Süddeutsche Zeitung

Formel 1 in Spa:"Ich kann nichts sehen"

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Nicht nachlassender Regen und Rennfahrer, die um ihre Gesundheit bangen: Der zwanghafte Versuch, den Großen Preis von Belgien zu starten, gerät zum absurden Schauspiel - bis es nach insgesamt drei gefahrenen Runden doch einen Sieger gibt.

Von Anna Dreher, Spa

Um 18.45 Uhr kam sie endlich, die lange erwartete Botschaft: "Race will not resume", das Rennen wird nicht fortgesetzt. Damit ging ein äußerst chaotischer und skurriler Renntag zu Ende, wie es ihn in der Formel 1 so noch nicht gegeben hat. Nach langem Warten, viel Ungewissheit und vielen Fragen musste die Rennleitung einsehen, dass sie beim Großen Preis von Belgien den Kampf gegen diesen unnachgiebig den ganzen Sonntag vom Himmel prasselnden Regen nicht mehr gewinnen würde.

Aber es gab am Abend doch noch einen Sieger: Red-Bull-Pilot Max Verstappen "gewann" vor dem in der Qualifikation sensationell auf Startplatz zwei gefahrenen George Russell (Williams) und Lewis Hamilton im Mercedes - nach insgesamt drei gefahrenen Runden hinter dem Safety Car. Der Weltmeister behält damit ganz knapp seine WM-Führung vor Verstappen, im Gesamtranking steht es nun 202,5 zu 199,5. Aufgrund der kurzen Renndistanz wurde nur die halbe Punktzahl vergeben. Zur vollen Punktvergabe hätten mindestens 75 Prozent der regulären 44 Runden von Spa absolviert werden müssen. Sebastian Vettel fuhr im Aston Martin als Fünfter ins Ziel, Mick Schumacher (Haas) auf Platz 16. "Die Absage war die richtige Entscheidung", sagte Vettel. "Es war zu gefährlich mit dem Regen."

Zwei Runden hinter dem Safety Car - dann wird das Rennen nach langem Hin und Her beendet

An einen Grand Prix mit einem regulären Start oder gar von regulärer Länge war ebenso wenig zu denken wie an das Durchdrücken des Gaspedals. Die Sicht war derart miserabel, dass der Start nach der Einführungsrunde verschoben werden musste und die Autos nach Unterbrechungen letztlich erst um 18.17 Uhr hinter dem Safety Car aus der Boxengasse begannen. Die Sicht allerdings war da kein bisschen besser als in den Stunden zuvor, es regnete ja noch immer heftig. Also kreisten alle die für eine Wertung obligatorischen zwei Runden hinter dem roten Auto, bis endgültig Feierabend war. "Es ist schwierig, von meiner Seite aus zu sagen, wie es für die anderen war. Ich habe vorhin gesagt, meine Sicht ist nicht schlecht, aber für die Autos hinter mir war sie natürlich sehr schlecht", sagte Verstappen vor der Siegerehrung. "Wenn du nicht weißt, wo das Auto vor dir ist, kannst du nicht fahren."

Dass es ein aufreibender Tag werden würde, zeichnete sich schon früh ab. Seit dem Morgen hatte es bei Temperaturen um die zwölf Grad geregnet, das Wetter war wirklich eklig und die Strecke pitschnass. In der Einführungsrunde fuhr Sergio Perez von der Kemmel-Geraden in die Les-Combes-Kurve, als sein Red Bull ins Schlingern geriet. Er verlor die Kontrolle und rutschte nach rechts über den Rasen in einen Reifenstapel. Der Mexikaner war nicht schnell unterwegs, aber das half nicht. Sein Auto war trotzdem stark beschädigt. "Sergio sagt, er hat urplötzlich Aquaplaning bekommen", erzählte Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko im Sender Sky. "Die Bedingungen sind sicher grenzwertig, trotzdem sollte so etwas nicht in der Einführungsrunde passieren."

In Spa regnet es den ganzen Sonntag - die Fans harren trotzdem an der Strecke aus

Bei der Startaufstellung ging es im Nachgang noch turbulenter zu als sonst, Pavillons wurden über den Autos aufgebaut. Es hörte einfach nicht auf zu regnen, im Gegenteil, der Regen wurde dichter und stärker. In der Hoffnung auf eine baldige Besserung verschob die Rennleitung die Formationsrunde um 25 Minuten. Die Vorhersage sah mau aus, immer mehr Regen, immer schlechtere Sicht.

Rund um die Strecke harrten schon seit Stunden Tausende Zuschauer in Plastikponchos und mit Schirmen aus. 75 000 Fans waren in Spa zugelassen. Wer Glück hatte, saß auf der Tribüne - viele aber standen oder saßen auf matschigen Wiesen, die aussahen wie ein Acker nach einem mehrtägigen, wilden Rockfestival. Manche ließen sich von dem Wetter immerhin die Laune nicht verderben und feierten bisweilen, als seien sie gerade auf einem solchen Festival. "Die Fans sollten ihr Geld zurückbekommen", befand derweil später Hamilton. "Aber dass wir mit zwei Runden quasi ein Rennen gefahren sind, heißt wahrscheinlich, dass sie ihr Geld nicht bekommen. Und ich finde, unser Sport sollte andere Werte haben."

Um 15.25 Uhr startete die Formationsrunde tatsächlich, angeführt vom Safety Car. Langsam fuhr die Karawane los, und ein Fahrer nach dem anderen teilte seine Eindrücke im Funk mit. "Ich kann wirklich nichts sehen", sagte Hamilton. "Es ist ziemlich furchtbar, ich kann das Auto vor mir kaum sehen", meinte Lando Norris. Er vor allem war eindrücklich gewarnt, was bei solchen Bedingungen in Spa passieren kann. In der Qualifikation war der 21-jährige Brite in der Eau-Rouge-Senke schwer verunfallt, sein Auto war total demoliert, er blieb jedoch unverletzt.

Kurz nach 17 Uhr setzt der Weltverband das Rennen aus - erst um 18.17 Uhr geht es weiter

Einer hatte kein Problem mit dem Wetter, was nicht verwunderte - er fuhr ja an der Spitze des Feldes. "Also es ist nass, aber für mich ist es fein zu fahren", sagte Verstappen. Doch nach der einen Runde auf dem sieben Kilometer langen Kurs entschied die Rennleitung sich dafür, das Prozedere vorerst zu unterbrechen. Die 19 Wagen reihten sich in der Boxengasse ein. Alle Fahrer stiegen aus, ab in die trockene Garage. Über den Autos wurden wieder Pavillons aufgebaut. Und nun hieß es warten.

Nach dem Unfall von Norris in der Qualifikation, einer Karambolage mit sechs Fahrerinnen am Freitag in der W-Series und einem Crash in der Formel 3 am Samstag - alle in der Eau Rouge - wollte nun niemand ein Risiko eingehen.

Würde überhaupt gefahren werden können? "Nein, unter den aktuellen Bedingungen nicht", antwortete Red-Bull-Motorsportchef Christian Horner auf diese Frage bei Sky. "Die Sicht ist das Problem und die Gischt und der Nebel, nicht der Grip. Es wird dauern, bis es besser wird. Ich fürchte, wir müssen Geduld haben." Müsste bei einem Abbruch also am Montag gestartet werden - eine Verschiebung, wie es sie in der Formel 1 schon gegeben hat? Obwohl in der Woche nach Belgien in den Niederlanden gefahren wird? "Ich habe meinem Sohn und meiner Frau versprochen, am Montag nach Hause zu kommen, das geht also nicht", sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff scherzend und ergänzte ernst: "Ich denke, das wird schwierig." Mick Schumacher schüttelte bei der Frage entschieden den Kopf: "Das geht nicht wegen Zandvoort."

Das Regelwerk des Internationalen Automobilweltverbandes Fia sieht bei einer solchen Unterbrechung vor, dass ein Neustart des Rennens bis drei Stunden nach dem eigentlichen Start durchgeführt worden sein muss - in diesem Fall also 18 Uhr - damit der WM-Lauf gewertet werden kann. Kurz nach 17 Uhr gab die Fia bekannt, den Grand Prix wegen höherer Gewalt temporär zu unterbrechen, damit blieb der Drei-Stunden-Countdown stehen. Die Mechaniker warteten bei den Autos und bekamen Tee. In manchen Boxen wurde Karten gespielt, Vettel und Schumacher kickten in einer Garage, andere gingen Richtung Tribüne und winkten den Fans, Norris schlummerte.

Kurz nach 18 Uhr dann waren alle hellwach: Es ging wirklich weiter! Die Autos fuhren wieder hinter dem Safety Car aus der Boxengasse - um kurz danach doch wieder an gleicher abzubiegen. Diesmal endgültig.

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