminister gehen". Es ist das bayerische Energiekonzept, das sein Kabinett am Dienstag beschlossen hat. Es fußt auf einem Kompromiss zur Windkraft, den kürzlich die CSU-Fraktion erstellt hat. Und es enthält ein Bündel von Plänen und Forderungen etwa zu Solaranlagen, Wasserkraft oder Biomasse, es gebe "keine erneuerbaren Energien erster und zweiter Klasse", betont Söder. Auch die Kernkraftwerke finden sich darin. Man habe in das Konzept "nicht nur paar Wind-Fragen reingeschrieben".

Bis 2030 soll die Stromerzeugung aus regenerativen Energien in Bayern insgesamt verdoppelt werden. Von Devisen wie "Frieren für den Frieden" halte er nichts, sagte Söder. Es gehe bei Bayern um den Industriestandort mit den meisten Arbeitsplätzen bundesweit. Nun hat es mit diesem Konzept noch eine andere Bewandtnis. Im Januar, noch vor dem Angriff auf die Ukraine, war Habeck in München zu Gast, Thema Energiewende. Der Bund möchte die 10-H-Abstandsregel am liebsten kippen, die im Freistaat dem Bau neuer Windräder oft entgegensteht; und er will auf mindestens zwei Prozent der Landesfläche solche Anlagen stehen sehen. Söder zufolge war er mit Habeck so verblieben, dass weniger Windräder durch andere regenerative Bereiche kompensiert werden könnten. Bis März sollte das Konzept an Habeck gehen, das geschieht jetzt im Mai verspätet.

Jedenfalls hatte Söder noch am Montag, in der Rolle des CSU-Chefs, gegen Habeck gestänkert. "Wir erwarten schon, dass die Zusagen aus dem Januar stehen", sagte er nach einer Sitzung seines Parteivorstands. Ihn beschleiche das Gefühl, dass sich in Berlin niemand an die damalige Absprache erinnere, es drohe ein Wortbruch. Denn der Bund könnte ja die 10-H -Regel auch einfach komplett gegen den Willen Bayerns streichen, das war zuletzt öfter zu hören. Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) nannte das am Dienstag ein Damoklesschwert. Söder warnte Habeck vor Durchregieren, das wäre ein "schwieriger politischer Stil" und würde der Sache nicht gerecht. Das wirkte in der Tonlage milder als am Vortag.

Söder spricht von "Heimatenergie" - vielleicht ein neuer Slogan

Nun also das breit gestreute Bayern-Paket, Söder spricht von Heimatenergie, vielleicht ein neuer Slogan. Insgesamt wolle man "jedes Fitzelchen" nutzen; auch Biomasse - "passt zu Bayern und zum ländlichen Raum hervorragend" - oder zum Beispiel Geothermie, wo die Erschließung Nordbayerns ein Ziel sei. Die Photovoltaik-Leistung soll Söder zufolge bis 2030 verdreifacht werden, dazu beitragen sollen große Modellprojekte auf bayerischen Staatsgütern oder Anlagen "auf allen geeigneten" staatlichen Gebäuden. Bei der Wasserkraft sollen neue Standorte geprüft werden, etwa an der Salzach. Bei der Windkraft hält das Kabinett indes an der 10-H-Regel fest, will sie aber großzügig lockern. Etwa in Wäldern, an Autobahnen oder Haupteisenbahnstrecken und im Umkreis von Industriegebieten. So hatte es die CSU-Fraktion vorgelegt. Für derlei Ausnahmen gilt ein reduzierter Abstand von 1000 Metern. Die Regel besagt bisher, dass Windräder mindestens das Zehnfache ihrer Höhe (also meist 2000 Meter) von einer Wohnbebauung entfernt sein müssen.

Mindestens 800 neue Windräder will man damit ermöglichen, auch zwei Prozent der Landesfläche werden durchaus anvisiert. Weder die exakte Zahl noch ein Zeitrahmen seien aber klar zu definieren. Man schlage ein neues Kapitel auf, mache den Weg frei, sagte Aiwanger. Aber das "wird der Markt, wird der Investor erst erfüllen müssen", es gebe da "keine staatliche Planwirtschaft". Von einer "Handvoll Jahren" sei auszugehen, wegen Knappheit an Baufirmen und Material, aber auch der langen Genehmigung. Hier, wie in fast allen Energiebereichen, müsse auch der Bund liefern.

Aiwanger sagt, jedes Zocken in Berlin sei unanständig

Söder verteidigte das Festhalten an 10H im Grundsatz, ohne die Regel hätten die Bürger "nichts aber auch gar nichts mehr mitzureden", es drohe vielerorts ein "Spargelschock", "Unfrieden auf den Dörfern" und "böses Blut". Die Staatsregierung will bei der Windkraft wie bei anderen Regenerativen "die Bürger zu Partnern der Energiewende machen, nicht zu Betroffenen". Womöglich wird die finanzielle Beteiligung von Kommunen oder Bürgergemeinschaften neu geregelt - dass ihnen die Investoren eine Möglichkeit zur Teilhabe verpflichtend einräumen müssten.

Weil Söder und Aiwanger rasche Unabhängigkeit von russischem Gas nicht für möglich halten, fordern sie weiterhin längere Laufzeiten für Atomkraftwerke, vorübergehend. Aiwanger verlangt vom Bund "endlich eine ehrliche Antwort" zum Fachlichen, die sei für den Mai zugesagt worden. Jedes Zocken in Berlin sei unanständig und raube wertvolle Zeit. Der Bund Naturschutz Bayern rügte am Dienstag, längere Laufzeiten würden "keinen substanziellen Beitrag zur Energiekrise" liefern, man dürfe den "gesellschaftlichen Konsens nicht aufkündigen". Konträr sieht das AfD-Fraktionsvize Gerd Mannes: Wenigstens hier "findet die Staatsregierung zur energiepolitischen Realität zurück".

Habeck sagte am Dienstag bei einem Termin in Thüringen nichts konkret zu Bayerns Energieplänen. Nur: Er wolle darauf achten, dass es zwischen den Bundesländern nicht zur einseitigen Verteilung von Windrädern komme. Aufmerksam dürfte man in der Staatsregierung aber Habecks Grußwort beim Parteitag der bayerischen Grünen am Samstag verfolgt haben. "Eine schwierige Debatte zu verweigern, ist kein Beitrag zur Lösung", sagte er mit Blick auf die Windkraft. Sogar die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, "sicher keine grüne Kreisgruppe", wolle 10H kippen. Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze nannte die CSU "Schnarchnasen". Am Dienstag legte Co-Fraktionschef Ludwig Hartmann nach: Besonders stört ihn Söders Wort vom "Spargelschock" - dies zeige, dass die CSU "die Energiewende nicht ernst nimmt".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5586556
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.